Wer viel schreibt oder zeichnet, schwört Kugelschreibern gemeinhin ab, weil die Geräte ein klecksendes, störrisches Eigenleben haben. Eine Herausforderung, die Nadine Fecht nicht abschreckt. Ganze 1805 Kugelschreiber hat die Künstlerin für ihre Arbeit „Jedes Kollektiv braucht eine Richtung“ gleichzeitig über das Papier geführt. Mehr konnte sie nicht bewegen. Wie der Titel schon verrät, hat das Werk einen politischen Subtext. Untersucht wird das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft. Aus dem Pulk der Kugelschreiber scheren dabei nur wenige aus. An den Rändern sind es deutlich mehr. Fast so, als wäre die Zeichnung ein Kommentar zur aktuellen politischen Lage im Land.
Nur ein Werk der Ausstellung „World Framed“ im Kupferstichkabinett, hinter dem mehr steckt, als man auf den ersten Blick wahrnimmt. Was die von Jenny Graser kuratierte Schau so spannend macht. Gefeiert wird damit das 15-jährige Jubiläum der Kooperation zwischen dem Kupferstichkabinett und der Schering Stiftung. Letztere erwirbt hochkarätige zeitgenössische Zeichenkunst aus den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart als Dauerleihgaben für das Museum.
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Bei der ersten Schau der Schering Stiftung vor zehn Jahren musste das Kupferstichkabinett Werke aus der eigenen Sammlung dazu hängen, um Lücken zu füllen. Jetzt können aus dem Bestand der rund 130 erworbenen Werken nur noch 85 gezeigt werden. Präsentiert werden nichtfigurative, abstrakte Werke.
Eines der fünf Kapitel ist mit „Risse, Fingerabdrücke und Faltungen“ überschrieben. Die hier zu findenden Positionen kommen ganz ohne Stifte aus. Stattdessen wird mit Abrieb, Schnitten und Rissen gearbeitet. Es geht um die manuelle Berührung des Papiers wie bei N. Dash. Auf dem Weg mit der U-Bahn zu ihrem Atelier faltet die Künstlerin Papier. Die so entstehenden Knickspuren bearbeitet sie anschließend mit Pigmenten oder Acryl.
Im Kapitel „Raster, Linien und Moiré-Effekte“ folgen die Künstler hingegen komplexen Regeln, die sie selbst festlegen. Ihre genaue Ausführung ist aber meist unmöglich. Daher werden Fehler zum Teil des künstlerischen Prozesses und geben den Werken erst den berühmten, flimmernden Moiré-Effekt. Wie in Sophie Totties „Written Language“. Gegenstandslos entzieht sich die filigran gezeichnete, großformatige Arbeit explizit einer Deutung. Dafür spricht es auf eindrucksvolle Weise die Sinne an.
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Der Ausstellungstitel ist übrigens einer der zehn Zeichnungen der Serie „Subjects“ von Matt Mullican entlehnt, auf die man beim Hereinkommen eingangs unmittelbar blickt. Der in Berlin und New York lebende Konzeptkünstler in den für ihn typischen Diagrammen die Welt in Farben und Zeichen codiert. Gelb etwa steht für Ideen und Kreativität. Blau für die Alltagswelt und das Unterbewusste.
In die „gerahmte Welt“ seiner präzisen Lithografien schleicht sich durch Handzeichnungen die „ungerahmte Welt“ ein. Mullican ist nämlich immer mit dem Fahrrad zur Druckerei nach Kreuzberg gefahren. Kaum angekommen, hat er mit erhöhtem Puls Linien mit dem Bleistift hinzugefügt. Und so das Rationale mit dem Unberechenbaren der menschlichen Natur ergänzt. Ein pumpendes Herz unterminiert bekanntlich jede Akkuratesse.