Berlin. Kann, soll oder muss gar ein Kunstwerk, ein Theaterabend unabhängig von seinen Umständen zu verstehen sein? Die Frage nach dieser Kontextunabhängigkeit ist eine alte in den Künsten. Gegenfrage: Wie könnte es?
Die jüngste Premiere am Maxim Gorki Theater ist eingebettet in einen „Prolog im Frühling“ des 6. Berliner Herbstsalons. Üblicherweise verhandeln die Herbstsalons politische Grundsatzfragen in und mit zeitgenössischen Kunstwerken. Dieser „Prolog“ widmet sich einem besonderen politischen Ereignis: dem zehnten Jahrestag der Proteste im Istanbuler Gezi-Park, die zu Demonstrationen in vielen türkischen Städten gegen die zunehmend autokratische Regierung des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan geführt hatten.
Maxim Gorki Theater: „Alles wird schön sein“ ist Uraufführung von Hakan Savaş Mican
„Alles wird schön sein“ ist eine Uraufführung von Hausregisseur Hakan Savaş Mican, ein kurzer, erzählerisch-poetischer und musikalischer Theaterabend über zerrissene Identität und ihre immer gleichzeitig in zwei Richtungen laufende Sehnsucht. Ali, geboren in Berlin, aufgewachsen an der Schwarzmeerküste und in Ankara, zum Studium zurück nach Berlin gezogen, bekommt ein Kind, dessen Geburt er wegen eines Gehirntumors „groß wie eine saftige Mango“ nicht mehr erleben wird.
Um seinem Kind etwas von sich zu hinterlassen, nimmt Ali mit seinem alten Freund Yavuz und zwei Musikern ein Mixtape auf, eine Kassette mit unterschiedlichen Songs. Erzählungen, Geständnisse und Erinnerungen wechseln sich mit ihnen ab, von Roberto Blanco und Depeche Mode zu portugiesischen, türkischen, kurdischen und auch einem griechischen Lied, das Ali nur vermeintlich beiläufig als „nicht türkisch“ beschreibt. Es kommt von der Schwarzmeerküste, woher seine Großeltern stammten.
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Während Ali von seinem Leben erzählt, funkt ein politisches Jubiläum nach dem anderen in seine kleine Geschichte. Vor zehn Jahren die Gezi-Proteste, vor 100 Jahren die Deportation der an der Schwarzmeerküste lebenden Griechen, vor 30 Jahren der Brandanschlag auf ein alevitisches Festival in Sivas mit 37 Toten. Ali war dabei, hat den Flammen zugejubelt, wollte als Jugendlicher was gegen „die Kommunistenschweine“ tun. Nun reißt ihn der Krebs aus dem Leben, und er schämt sich vor seinem ungeborenen Kind.
Da Mican bei seinem Stück Regie geführt hat, kann er Ali als Doppelerzähler anlegen, der seine Geschichte zugleich seinem Kind und dem Publikum erzählt. Ihn spielt Taner Şahintürk mit lässiger Zartheit, ohne Larmoyanz oder Pathos, begleitet von Emre Aksızoğlu, der seine Stichwortgeberrolle souverän meistert. Die musikalische Leitung übernehmen die türkische Jazzpianistin und Sängerin Merve Akyıldız und der deutsche Multiinstrumentalist Peer Neumann, beide aus dem Umfeld der Neuköllner Oper und beide beispiellos begeisternd.
Eingebettet in den vorsommerlichen Auftakt des Herbstsalons ist der Abend eine Reflexion über die Gewaltgeschichte der Türkei gegenüber ihren vielen Minderheiten, den Pontosgriechen, Aleviten und Kurden. Unmittelbar vor der Stichwahl um das türkische Präsidentenamt eine nachdrückliche Setzung.
Gorki, Am Festungsgraben 2, Mitte. 28. Juni, 20.30 Uhr.