Die spanische Künstlerin präsentiert eine spektakuläre Installation in der Historischen Halle des Museums: „Devouring Lovers“.
Nun sind sie also mit Luft gefüllt, die monumentalen Schlauchwülste der 1990 geborenen spanischen Bildhauerin Eva Fàbregas. Fünf Wochen hat es gedauert, bis alle Skulpturen aufgeblasen waren, sich auftürmen und in die Höhe klettern konnten, um die Haupthalle des Hamburger Bahnhofes mit ihren Tentakeln als „verschlingende Liebhaberinnen“ („Devouring Lovers“) raumgreifend einzunehmen. Es war eine gemeinschaftliche Anstrengung, bei der alle Mitarbeiterinnen des Museums involviert waren, betont die Kuratorin der Schau, Anna-Catharina Gebbers. Und Sam Bardaouil, Co-Direktor, freut sich, dass alles, was derzeit im Museum zu sehen ist, aufeinander bezogen werden kann. Die Gestalt der Skulptur verweist auf Christina Quarles und ihre Körperbilder, die Raumerfahrung auf die Fadenskulpturen von Fred Sandback. Und wenn man sich durch die wabernden Gebilde bewegt, gleicht es einem Tanz mit der Skulptur wie bei Zineb Sediras Tango-Performances. .
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Für die Haupthalle, für die Auseinandersetzung mit der Architektur des Bahnhofs und seiner historischen Eisenkonstruktion war Fàbregas eine Wunschkandidatin, sagt Sam Bardaouil. Weich trifft auf hart, Buntheit auf Schwarzweiß und Grau, Gradlinigkeit auf Rundung, Strenge und unterkühlte Museumsluft auf Umarmung, Fülle und Spaß.

Es war der besondere Hall an diesem Ort, der Eva Fàbregas angespornt hat, ihren Lieblingswerkstoff Luft so großzügig mit Stoff zu umhüllen. Sie hat als Kind und Jugendliche im Chor gesungen und kennt sich deshalb aus mit Luftströmen, die in Töne verwandelt werden. Luft ist für sie eine Art vorsprachliches Denken. Bevor das Denken zur Mitteilung wird, ist es Luft. Wenn wir sprechen, kanalisieren wir Luftströme.
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Ab und zu bewegen sich Teile der Skulptur, ganz sanft und weich, sie vibrieren und scheinen hörbar zu atmen, wie ein lebendiger Organismus. Das weckt Begehrlichkeiten: Man möchte sie berühren, in sie eintauchen, sie zum Hüpfen bringen, zum Tanzen und Fliegen. Oder nach oben klettern und an die Tentakel geklammert durch die Halle schwingen. Aber das Material, das die Schläuche umhüllt, ist mattes Lycra, die Ausbuchtungen sind Metallkugeln. Weil Lycra durch den hohen Elastananteil so dehnbar ist, würde man wohl abstürzen. Elastan ist etwas in Verruf gekommen, weil es ein Kunststoff ist. Aber es ist auch ein Stoff, der sich den Körpern anpasst, sie nicht einengt sondern nachgibt, wenn sie nicht der Norm entsprechen oder wachsen.

Ungehindertes Wachsen und Wuchern kann aber auch Angst machen. Hyperventilieren ist ein Hinweis, dass Luft nicht nur die Grundlage von Atmen und Denken ist, sondern auch unkontrollierbare Lebendigkeit bedeutet. Was, wenn die Tentakel sich so um die eiserne Trägerkonstruktion schlingen, dass sie sich verbiegt oder gar bricht? Was, wenn sich die Wülste weiter aufblasen, bis kein Raum mehr da ist und sie sich gegenseitig und uns mit verschlingen? Hat die Künstlerin ein Monster geschaffen? Das ganz harmlos in fröhlichen Farben daherkommt? Darauf verweist auch der Titel der Schau, den man salopp mit „zum Fressen gern“ übersetzen könnte. Liebe hat bekanntlich auch eine zerstörerische, eine kannibalische Seite.