Es war einmal ein seltsames Wesen, das trank und aß, sich fortpflanzte und sich Mensch nannte. Über die Umstände seines Aussterbens kann der Mensch – logischerweise – wenig berichten. Das übernehmen deshalb dankenswerterweise jetzt am Maxim Gorki Theater ein paar Aliens, die sich für diesen Anlass extra ein halbwegs humanoides Erscheinungsbild verpasst haben. Mit dem Abstand von immerhin rund 40 Millionen Jahren können sie nur darüber kichern, dass dieses primitive Wesen namens Mensch sich tatsächlich allen anderen Spezies überlegen fühlte und die selbst ernannte „Krone der Schöpfung“ dabei so viel Mist anrichtete, dass das „Projekt Erde“ schließlich eingestellt werden musste und verkündet wurde, dass es keine weitere Staffel in der bisherigen Form geben werde. Das trug sich irgendwann im Laufe des 21. Jahrhunderts zu. Recherchen ergaben, dass sich der Homo sapiens damals regelmäßig eines inzwischen längst ausgestorbenen Rituals namens „Theater“ bediente. Dass soll auch jetzt zum Einsatz kommen für das geplante Reenactment vom Ende der Menschheit, wie wir sie kannten.
Und das ist nur Vorgeschichte zu einem Gorki-Abend, der sich unter dem Titel „Planet B“ in nur knapp zwei Stunden noch zu einem irrwitzig abgedrehten, hochkomischen und sehr clever ausgearbeiteten Science-Fiction-Komödien-Kracher hochschrauben wird. Verantwortlich dafür ist die Theatermacherin Yael Ronen, die den Text gemeinsam mit dem Satiriker Itai Reicher geschrieben hat und selbst Regie führte. Die beiden hatten auch schon für das Cancel-Culture-Musical „Slippery Slope“ zusammengearbeitet, das 2022 zum Theatertreffen eingeladen wurde.
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Und sagen wir mal so: Auch das Thema von „Planet B“ ist im Kern ja nun wirklich kein lustiges, ganz im Gegenteil. Es geht um Klimakrise, Massenartensterben und das Ende der Menschheit. Aber Yael Ronen ist einfach unfassbar gut darin, diese ganzen drängenden und existenziellen Themen mit einer draufgängerischen Leichtigkeit so anzugehen, dass man sich bestens unterhalten fühlt, ohne dabei jedoch das leicht unangenehme innere Zwicken ignorieren zu können angesichts der Brisanz der verhandelten Dinge.
Zurück zur Story des Abends: Wir befinden uns nach der Vorrede also inzwischen irgendwann im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert. Die Aliens sind auf der Erde gelandet, um das nächste Massenartensterben anzuschieben, für das der Mensch ja schon eine ansehnliche Vorarbeit geleistet hat. Früher wurde sowas mittels Naturkatastrophe geregelt, doch diese Mal ist das Vorgehen ein anderes: Es gibt zum Alien Entertainment eine Live-Reality-Show, in der entschieden wird, welche Arten aussterben werden und welche wenigen eventuell noch eine letzte Chance bekommen.
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Das Ganze findet in Kleingruppen-Battles statt. Die Spezies Mensch, repräsentiert vom 52-jährigen Bremer Versicherungsvertreter Boris Baumann, verschlägt es in eine Gruppe mit der Fledermaus, der Ameise, dem Fuchs, dem Krokodil, dem Huhn und dem Panda. Auf der von Wolfgang Menardi als angedeutetes Weltkugelgerüst mit sehr angeschrägter und nach vorne geneigter Spielfläche gestalteten Bühne verargumentiert und debattiert man nun die eigene evolutionäre Bedeutung. Vor der darstellerischen Leistung des Ensembles kann man sich an dieser Stelle nur verneigen.
Das ist schlicht grandios, wie ausnahmslos alle ihren Tieren Charakter und Persönlichkeit, ja sogar Abgründe, verleihen: Da ist zum Beispiel Maryam Abu Khaleds lebensmüder, depressiver Panda oder das Huhn von Orit Nahmias, das sich als Eier-Industrie-Überlebende positioniert. Alexandra Sinelnikovas Fuchs kommt als eine Art cooles Insta-It-Girl daher, das die Kunst der Anpassung perfektioniert hat und Aysima Ergüns Ameise erlebt, plötzlich getrennt von ihrem Ameisenstaat, eine Identitätskrise. Bei Dimitrij Schaads Macho-Krokodil erweist sich die Ruppigkeit zunehmend als pure Selbstvergewisserung-Show, der in Wahrheit ein handfestes Trauma aus anderen bereits erlebten Massenartensterben zugrunde liegt. Und dann ist da noch Jonas Dassler, der eine sensible, weltentrückte Fruchtfledermaus spielt, mit E-Gitarre und gruftiger Rockstar-Aura. Und ein paar musikalischen Einlagen.
„Planet B“ am Gorki bekommt üppigen Schlussapplaus
Sie alle spielen fabelhaft, und zwar tatsächlich im Wortsinn, denn natürlich liegen diesen Tieren ja menschliche Prototypen zugrunde. Das ist anspielungsreich, schlau und mit extrem großer Spielfreude und sehr viel Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Ein paar kleinere Kalauer-Klippen inklusive, aber geschenkt. Ein Wort noch zum Menschen in der tierischen Runde: Niels Bormann verkörpert ihn, und sein Versicherungsvertreter ist, wie man sich leicht vorstellen kann, nicht gerade ganz oben auf der Beliebtheitsskala bei den anderen tierischen Mitstreitern. Hatten doch alle Spezies, mal mehr (Huhn) und mal weniger (Krokodil), unter der menschlichen Hybris bereits ziemlich leiden müssen. Trotzdem schlägt er sich wacker und schafft tatsächlich den Einzug ins Finale. Das Ende lassen wir hier mal offen, nur so viel: Dem üppigen Schlussapplaus nach zu urteilen hat dieser Abend durchaus das Potenzial, zum nächsten großen Gorki-Hit zu werden.
Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Kartentel. 20 221 115. Nächste Termine: 11.06., 14.06., 08.07.