Berlin. Joseph Beuys im Dialog mit der Gegenwart und Dünen in der Haupthalle: Das sind die Pläne von Till Fellrath und Sam Bardaouil.

Filz, Klänge,100 Stunden Hannah Arendt und vielleicht sogar Sanddünen in der Haupthalle: Der Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart präsentiert sich im ersten Halbjahr 2024 politisch, mit viel Beuys und als Museum zum Mitmachen.

Den Auftakt macht im Februar die kolumbianische Künstlerin und Aktivistin Tania Bruguera. Sie war mit ihrem Künstlerkollektiv „Instar“ Teil des Netzwerkes, das die documenta 15 vorbereitete – nur blieb ihre Arbeit im Schatten der Antisemitismus-Debatte ohne die gebührende Aufmerksamkeit. Nun erhält sie die Chance, ihre Performance, bei der drei Tage und zwei Nächte durchgehend Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ gelesen wird, zu wiederholen, um so auf die Zustände in Kuba aufmerksam zu machen. Nach der ersten Aufführung in Kuba 2015 wurde sie von den Behörden verhaftet. Wer jetzt schon einen Einblick möchte, dem sei die Werkschau der ebenfalls aus Kuba stammenden Coco Fusco im KW Institute for Contemporary Art empfohlen. Für die Besucherinnen und Besucher des Hamburger Bahnhofs wiederum ist Brogueras Performance eine Chance, das Museum bei Nacht zu erleben.

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Im März öffnen sich die Kleihueshallen für eine Neupräsentation der mit dem Hamburger Bahnhof beinahe synonym verbundenen Werke von Joseph Beuys, Schenkungen der Familie des 2020 verstorbenen Sammlers Erich Marx. Schlüsselwerke wie „Straßenbahnhaltestelle“ oder „A monument to the future“ werden zu sehen sein. Der Zugang erfolgt über die Haupthalle. Das Ausstellungskonzept sieht eine Zweiteilung vor, um aktuelle künstlerische Positionen mit Beuys zu kontrastieren. Den Auftakt macht die in Israel geborene und in New York lebende Naama Tsabar mit ihren Filz-Klangskulpturen, die wie Instrumente funktionieren und die von den Besucherinnen gespielt werden dürfen.

Im April gibt Eva Fàbregas den Stab in der Haupthalle an die Rumänin Alexandra Pirici weiter. Ihre Kunst hat oft performativen Charakter, sie arbeitet mit Körpern, Tanz, Energien, lebenden Skulpturen, aber auch mit Sanddünen. Man darf gespannt sein, wie ihre Kunst auf die Architektur der Halle reagiert. Die Auseinandersetzung mit der historischen Architektur der Halle wird institutionalisiert und jährlich als Auftragsarbeit weitergeführt.

Leiten den Hamburger Bahnhof: Till Fellrath (links) und Sam Bardaouil.
Leiten den Hamburger Bahnhof: Till Fellrath (links) und Sam Bardaouil. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Das zweite Halbjahr beginnt anlässlich der Europameisterschaft in Berlin mit einer Fußball-Videoinstallation der in Berlin lebenden Marianna Simnett und mit einer Neuausrichtung des Preises der Nationalgalerie. Vier Gewinnerpositionen werden gezeigt, nicht wie bisher vier Finalistinnen und ein erster Preis. Die Summe der Positionen macht den Preis – so das Statement der Direktoren Till Fellrath und Sam Bardaouil.

Im Herbst wird die Dauerausstellung auf die Rieckhallen mit zum Teil großformatigen Werken erweitert. Die in Berlin lebende Andrea Pichl tritt in den Dialog mit Beuys und der US-Amerikaner Marc Bredford setzt sich mit der Geschichte und der Kunst des Hauses und der seiner afroamerikanischen Vorfahren auseinander. Das Jahr endet mit einem großen Finale: mit dem erstmals in Deutschland gezeigten Lebenswerk der türkischen Opernsängerin und Malerin Semiha Berksoy, deren Karriere um 1930 in Berlin begann. Gleichsam als Vorhut der aktuellen türkischen Community.

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Insgesamt wird es im Hamburger Bahnhof mit den Rieckhallen, den Kleihueshallen und der „Endless Exhibition“ drei dauerhafte Sammlungspräsentationen geben und fünf Bereiche für Sonderausstellung, die jeweils nach sechs Monaten wechseln. Für 2024 macht das elf neue Ausstellungen.

Der kürzlich neu gestaltete Forums-Bereich mit der Geschichte des Ortes bleibt frei zugänglich. Hier finden regelmäßig Veranstaltungen und Diskussionen der Reihe „Langer Donnerstag“ statt – gemäß dem Motto „Museum für alle“. Diese Offenheit versinnbildlicht auch die neue Fensteröffnung in den Garten. Mit dem „Family Sunday“, jeden Sonntag von 12-17 Uhr wird mithilfe der Volkswagen-Stiftung eine Lücke geschlossen, denn bislang gab es Angebote für Familien nur einmal im Monat. Die erfolgreiche Veranstaltung „Open House“ mit Einblicken in sonst verschlossene Bereiche wie den Direktionsbüros oder den Werkstätten wird im Juni wiederholt, genauso wie „Berlin Beat“, Tanzveranstaltungen mit DJs aus der Kunstszene ohne Türsteher, denn auch diese Sommerpartys sind frei zugänglich.