Ein kleiner Konferenzraum im vierten Stock des Regent Hotels. Lang Lang bittet um fünf Minuten Pause in seinem Interviewmarathon, er spricht auf chinesisch in sein Handy – schnell und konzentriert. Gleich darauf Begrüßung in breitem US-amerikanischen Englisch. Auch die Gesten des 41-jährigen Klavierstars ändern sich jetzt, sie werden raumgreifender, einladend. Der Klavierstar Lang Lang, in China geboren und ausgebildet, mit 15 Jahren zum Studium an das Curtis Institut in Philadelphia gegangen, danach, bis heute: internationale Karriere als Ausnahmepianist jenseits aller Grenzen von Genres und Geschmack. Das ist in jedem Augenblick des Alltags eine Synthese von Weltkulturen – in Person.
Lang Lang ist nur kurz in Berlin, für ein Konzert des Mahler Chamber Orchestra unter Andris Nelsons am Dienstag in der Philharmonie und um auf sein großes Waldbühnen-Konzert „The Disney Book“ im Juli aufmerksam zu machen.
Lang Lang war als junger Pianist von Christoph Eschenbach entdeckt worden
Seit Lang Lang als junger Künstler von Dirigent Christoph Eschenbach entdeckt wurde, ist kein Konzert vergangen, in welchem der Pianist nicht Emotionen, die in Musik eingeschlossen sind, an die Oberfläche geholt hat. Dazu nutzte er nicht nur sein minuziös und in strenger chinesischer Familie erlerntes Klavierspiel. Lang Lang ist auch berühmt für sein gestisches und mimisches Repertoire, um diese Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Für seine extrovertierte, cineastische Attitüde, die oft weit über das tatsächlich zu Hörende hinausging, ist Lang Lang in seinen ersten Jahren in Europa, Deutschland, Berlin viel verspottet worden. Das Publikum aber liebte ihn. Denn Lang Lang ist auch ein betont naiver Vermittler von künstlerischen Werten, die hierzulande kaum noch thematisiert werden und deshalb auch de facto oft verschüttet sind.
In seiner Heimat ist das anders. Lang Lang ist da einer der ersten, die zum qualifizierten Vergleich fähig sind: Vor wenigen Wochen erst sei er in der chinesischen Metropole Shen Zen mit klavierspielenden Kindern in Kontakt gewesen. „Je jünger, desto besser sind sie.“ Er lacht. Und sagt: Ob sie sogar als Pianisten Karriere machen könnten, mache sich nicht an ihrer Technik fest, sondern daran, ob sie Gemeinsamkeiten zwischen ihrer Kultur und der europäischen entdeckten.
Hierzulande ist der emotionale Abstand zwischen herkömmlichen Konzerten und jungen Leuten normalerweise riesig. Lang Lang sieht hier immer noch vor allem ältere Abonnenten als konstituierenden Teil der Hörerschaft. Nicht zuletzt deshalb haben ja viele Konzertveranstalter hierzulande nach der Corona-Pandemie es mit der Angst zu tun bekommen. Was, wenn das gewohnte Publikum das klassische Konzertleben auch auf Dauer derartig meidet wie in den ersten Monaten nach Öffnung der Konzertsäle?
Lang Lang kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als alles dichtmachte. Im Februar 2020, kurz vor dem Lockdown, spielte er im Konzerthaus zur Feier von Chefdirigent Christoph Eschenbachs 80. Geburtstag. Eschenbach war einst der erste dirigentische Förderer des Jungpianisten – nun wird er in der kommenden Woche feierlich im Konzerthaus verabschiedet. Lang Lang blickt überrascht auf: Immerhin ist das nächste Woche, schräg gegenüber von dem Raum, in dem wir gerade sitzen.
Als reisender Virtuose lebt er in Paris, Shanghai und New York
Lang Lang, vielbeschäftigt, hat Eschenbach offenbar aus den Augen verloren. Und doch hat der dirigentische Altmeister für ihn eine besondere Bedeutung: Als 17-jähriger Einspringer spielte Lang Lang einst mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Leitung von Eschenbach das Erste Klavierkonzert von Tschaikowsky, es war sein Durchbruch. Und Eschenbach wusste, wie man Lang Langs Begabung für das Sichtbarmachen von musikalischen Emotionen zum Erfolg werden lässt.
Für seine europäischen Konzerte wohnt Lang Lang mit seiner deutsch-koreanischen Ehefrau und seinem zweijährigen Sohn in Paris. Auch in Frankfurt ist er oft und unterhält sich mit seinem Schwiegervater, einem Producer des Hessischen Rundfunks, über den so faszinierend unterschiedlichen Zugang von Asiaten und Europäern zur Kunst – wie es Lang Lang auch schon einst mit seinem Klavierprofessor Gary Graffman in den USA tat. Dieser war ein begeisterter Sammler asiatischer Kunst.
Wo wohnt Lang Lang eigentlich, außer im Flugzeug? Mit diesen Informationen ist er freigiebig. Für asiatische beziehungsweise US-amerikanische Konzerte habe er jeweils ein Domizil in Shanghai und eines in New York. Die Förderung durch Eschenbach braucht er längst nicht mehr – und auch die Klassikstadt Berlin erschließt er sich als Domäne auf seine eigene Art. Am 22. Juli wird Lang Lang in die Waldbühne kommen, für seine Präsentation eines Programms, das er während der Pandemie für Disney Plus produziert hat.
Es handelt sich um speziell für Lang Langs ureigenes Klavierspiel bearbeitete Filmmusik-Hits aus rund dreißig Disney-Filmen. Die US-Arrangeure haben dabei die Stile romantischer Komponisten wie Liszt und Schumann in ihre Fassungen der Disney-Musik amalgamiert. So ist garantiert, dass Lang Lang den Kern seiner Kunst zeigen kann, denn seine Spezialität – es ist weiterhin pianistische Virtuosität im Sinne des alten Europa.
Lang Langs Waldbühnen-Konzert „The Disney Book“ am 22. Juli um 20 Uhr