Theater

Abgang der Schenkelklopfer am Berliner Boulevard

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Stefan Kirschner

Foto: Eventpress Hoensch / picture alliance / Eventpress Ho

Die privaten Boulevardbühnen sind gewitzter, die Stücke vielschichtiger, das Publikum anspruchsvoller. Ein Besuch in der Komödie am Kurfürstendamm, im Renaissance-Theater und dem Schlosspark Theater.

Im Schlosspark Theater kommt der Chef persönlich vor Beginn der „Sonny Boys“-Vorstellung auf die Bühne: Dieter Hallervorden im Bademantel. Erste Lacher. Es ist Mittwochabend, im ZDF startet in 45 Minuten die Übertragung des Champions-League-Spiels mit den Bayern. Im Saal sind trotzdem nur wenige Plätze in den hinteren Reihen frei. Hallervorden kündigt an, dass sein Mitspieler Philipp Sonntag erkrankt sei. Es gebe jetzt mehrere Möglichkeiten, die Zuschauer könnten wählen. Für den Ausfall der Vorstellung ist keiner. Dankbar wird das Angebot angenommen, dass Regisseur Thomas Schendel für den Erkrankten einspringt, schließlich kennt der ja die eigene Inszenierung.

Der Abend wird zum Triumph von Hallervorden. Er hat ein perfekte Gespür dafür, wo er die Pointen setzen muss. „Was für ein schöner Abend“ ist ein Satz, den man beim Rausgehen häufiger hört. Nicht nur in Steglitz, sondern auch am Renaissance-Theater und den Ku’damm-Bühnen. Es hat sich einiges gewandelt im Boulevardtheater: Schenkelklopf-Klassiker sind mittlerweile die Ausnahme, Erst- oder Uraufführungen tauchen häufiger im Spielplan auf.

„Na, hamse die Stromrechnung nicht bezahlt?“

Nehmen wir zum Beispiel „Café ohne Aussicht“ an der Komödie am Kurfürstendamm: Es ist Sonnabend, der wichtigste Theaterabend der Woche. Wenn der Laden heute nicht brummt, brummt er nie. Die Uraufführung von Franz Wittenbrink läuft schon länger – die „Comedian-Harmonists-Geschichte von heute“ ist trotzdem gut besucht. Karten kosten zwischen 20 und 42 Euro, eine Frau mit Timoschenko-Zopf kommt ein wenig gehetzt ins Theater, es ist kurz vor 20 Uhr. Sie geht zur Kasse – und wendet sich wieder ab. Falscher Eingang. Sie wollte Uwe Ochsenknecht sehen, aber der spielt nebenan im Theater am Kurfürstendamm in „Schlechter Rat“. Nach einer Viertelstunde ist sie jedoch wieder da.

Denn an diesem Sonnabend kommt es nebenan zum Theater-GAU. Der Strom im Stellwerk fällt aus und damit auch die Vorstellung. Die Schauspieler gehen wieder nach Hause, der Großteil des Publikums auch. Nur ein kleiner Teil kann das Angebot des Theaters annehmen, den Liederabend nebenan zu besuchen, weil es nur wenige freie Plätze gibt. Die Besucher der Komödie werden langsam ungeduldig. Die Ankündigung eines Schauspielers, dass man etwas später mit der Vorstellung beginne, um den vom Ausfall Betroffenen die Möglichkeit zu geben, in die „Comedian Harmonists“-Vorstellung zu kommen, wird mit den Worten kommentiert: „Na, hamse die Stromrechnung nicht bezahlt?“ Nach 20 Minuten und einigem Aufstehen, um die Neuankömmlinge wie die Frau mit dem Zopf in die engen Sitzreihen zu lassen, wird applaudiert. Eine freundliche, aber deutliche Aufforderung an die Akteure, anzufangen. Das Publikum ist selbstbewusst.

Freundschaft und Verrat in Politik und Medien

Im Schlosspark Theater dominiert gepflegte Abendgarderobe mit auffällig hohem Krawattenanteil bei den Männern. Die Zuschauer gehen vorbei an den Theaterplakaten aus den 50er- und 60er-Jahren, als das Haus noch zum Schiller-Theater gehörte. Auch „Sonny Boys“, der Komödien-Klassiker von Neil Simon, wurde damals in Steglitz gegeben, erzählt Hallervorden nach der Vorstellung beim Bier im Foyer. Er hat das Haus vor ein paar Jahren übernommen und das bühnenmäßig abseits gelegene Steglitz wieder zu einer guten Theateradresse gemacht. Intelligente Unterhaltung ist sein Motto. Hallervorden übersetzt Werke aus dem Französischen, die er in Paris gesehen und als geeignet für sein Haus befunden hat, wie zuletzt „Der Lügenbaron“. Ein Stück wie „Öffentliches Eigentum“, in dem es um Freundschaft und Verrat in Politik und Medien geht und das durch die Edathy-Affaire aktuell geworden ist, stünden auch einer staatlichen Bühne gut zu Gesicht.

Zurück ins Zentrum: Dort buhlt das Renaissance-Theater mit aus Film und Fernsehen bekannten Schauspielern ums Publikum. Gesine Cukrowski und Hans-Werner Meyer spielen in „Wir lieben und wissen nichts“, dem neuen Stück von Moritz Rinke. Weiße Tische stehen am Abend der Premiere vor dem Renaissance-Theater, man kennt sich. Staatsoper-Intendant Jürgen Flimm ist dabei, auch Ulrich Waller, der Chef des Hamburger St.-Pauli-Theaters, das mit dem Renaissance-Theater gelegentlich kooperiert, und etliche Schauspieler, die dem Haus verbunden sind. Zwei ältere Herren erkennen sich und führen über zwei Parkettreihen hinweg den Kurzdialog: „Wir haben das Stück schon mal gesehen.“ – „Stimmt, im Deutschen Theater“.

Da lief es allerdings nur als Gastspiel im Rahmen der Autorentheatertage. Martin Woelffer, der Direktor der Ku’damm-Bühnen hätte den neuen Rinke gern an seinem Haus herausgebracht, aber bei den Verhandlungen mit dem Verlag kam heraus, dass die Rechte für Hamburg schon vergeben waren. Dort betreibt Woelffer ebenfalls ein Theater, etliche Inszenierungen werden zwischen den beiden Städten ausgetauscht, das reduziert die Kosten. So kommt Ende Mai „Der Mentor“, das neue Stück des Bestseller-Autors Daniel Kehlmann, aus Hamburg nach Berlin.

„Sie lachen auch gern über sich selbst, das war vor 20 Jahren noch anders“

Kehlmann lässt seine Stücke lieber am Boulevard inszenieren, weil er ein erklärter Gegner des Regietheaters ist und der Wiedererkennungswert eines Werkes auf einer Boulevardbühne höher sei, denn der Regisseur sei dort eher Diener des Werkes. Bei den Stücken gibt es Konkurrenz zwischen Boulevardtheatern und den gelegentlich nach Unterhaltung gierenden Staatstheatern. Einen Grund für den Wandel – und letztlich die Angleichung der Spielpläne – sieht Woelffer darin, dass sich die Erwartungen der Zuschauer geändert haben: „Die Schenkelklopfer-Nummern sind mit der Comedy ins Fernsehen abgewandert, im Theater wollen die Zuschauer doch mehr Niveau. Und sie lachen auch gern über sich selbst, das war vor 20 Jahren noch anders.“

Auch der Boulevard ist nicht mehr das, was er mal war. „Wir wollen aus der Nische Komödie herauskommen, aber schon Unterhaltung bieten“, sagt der Theaterdirektor. Für ihn „kommen die interessantesten Stücken derzeit aus Frankreich“. Dass es in vielen Stücken um Beziehungen und Paare geht, überrascht ihn nicht. „Das hat viel mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun“ und außerdem „ist es ein großes Thema seit Romeo und Julia.“ Shakespeare steht ja nicht im Verdacht, ein Boulevard-Komödienschreiber zu sein. Aber unterhalten wollte er sein Publikum immer.