Staatsoper

Wie Intendant Matthias Schulz auf die Causa Netrebko blickt

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Matthias Schulz
Anna Netrebko tritt in der Staatsoper in Berlin auf

Anna Netrebko tritt in der Staatsoper in Berlin auf

Anna Netrebko tritt am Freitag (15.9.) in „Macbeth“ in der Staatsoper in Berlin auf.

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Anna Netrebko tritt am Freitag in „Macbeth“ in der Staatsoper in Berlin auf. Hier erklärt Intendant Matthias Schulz seine Position.

Berlin. Anna Netrebko wird am heutigen Freitag in „Macbeth“ in der Staatsoper auftreten. Die österreichisch-russische Sopranistin geriet 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, wegen ihrer Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Kritik, viele ihrer Auftritte wurden storniert. Die Staatsoper entschied sich nach Prüfung ihrer letzten Äußerungen gegen eine Absage. Daran übten in einem Gastbeitrag in dieser Zeitung der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, und Sergey Lagodinsky, Mitglied des Europäischen Parlaments, Kritik. Matthias Schulz, Intendant der Staatsoper, erklärt hier seine Position.

Ich ganz persönlich und die Staatsoper Unter den Linden verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf das Schärfste. Dieser Krieg ist ein Angriff auf das friedliche Zusammenleben weltweit. Wir haben uns seit Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 unmissverständlich positioniert und seitdem unsere volle Solidarität für die Ukraine zum Ausdruck gebracht, nicht nur durch Worte, sondern auch durch Zeichen wie u.a. durch das Konzert für Frieden in der Staatsoper Unter den Linden zugunsten humanitärer Hilfe für die Ukrainer:innen am 6. März 2022 oder durch die Premiere des Dokumentarfilms „Oh, Sister!“ im Dezember 2022 bei uns im Haus, auch in Anwesenheit des ukrainischen Botschafters und der Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk.

Staatsoper in Berlin: Volle Solidarität mit der Ukraine

Als Haus ist uns die volle Solidarität mit der Ukraine überaus wichtig. Gleichzeitig, als Kulturinstitution, auch ein verantwortungsvoller Umgang mit unseren Künstlern. Mit Anna Netrebko, die zweifelsohne eine der größten Stimmen unserer Zeit ist und mit der uns eine langjährige Partnerschaft verbindet, haben mein Team und ich uns seit Kriegsbeginn sehr differenziert auseinandergesetzt. Oper hat einen langen Vorlauf, Verpflichtungen ihr gegenüber wurden vor rund drei Jahren, vor Kriegsausbruch am 24.2.2022, geschlossen.

Anfang März 2022 wurde mit ihr einvernehmlich beschlossen, dass sie an einer Neuproduktion im Juni 2022 nicht mitwirkt. Und auch alle zukünftigen Engagements wurden auf den Prüfstand gestellt und kritisch hinterfragt, auch im persönlichen Gespräch mit ihr. Ohne eine deutliche Positionierung der Künstlerin, in Wort und Handeln, war und wäre eine weitere Zusammenarbeit für die Staatsoper Unter den Linden nicht tragbar.

Die Position der Ukraine: Warum Anna Netrebkos Auftritt an der Staatsoper falsch ist

Anna Netrebko: Seit Kriegsausbruch keine Engagements in Russland

Es ist besonders wichtig, differenziert vorzugehen und zwischen vor und nach dem Kriegsausbruch zu unterscheiden. Daher möchte ich noch mal auf die konkreten Distanzierungen von Anna Netrebko eingehen, die uns in unserer Entscheidung geprägt haben: Anna Netrebko hat seit Kriegsausbruch 2022 keine Engagements in Russland angenommen und es wurde uns seitens ihres Managements bestätigt, dass es auch weiterhin keinerlei Vorhaben für Auftritte in Russland gibt. Sie hat damit, anders als andere Kollegen, eine konsequente Wahl getroffen.

Am 1. März 2022 hat Anna Netrebko auf ihrem Instagram-Kanal veröffentlicht: „I have said, I am opposite [sic] to this senseless war of aggression and I am calling on Russia to end this war right now, to safe [sic] all of us! We need peace!” – damit hat sie Russland als Aggressor eindeutig benannt und den Krieg gegen die Ukraine verurteilt.

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Anna Netrebko: „Ich verurteile den Krieg gegen die Ukraine ausdrücklich"

Am 30. März 2022 folgte eine offizielle Presseerklärung, in der Anna Netrebko ihre Position erneut öffentlich deutlich artikulierte und sich von der Führung Russlands distanziert hat: „Ich verurteile den Krieg gegen die Ukraine ausdrücklich und meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien. Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden. Ich erkenne und bedauere, dass meine Handlungen oder Aussagen in der Vergangenheit zum Teil falsch interpretiert werden konnten. Tatsächlich habe ich Präsident Putin in meinem ganzen Leben nur eine Handvoll Mal getroffen, vor allem im Rahmen von Verleihungen von Auszeichnungen für meine Kunst oder bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Ich habe ansonsten nie finanzielle Unterstützung von der russischen Regierung erhalten und lebe in Österreich, wo ich auch steuerlich ansässig bin. Ich liebe mein Heimatland Russland und strebe durch meine Kunst ausschließlich Frieden und Einigkeit an ….“

Ganz aktuell hat sich Anna Netrebko am 31. August 2023 in einer im US-Gerichtsregister öffentlich einsehbaren Klageschrift erneut sehr deutlich von Wladimir Putin distanziert und außerdem Falschaussagen, z.B. Behauptungen, dass sie Putin aktiv unterstützt habe, widersprochen.

Kritiker werfen ihr vor, dass sie sich nicht weit genug distanziert und den Krieg nicht verurteilt habe. Wir hingegen denken, das sind sehr deutliche Worte, die es anzuerkennen gilt – besonders wenn man sich bewusst macht, welche Tragweite diese Worte in Russland haben.

Unter diesen Umständen sollte man dieser Künstlerin eine Chance geben

Menschen sind nicht unfehlbar, aber Menschen können die Wahl treffen sich und ihr Handeln zu reflektieren. Anna Netrebko hat das getan, eine klare Position eingenommen und sich distanziert, auch ihr Handeln seit Kriegsbeginn 2022 ist kongruent – das respektieren und befürworten wir. Unter diesen Umständen sollte man unseres Erachtens dieser Künstlerin eine Chance geben.

Die Ohnmacht und auch Wut angesichts dieses schrecklichen Kriegs Russlands gegen die Ukraine ist bei uns allen riesig. Uns liegt nichts ferner, als die unfassbaren Kriegsverbrechen Russlands zu relativieren.

Wir schauen nicht weg: In unserem Haus vereinen wir Mitarbeiter aus über 30 Nationen, darunter selbstverständlich auch Ukrainer und Russen, an deren kriegsbedingten persönlichen Einzelschicksalen wir teilnehmen, im Austausch stehen und mitleiden. Wir arbeiten hier zusammen, Seite an Seite. Am Haus wird gelebt, wie Musik und Kultur verbindet und eben nicht spaltet. Kunst ist politisch, sie entsteht nicht im luftleeren Raum. Kulturinstitutionen können daher einen Weg des Miteinanders aufzeigen.

Als Opernhaus bemühen wir uns mit all unseren Kräften darum, in Dialog zu treten, Menschen zu verbinden und nicht gegeneinander aufzuhetzen. Es ist wichtig, nicht leichtfertig vorzuverurteilen und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken.

Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gelten in dieser Zeit uneingeschränkt der Ukraine und allen Leidtragenden dieser Katastrophe.

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