Die Nachricht, der Zeichentrickfilm „Arielle, die Meerjungfrau“ werde neu und real verfilmt, war 2019 kaum raus, da hagelte es schon Kritik. Weil eine Schwarze, die R&B-Sängerin Halle Bailey, die Titelfigur spielen sollte. Auf Twitter wurde unter dem Hashtag #NotMyAriel sogar zum Boykott des Films aufgerufen. Weil das dem Aussehen der „true little mermaid“ des Dänen Hans Christian Andersen widerspreche.
Schön, dass das Disney-Studio sich nicht beirren ließ. Und diesen Film auch noch zu seinem 100-jährigen Jubiläum ins Kino bringt. Disney bietet Kindern damit auch mal eine andere Identifikationsfigur. Und nicht nur eine: Arielles Schwestern haben alle möglichen Hautfarben und Nationalitäten. Und sind doch ganz selbstverständlich eine Familie.
Farbenblinde Besetzung: Ein klares Bekenntnis von Disney zu mehr Diversität
Wer sich damals erregt hat, wo es noch nicht mal einen Trailer zu sehen gab, sollte jetzt einfach mal ins Kino gehen. Und wird feststellen: Halle Bailey ist zwar eine etwas andere Arielle, aber sie ist ebenfalls bezaubernd. Und wenn sie erst mal den legendären Song „Part of your World“ singt, wird jede Kritik im Keim erstickt.
Die Realverfilmung ist auch sonst ein klares Bekenntnis zu Diversität. Nicht nur unter Wasser. Auch Prinz Erik (Jonah Hauer-King) hat in dieser Version Familie. Zumindest eine Mutter. Die Königin aber ist schwarz und hat ihn als Findelkind aufgenommen. Auch das wird nie hinterfragt.
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Aber immer schon ging es in diesem Film, und auch schon in Andersens Märchen, um Grenzüberschreitung und den Abbau von Ängsten vor dem Fremden. Arielle will die Welt der Menschen da oben, über dem Meeresspiegel, kennenlernen, auch wenn ihr grollender Vater Triton (Javier Bardem) das strikt verbietet: Dieselbe Neugier wurde einst Arielles Mutter, zum Verhängnis. Aber auch Erik, in den Arielle sich verliebt, will hier die weite Welt bereisen, auf andere Kulturen zugehen. Er sieht darin die Zukunft seines Landes, vor der die Königin sich bang abschottet.
Eine tolle neue Arielle – und doch stiehlt ihr die böse Ursula ein wenig die Schau
Rob Marshall, der reichlich Erfahrung mit Musical-Verfilmungen („Into the Woods“, „Nine“) hat und auch schon einen anderen Disney-Klassiker neu verfilmen durfte („Mary Poppins Rückkehr“), zaubert aus dem Trickfilm von 1989 erneut einen großen, knallbunten Spaß für die ganze Familie.
Mit atemberaubenden Unterwasseraufnahmen. Irgendwie ist das Blockbusterkino ja gerade im Tiefenrausch, nach Marvels „Black Panther: Wakanda Forever“ und Camerons „Avatar: The Way of Water“ badet nun auch Disney buchstäblich in Wasserwelten.
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Dabei wird auch die Tierwelt mit digitalen Mitteln zu staunenswerten Balletten von Seepferdchen, Delfinen und Schildkröten animiert. Und die Meereshexe Ursula, mit diebischer Freude von Melissa McCarthy gespielt, ist ebenfalls ein Hingucker, wie sie sich als Riesenkrake mit neonleuchtenden Saugnäpfen an Arielle heran- und herumschlängelt. Sie stiehlt ihr nicht nur die Sirenenstimme (im Tausch für drei Tage Menschsein), sondern auch ein bisschen die Schau.
Die Macher des Films wissen natürlich, dass fast alle das Original kennen – die Kinder von einst, aber auch die von heute – und spielen mit den Erwartungen. Sie folgen dem Trickfilm ziemlich originalgetreu, setzen aber markante Akzente. Arielle ist hier etwas schlauer und aktiver als anno ’89.
Singen auch ohne Stimme: Das gibt es nur bei Disney
Auch die Vermüllung der Meere und die Zerstörung der Riffe sind hier Thema. Und diesmal. soviel Gleichberechtigung muss sein, darf auch der Prinz singen. Und am Ende gibt’s sogar Meerjungmänner- und -kinder. Und alle leben in friedlicher Koexistenz.
Nur eins ist nicht ganz schlüssig. Alan Menken hat eigens für den Film drei neue Songs geschrieben. Einen singt Arielle aber, als sie schon keine Stimme mehr hat. Schon klar, ist nur eine innere Stimme. Aber dabei bewegt sie doch die Lippen. Wie erklärt man das seinen Kindern?
Fantasy, USA 2023, 126 min., von Rob Marshall, mit Halle Bailey, Melissa McCarthy, Jonah Hauer-King, Javier Bardem, Awkwafina