Künstliche Intelligenz

ChatGPT hat bei dieser brillanten Performance mitgeschrieben

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Träumen Roboter von elektrischen Schafen? Lena Reinhold in „Unknown Intelligence“.

Träumen Roboter von elektrischen Schafen? Lena Reinhold in „Unknown Intelligence“.

Foto: Pierro Chiuso

Was, wenn Maschinen denken? „Unknown Intelligence“ im Theater Aufbau Kreuzberg stellt die drängenden Fragen der Gegenwart.

Es beginnt, im Theater dieser Tage keine Seltenheit mehr, mit einer Triggerwarnung. Nur dass sie diesmal nicht von besorgten Menschen, sondern von der künstlichen Intelligenz ChatGPT formuliert wird: „Zuschauer*innen mit einer empfindlichen Reaktion auf Technologie oder existenzielle Fragen sollten diese Inszenierung möglicherweise vermeiden“, ist als Projektion auf dem Vorhang zu lesen, während im Hintergrund leise Elektromusik wabert.

Man stutzt kurz und fragt sich, woher der Chatbot die „existenziellen Fragen“ nimmt. Sie waren in der Fragestellung nicht impliziert: „Kannst du eine Triggerwarnung für eine Performance formulieren, in der es um A.I. geht?“, lautete sie. Es wird nicht das letzte Mal in dieser umwerfenden Inszenierung von Nicole Oder sein, dass man am soeben Gehörten und Gelesenen zu zweifeln beginnt: Das soll eine Maschine gesagt haben? Wie ist das möglich?

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Der wie Steve Jobs, also mit Rundbrille und schwarzem Rolli kostümierte Alexander Eebert sitzt vor der halbdurchsichtigen Box, in der wir, schemenhaft und ganz in Weiß, mehrere Schauspielerinnen erkennen. Mit ihnen wird er, unterlegt von Heiko Schnurpels Sounddesign und begleitet von Baris Hasselbachs Videokunst, in den konzentrierten anderthalb Stunden Zwiesprache halten – aber nicht in Form fiktiver Dialoge. Jedes Gespräch hat so stattgefunden. Von Mensch zu Maschine.

Dabei werden die Anfänge der Entwicklung künstlicher Intelligenz genauso in den Blick genommen wie ihre aufregende, beunruhigende Gegenwart. Der Bogen spannt sich von Eliza, dem von Joseph Weizenbaum 1966 vorgestellten Programm zur Kommunikation von Computer und Mensch, bis hin zu den aktuellen Experimenten von Microsoft, ein Gesprächstool in die Suchmaschine Bing zu implementieren. Und zur erstaunlichen Geschichte des Softwareingenieurs Blake Lemoine.

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Der behauptete bekanntlich im Sommer 2022, die künstliche Intelligenz LaMDA verfüge über ein Bewusstsein und sei ein fühlendes Wesen, er wurde daraufhin von seinem Arbeitgeber Google entlassen. Der Fall löste eine breite Debatte über Fragen aus, die seit den Zukunftsvisionen Isaac Asimovs virulent sind und in der Populärkultur große Spuren hinterließen, vom fiktiven Supercomputer HAL in Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ bis zu den Androiden in Ridley Scotts „Blade Runner“: Welche Gefahren gehen von selbstständig denkenden Maschinen aus? Welche Chancen bieten sie? Welchen Regeln sollten sie folgen? Darf man sie wie Sklaven halten? Braucht der Mensch eine Ethik im Umgang mit einer neuen Spezies? Von welcher Art Bewusstsein ist hier die Rede? Träumen Roboter von elektrischen Schafen?

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Diese Fragen drängen mit großer Macht in die Gegenwart zurück, und die klug an der Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst balancierende Performance ermöglicht es, auch die emotionale Dimension zu erfassen. Nicole Oder schafft das mit gut dosierten theatralen Mitteln und sehr witzigen Einfällen. Wer hätte gedacht, dass sich Olivia Newton-Johns Aerobic-Hymne „Let’s get physical“ (1981) in diesem Kontext zum halb verheißungsvollen, halb alarmierenden Orakel der maschinellen Metamorphose wird? Dass sich selbst aus dem so oft zitierten Rilke-Gedicht „Der Panther“ neue Funken schlagen lassen? Und dass auch der Funke selbst als physikalisches Phänomen in zentrale Fragen der Quantenphysik führt? Ein faszinierender Abend der Ideen und Denkanstöße ist das und die bislang beste Berliner Performance des Jahres.

Theater Aufbau Kreuzberg, Prinzenstr. 85F. Termine: Sonntag, 21. Mai, 16 und 20 Uhr.