Joana Mallwitz, derzeit noch Generalmusikdirektorin des Nürnberger Staatstheaters, wechselt zu Beginn der neuen Spielzeit ans Konzerthaus Berlin. Sie ist die erste Chefdirigentin in der Berliner Geschichte. In ihrer ersten Saison will die 37-Jährige neben klassischen Abonnementkonzerten überraschend viele Vermittlungsprogramme leiten und damit den Kontakt zum Publikum suchen. Die Saison wird offiziell am 31. August vom Konzerthausorchester eröffnet.
Ihr Einstiegskonzert beginnt mit den drei ersten Sinfonien von Mahler, Weill und Prokofjew. Was soll das Publikum an Ihrer Auswahl ablesen?
Joana Mallwitz Ich wollte gerne im ersten Programm mit dem Konzerthausorchester zeigen, wohin unsere Reise gehen wird. Wir haben wahnsinnig viel vor, was man gar nicht in einem ersten Konzert abbilden kann. Aber ein Schwerpunkt wird das große romantische Kernrepertoire sein. Wir werden sicherlich viel Mahler zusammen machen. Die erste Sinfonie hat genau die richtige Energie für den Start. Kurt Weill wird ein Schwerpunkt der ersten Spielzeit sein, im Focus liegen die beiden frühen Sinfonien und die Ballettmusik „Die Sieben Todsünden“. Es wird auch unser erstes gemeinsames großes Aufnahmeprojekt mit der Deutschen Grammophon. Mit Prokofjew beginnen wir, weil das der erste Klang sein soll, wenn wir die Bühne betreten. Prokofjews erste Sinfonie ist eine liebevoller Verbeugung vor der klassischen Vergangenheit, zugleich ist sie sehr frech mit einem überraschenden Witz.
Den alten Dirigenten bleiben also die letzten Sinfonien, die Unvollendeten, die Requiems vorbehalten?
Nein, es wird alles mal kommen.
Intendant Sebastian Nordmann hatte schon erzählt, dass Sie als Chefdirigentin bei Abokonzerten selbst vors Publikum treten und die Einführungen machen werden. Warum tun Sie sich das an?
Ich glaube, dass es eine noch größere Nähe zwischen dem Werk und dem Hörer schaffen kann. Bei den Einführungen geht es nicht um den Anspruch, einen kompletten dramaturgischen Überblick zu geben. Dafür gibt es Programmhefte. Ich möchte eher kleine persönliche Einblicke in ein Werk geben. Was ist mir daran wichtig und warum spielen wir es? Ich möchte die Neugierde und Freude am Werke erhöhen. Ich habe Einführungen bereits in Erfurt und in Nürnberg gemacht. Tatsächlich habe ich mich manchmal gefragt: Warum mache ich das? Ich spreche, obwohl ich mich selber auf das Konzert konzentrieren muss. Aber jedes Mal habe ich eine starke Energie aus dem Publikum zurückbekommen. Ich weiß, es lohnt sich. Ich muss das machen.
Und wie muss man sich das im Konzerthaus praktisch vorstellen?
Ich habe darum gebeten, dass ein Flügel mit auf der Bühne steht, damit ich auch mal etwas anspielen kann. Ansonsten wird es jedes Mal ein bisschen anders ablaufen.
Sebastian Nordmann hat gerade mitgeteilt, dass er im Januar 2026 nach Luzern wechselt. Sie sind offiziell noch gar nicht im Amt und Ihr Intendant verkündet, dass er weggeht?
Sebastian Nordmann hat mich ans Konzerthaus herangeführt. Als Intendant ist er ein Unterstützer und ein Ermöglicher, der viel am Haus bewegt hat. Die Chemie mit dem Orchester und mit der Leitung des Hauses musste stimmen, damit ich überhaupt in Betracht ziehen konnte, fest an das Haus zu kommen. Das war absolut der Fall. Es ist der richtige Ort für mich. Ich freue mich darauf, dass wir die ersten beiden Spielzeiten komplett zusammen arbeiten. Natürlich finde ich es schade, dass er nicht länger bleibt. Aber ich verstehe seine persönliche Entscheidung.
Wie oft standen Sie bislang am Pult des Konzerthausorchesters. Wie nehmen Sie Ihr neues Orchester wahr?
Wir hatten während der Corona-Zeit zweimal die Chance, uns bei großen Projekten kennenzulernen. Das eine war Schuberts Große C-Dur-Sinfonie, das andere Tschaikowskis „Pathétique“. Dabei habe ich gemerkt, dass ich mit diesen Menschen zukünftig Musik machen möchte. Nachdem der Spielbetrieb wieder aufgenommen wurde, habe ich versucht, mir so viel wie möglich anzuhören. Das Orchester ist genau das, was ich suche. Es hat eine starke Identität auch im Klang. Es hat einen traditionell dunklen, warmen und herben Klang, den ich wunderschön finde. Gleichzeitig verfügt das Orchester über all das Wissen, was einen modernen Klang ausmacht. Es geht um eine frische, detailreiche und artikulierte Musizierweise. Diese Verbindung suche ich in jedem Repertoire.
Aus Nürnberg bringen Sie die „Expeditionskonzerte“ mit. Was gibt es in der Klassik überhaupt noch zu entdecken?
Es geht immer um ein großes Werk der Musikgeschichte. Es gibt einen moderierten Teil, dann wird das Werk von A bis Z musiziert. Die „Expeditionskonzerte“ haben sich bereits als eine Marke etabliert, die ich nach Berlin mitbringen möchte. Das Format gibt es schon seit meiner Erfurter Zeit. Es entstand aus dem persönlichen Wunsch heraus, meine eigene Begeisterung, wenn ich Werke oder einzelne Stellen entdecke, an so viele Menschen wie möglich weiterzugeben. Ich habe am Zulauf bei den „Expeditionskonzerten“ in den vergangenen zehn Jahren gemerkt, wie wichtig das gemeinsame Hören und Erleben ist. Das Ganze findet in einer etwas ungezwungeneren Atmosphäre statt.
Mit den „Night Sessions“ kündigen Sie ein weiteres neues Format an. Was muss man sich darunter vorstellen?
Ich weiß selbst noch nicht genau, wohin uns die Reise damit trägt. Aber ich glaube, dass Berlin dafür der richtige Ort ist. Ich wünsche mir, in dem Format noch ungewöhnlichere oder unbekannte Dinge spielen zu können. Es geht auch um moderne und zeitgenössische Werke. Im Grundsatz gilt: Gute Musik ist gute Musik, ob sie von Steve Reich, von Monteverdi oder den Beatles stammt. Es handelt sich wiederum um ein moderiertes Konzert mit einem Unterhaltungsteil. Es wird immer ein Gast dabei sein, der aber nicht aus dem klassischen Musikbetrieb kommt. In der ersten „Night Sessions“ wird es ein DJ sein. Später werden werden ein Koch oder eine Schauspielerin erwartet. In diesem Format werden aber nicht alle Werke in Gänze aufgeführt. Es geht mehr um die Inspiration.
Haben Sie schon den Umzugswagen bestellt?
Theoretisch sind wir schon seit einigen Monaten umgezogen. Wir konnten aber noch nicht in Berlin sein, weshalb unausgepackte Umzugskisten in der Wohnung stehen. Wir werden im August klar Schiff machen. Aber ja, wir werden mit der ganzen Familie jetzt Neu-Berliner.
Als erste Chefdirigentin in Berlin kommen Sie in eine Vorbildrolle. Was sagen Sie jungen Musikerinnen, die selber gerne ans Pult wollen. Was ist heute der richtige Weg, um diesen Beruf zu ergreifen?
Ich würde jedem jungen Musiker und jeder jungen Musikerin sagen: Tu es nicht! Und wer es trotzdem tut, der ist an der richtigen Stelle.