Vladimir Jurowski brachte mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin Jelena Firssovas Klavierkonzert zur Deutschen Erstaufführung.

Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt dirigiert Chefdirigent Vladimir Jurowski sein Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Viel Zeit, Beethovens „Coriolan“-Ouvertüre zu proben, hatte das Orchester offenbar nicht. Der Klangkörper liefert zwar eine konstante Klang- und Spielqualität. Die ständig laufenden Mittelstimmen in dieser schicksalsdräuenden Partitur sind auch transparent zu hören – aber das richtig pathetische „Coriolan“-Gefühl will noch nicht aufkommen. Im Konzert steht anschließend die deutsche Erstaufführung des Klavierkonzerts der russischen Komponistin Jelena Firssova an – und am Ende Schostakowitschs Vierte Sinfonie.

Jelena Firssovas Musik scheint Vladimir Jurowski ein großes Anliegen zu sein. Firssova gehört zu einer Gruppe von Komponistinnen und Komponisten, die in den späten 1970er-Jahren in Streit mit dem sowjetischen Komponistenverband geriet und in den Westen auswanderte. Das Klavierkonzert zeigt allerdings nicht die oberflächliche Skandalträchtigkeit, die eventuell ein westliches Publikum von solchermaßen unbotmäßigen russischen Künstlern erwartet. Firssovas Werk arbeitet mit Kategorien klassischer Orchestermusik – was es keineswegs uninteressant macht: In hellem Klang werden virtuose Frage-Antwort-Passagen zwischen den Bläsern und Streichern inszeniert.

Der Pianist veredelt das Stück selbst in den wüstesten Passagen

Firssova zeigt, dass man auch aus traditionellen Laut-Leise-Kontrasten noch einen Ausdruck ziehen kann, der selbst das alte Kunstmöbel „Orchester“ auf der Höhe gegenwärtiger künstlerischer Kommunikation erscheinen lässt. Yefim Bronfman am Klavier ist ein Erlebnis. Zum einen, weil er sich mit Haut und Haar und großer Präzision noch auf die schwierigsten Passagen dieses neuen, unbekannten Werks eingelassen hat. Zum anderen, weil sein klar und kultiviert singender Ton das Stück selbst in den wüstesten Passagen hörbar veredelt.

Jelena Firssowas Musik bleibt in ihren Gesten deutlich auf die musikalische Poetik des russischen Solitärs Dmitri Schostakowitsch bezogen – dessen Vierte Sinfonie in unseren Ohren geradezu entgegengesetzt zu Firssovas Klavierkonzert klingt. Während man Firssovas Musik in jedem zukünftigen Zeitalter gerne hören dürfte, wurde die Vierte von Schostakowitsch erst 30 Jahre nach Entstehung uraufgeführt und wird von Orchestern ob ihrer immensen Schwierigkeiten und Aggressivität auch heute nie gerne gespielt. Das RSB unter Jurowski, zweifellos mit einiger Schostakowitsch-Expertise gewappnet, fräst sich da nicht lediglich durch. Das Orchester umgibt noch die inhumanen Kakophonien des ersten Satzes, diese Hatz durch eine entseelte Landschaft, mit einem gewissen Schleier einer Aura, die aus einer früheren, romantischen Zeit zu stammen scheint.