Man könnte es sich auch leichter machen. Frauke Finsterwalde aber schwebte so etwas wie ein Film zur Lage der Nation vor. Und schrieb eine rabenschwarze Satire mit zahllosen Episoden, wobei es auch um falsche Anschuldigen von Belästigungen Minderjähriger und einen KZ-Besuch gelangweilter Schüler geht.
Da hätte man sich gleich mehrfach die Finger verbrennen können. Nicht so Frauke Finsterwalder, Jahrgang 1975, die ihren Film (und die Nation) irgendwie auch nach ihrem Nachnamen „Finsterworld“ benannte und dafür eine stattliche Anzahl renommierter Schauspieler gewinnen konnte, von Corinna Harfouch über Sandra Hüller bis zur „Feuchtgebiete“-Offenbarung Carla Juri.
Man hätte es sich leichter machen können. Aber auch David Dietl wollte eine pointierte Satire auf seine Heimat drehen. Der Apfel fällt damit nicht weit vom Stamm, denn der 34-Jährige ist der Sohn von Helmut Dietl, und dass dessen Ex-Gefährtin Veronica Ferres hier mitspielt, ist wohl kein Zufall. Ihr Filmgatte Olli Dittrich aber wird hier als Durchschnittsbürger für die Erkundung und Lenkung des Massengeschmacks missbraucht.
Alle Fettnäpfchen umschifft
Auch „König von Deutschland“ hätte, schon wegen des womöglich anmaßend klingenden Titels, gehörig daneben gehen können, ist aber ein Volltreffer, der, passend zum derzeitigen Wahlkampf, gerade im Kino anlief.
Man könnte es sich wirklich leichter machen. Aber Stefan Schaller, Jahrgang 1982, hat sich in seinem Debüt „5 Jahre Leben“ gleich das Schicksal von Murat Kurnaz vorgenommen, der fünf Jahre lang im Gefangenenlager Guantanamo verhört und gefoltert wurde, um etwas zu gestehen, das er nicht getan hat.
Der Fall beschäftigte zwei Untersuchungsausschüsse im Bundestag und birgt so viel politische Brisanz, dass selbst manch erfahrenerer Filmemacher davor zurückgeschreckt wäre. Schaller aber wagte sich in seinem Debüt mutig an dieses Reizthema und umschiffte dabei gekonnt all die Fettnäpfchen, in die man hätte treten können.
Radikal, konsequent, ohne Konzessionen
Das sind nur drei von sechs Filmen, die an diesem Montag bei den First Steps Awards in der Königskategorie, dem besten Spielfilm, nominiert sind. Der Preis, einst ins Leben gerufen von Bernd Eichinger und Nico Hofmann als private Initiative der Filmwirtschaft, ist die beste Plattform für den hiesigen Nachwuchs. Hier kann sich jeder Absolvent einer deutschsprachigen Filmhochschule mit seinem Abschlussfilm bewerben.
Und mit 195 Einsendungen wurde in diesem Jahr wieder ein neuer Rekord aufgestellt. Lange ist es her, dass sich solche Debüts um die erste Liebe oder das Erwachsenwerden drehten: Erfahrungen also, die den Kinonovizen noch relativ vertraut sind. Nein, der Nachwuchs von heute betreibt keine Nabelschau mehr, er schaut genau da hin, wo andere lieber weggucken. Legt den Finger auf offene Wunden.
Und zeigt das mit einer erstaunlichen Radikalität und Konsequenz, muss man doch an der Hochschule noch keine Konzessionen an Produzenten oder beteiligte TV-Sender machen. Der schockierende Neonazidrama „Kriegerin“, der Siegerfilm vor zwei Jahren, hat das anschaulich bewiesen.
Mutige erste Schritte der Jungfilmer
Jedes Jahr hat seine eigenen Schwerpunkte, auch wenn das letztlich immer Zufall ist. 2010 etwa gab es überraschend viele Filme, die sich mit Gewalt unter Kindern und Jugendlichen auseinandersetzten, 2012 ging es immer wieder um fehlende Väter und Vorbilder. In diesem Jahr sind die Themen sehr breit gestreut, doch als roter Faden erweist sich immer wieder: die Heimat.
Wir meinen hier nicht Heimatschnulzen mit Rehkitz und Alpenkitsch, sondern Filme, die von Zugehörigkeit und Migration handeln, vom Zuhause- und vom Fremdfühlen. Auch bei den kurzen und mittellangen Filmen dominiert dieses Thema klar: ob es um eine Afghanin in einem Schweizer Durchgangsheim geht wie in „Parvaneh“ oder um einen jungen Soldaten, der in „Dedowtschina“ vor grausamen Misshandlungen in der russischen Armee illegal nach Deutschland flieht.
Den radikalsten und wohl auch gefährlichsten Weg beschritt indes Sebastian Mez, ebenfalls Jahrgang 1982, mit seinem Dokumentarfilm „Metamorphosen“: Er bereiste eine wegen einer vertuschten Atomkatastrophe seit über 50 Jahren verstrahlte Sperrzone im Südural, in der dennoch einige Menschen leben, als lebende Versuchskaninchen, inwieweit ihnen das gesundheitlich schadet.
Wenn Mez über den buchstäblich verseuchten Boden wandelt, schlägt nicht nur der Geigerzähler aus, dann kochen auch die Emotionen im Publikum hoch. Das zeigte sich auf der Berlinale, wo „Metamorphosen“ in diesem Jahr in der Perspektive Deutsches Kino lief.
Sehnsucht nach mutigen Filmen
Die Jurys der einzelnen Sektionen sind ob dieser starken Konkurrenz wahrlich nicht zu beneiden. Die Filmhochschulen, die sie hervorbringen, umso mehr. Der deutsche Filmnachwuchs, das zeigt sich einmal mehr, wagt viel. Sehr viel. Um ihn muss man sich keine Sorgen machen.
Und dass die Debütanten für ihre Erstlinge so viele bekannte Gesichter gewinnen können, spricht auch für sich: also für die Sehnsucht gestandener Schauspieler nach Filmen, die sich was trauen. Wenn man sich dennoch um den Nachwuchs sorgen muss, dann höchstens in der Hinsicht, wo denn die vielen Talente, die da jedes Jahr auf den ohnehin übersättigten Markt gespült werden, eigentlich unterkommen sollen.
Da sind die First Steps ein ganz wichtiger erster Schritt: Zur Verleihung am Potsdamer Platz sind einmal mehr zahlreiche Produzenten aus der Branche geladen, die sich hier einen direkten Eindruck von der Next Generation machen können. Außerdem hat die Deutsche Filmakademie, die die First Steps unterstützt, erstmals eine Juniormitgliedschaft eingeführt. Wer hier siegt, zählt automatisch zu den ganz Großen.