Berlin. Regisseurin Ulrike Schwab will in der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ an der Neuköllner Oper das Thema Elternschaft beleuchten.

Die Proben laufen, die Premiere ist am 25. August. Aber die Premiere von Richard Strauss’ Opernkoloss „Die Frau ohne Schatten“ findet in keinem der großen Berliner Opernhäuser statt, sondern in der Neuköllner Oper. In der kleinen Spielstätte hatte man noch nie Angst vor großen Opernstoffen. „Wir bleiben in der Erzählung eigentlich relativ dicht an der Oper, obwohl wir an der Neuköllner Oper die große Freiheit haben, auch ganz neue Geschichten zu erfinden“, sagt Regisseurin Ulrike Schwab. „Das Thema Stückentwicklung steht bei uns immer im Raum. Das heißt, man nimmt sich einzelne Fragmente der Musik und macht zu den Themen im Stück einen ganz eigenen Abend. Aber hier war ich irgendwann schon so eingewoben in diese Musik, die Figuren und die rätselhafte Geschichte, dass ich doch immer wieder zum Original zurückgekommen bin.“

Die Uraufführung der dreiaktigen Oper auf das Libretto von Hugo von Hofmannsthal fand 1919 an der Wiener Staatsoper statt. Es handelt sich um mehr als drei Stunden anspruchsvollster Musik von Strauss. „Natürlich haben wir viel gestrichen und die Figurenkonstellation verdichtet. Es wird eine Art Kammerspiel“, sagt Ulrike Schwab. Die Neuköllner „Frau ohne Schatten“ wird auf eine Stunde vierzig Minuten gekürzt. „Genau genommen haben wir das Stück auf die Hauptfiguren herunter gebrochen und stellen Beziehungsporträts der einzelnen Paare ins Zentrum. Bei uns gibt es nicht nur zwei Paare, sondern drei.“ Bei Hofmannsthal spielen das Kaiser- und das Färberpaar eine zentrale Rolle. „Es gibt bei uns auch ein Elternpaar“, sagt die Regisseurin, „die Amme wird zur Mutter und der Bote zum Vater.“

Es geht also um Familien- und Rollenbilder. Starregisseur Tobias Kratzer, der das Stück 2025 an der Deutschen Oper zur Premiere bringen wird, will auch das soziale Missverhältnis herausarbeiten. Das reiche Kaiserpaar benutzt das arme Färberpaar für eine Art Leihmutterschaft. „Ich habe mich in unserer Fassung lange davor gescheut, eine alles dominierende Grundthese zu behaupten“, sagt Ulrike Schwab, „da die Themen, um die wir kreisen, so intim und auch individuell sind.“ Sie lege ihren Fokus aber ganz klar auf die Beziehungen. „Unsere Grundthemen sind Mutterschaft und Elternschaft: Es geht um die Frage, ob sie wirklich etwas mit unserer Menschwerdung zu tun haben? Oder auch nicht. Ich finde es spannend, wie Paare über Generationen hinweg da ihre Entscheidungen getroffen haben und die Frage ,Kinder ja oder Kinder nein’ jeden in seinem Leben mal etwas angeht.“

Große Opernproduktionen macht die Regisseurin in Bremen und Stuttgart

Ulrike Schwab hatte Operngesang und Musiktheaterregie an der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ studiert. An der Neuköllner Oper inszenierte sie bereits Glucks „Armida“, „Wolfskinder“ nach Humperdincks „Hänsel und Gretel“, „Ist die Welt auch noch so schön“ nach Paul Linckes „Frau Luna“ und „Giovanni“ frei nach Mozart. Dazu kommen eine Handvoll Inszenierungen andernorts. In Bremen wird sie in der nächsten Spielzeit Strauss’ „Salome“ auf die Bühne bringen. Es folgt in Stuttgart Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Als Sängerin hat sie allerdings aufgehört. „Ich bekomme es nicht mehr koordiniert. Es ist einfach so passiert, weil man als Regisseurin viel früher in den Projekten involviert ist. Bei Sängerinnen der freien Szene läuft vieles spontaner.“ Inzwischen lebt die Mutter von zwei Kindern auch in Regensburg.

Schlägt in Ihr als Regisseurin immer noch das Herz einer Sängerin? „Was mir auffällt, ist, dass ich alle meine Figuren mögen will. Selbst die, die sich schäbig verhalten“, sagt Ulrike Schwab. „In Opern gibt es genug Bösewichte. Aber ich muss immer verstehen, warum eine Figur etwas tut. In gewisser Weise bin ich die Anwältin jeder einzelnen Figur.“

In der Märchenoper kann die Kaiserin nicht schwanger werden. Der Färber sieht hingegen sein größtes Lebensglück im Vatersein. Er hatte selbst zwölf Geschwister. Aber seine Frau zweifelt an dem Lebensmodell. „Bei unserem dritten Paar geht es um den Abnabelungsprozess des Kindes, den jedes Elternpaar irgendwann erlebt“, sagt die Regisseurin: „Man muss fragen, was es mit der Beziehung der Eltern macht, wenn die Kinder ihre eigenen Wege gehen?“ Ulrike Schwab glaubt, dass die Färberin die modernste Figur im Stück ist, weil sie wirklich am Kämpfen ist und auf der Suche. „Sie möchte herausfinden, was sie wirklich will.“

Ursprünglich hat sie die Oper von Richard Strauss „furchtbar gelangweilt“

Die Strauss-Oper hat sich die Regisseurin selbst ausgesucht, was offenbar keine leichte Findung war. „Ich hatte das Stück einmal gesehen und fand es erst ganz schwierig. Ich habe mich furchtbar gelangweilt. Aber wir hatten große Lust, Strauss zu machen. Und als ich anfing, mich mit dem scheinbar sperrigen Stück intensiver zu beschäftigen, entwickelte es einen ganz enormen Sog.“ Sie will die Geschichte in der Zeitlosigkeit belassen. „Ich bin immer ein großer Fan von Zwischenwelten“, sagt sie. „Wenn wir beispielsweise die Märchenfigur des Kaisers konkret als einen bekannten Politiker auf die Bühne bringen würden, dann wäre für mich die Geschichte deutlich kleiner. Wir würden die Figur um Facetten berauben.“ Ihre Inszenierung spiele weder in der Entstehungszeit der Oper vor hundert Jahren, noch im heutigen Berlin.

Die Regisseurin möchte aus der Oper „etwas ganz Feines, Zwischenmenschliches und Zerbrechliches herausdestillieren.“ Und darüber hinaus schwärmt sie von der Musik. „Bei uns spielt ein Kammermusikensemble mit zehn Musikern. Das wird anders klingen, denn im großen Orchesterapparat herrscht eine andere Sprache. Bei uns wird es solistischer und moderner klingen, weil die Reibungen der einzelnen Stimmen dichter aneinander liegen. Strauss’ Musik aber ist und bleibt einfach wahnwitzig toll.“

Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133, Neukölln. Tel. 68890777 Termine: 25., 27., 30./31.8.