Choreograph und Intendant Christian Spuck stellte sich mit einer bejubelten Premiere von Verdis Messa da Requiem beim Staatsballett Berlin vor.
Christian Spucks Bühnenzauber über Verdis Messa da Requiem war bereits bei seinem Züricher Ballett, dem er noch vorsteht, ein Riesenerfolg. Es hat sich als eine kluge Entscheidung herausgestellt, einige Monate vor seinem offiziellen Amtsantritt als Intendant beim Staatsballett Berlin diese überaus atemvolle Choreographie wie eine Visitenkarte dem Publikum entgegenzuhalten. Man kann davon ausgehen, dass die Berliner seine künftigen Arbeiten lieben werden. In der Deutschen Oper sah sich die Messa da Requiem jedenfalls bei der Premiere am Freitag gefeiert.
Eine Gefühlsprozession mit einer schier unüberschaubaren Zahl von Mitwirkenden hat Spuck auf die düstere Bühne (Christian Schmidt) in der Deutschen Oper gebracht, es sind sowohl die Tänzer und Tänzerinnen des Staatsballetts, die Choristen und Choristinnen des Rundfunkchors Berlin und die vier Gesangssolisten szenisch involviert. Es ist ein Gesamtkunstwerk, das vom Zusammenspiel vieler großartiger Einzelleistungen lebt. Die Produktion gehört zweifellos zu den Highlights dieser Berliner Spielzeit.
Dennoch sehen sich am Premierenabend vier Akteure besonders bejubelt oder mit stehenden Ovationen bedacht wie Choreograph Christian Spuck, der sich damit in Berlin einhellig begrüßt sehen darf. Bejubelt wurde Primaballerina Polina Semionova, die sich diesmal nicht auf Spitze herausheben sollte, sondern an der Seite von David Soares vor allem mit ihrer anmutigen Zerbrechlichkeit faszinieren konnte.
Großer Jubel auch für das Orchester und den Dirigenten Nicholas Carter
Begeisterung schlug nach den anderthalb Stunden auch dem Dirigenten Nicholas Carter entgegen, der am Pult des Orchesters der Deutschen Oper nicht nur das Dies Irae zur apokalyptischen Höllenfahrt des Jüngsten Gerichts werden ließ, sondern die Facetten in dieser Totenmesse von Giuseppe Verdis aufspüren konnte. Man wird nicht von düsteren Klangwellen überrollt. Kleinere Ungenauigkeiten im Zusammenspiel von Bühne und Orchestergraben werden sich wohl in den Folgevorstellungen begradigen. Unter den Gesangssolisten schlug bei der Premiere vor allem der Mezzosopranistin Annika Schlicht großer Jubel entgegen.

Das hatte etwas von einem Déjà-vu. Viele der beteiligten Musiker haben bereits zuvor ihre Erfahrungen mit Verdis berühmtem Requiem gemacht, ob konzertant oder szenisch. Gerade an der Deutschen Oper muss sich Christian Spucks Messa da Requiem mit einer andersartig bildmächtigen Inszenierung des Berliner Opernregisseurs Achim Freyer messen lassen, die vor gut zehn Jahren über die Bühne ging. In Freyers grotesker, symbolistischer Deutung war die Szene Schwarz, Weiß und zunehmend Rot, ein unendlicher Menschenstrom führte wie auf einem Laufsteg am Publikum vorbei. Das qualvolle Leben und der Tod waren in den skurrilen Figuren allgegenwärtig.
Christian Spuck, der an der Deutschen Oper bereits auch als Opernregisseur zu erleben war, deutet das Requiem lieber ins Innere hinein, die Tänzer und Tänzerinnen zeigen sich als Individuen, die mit Angst, Trauer, Einsamkeit und Tod umgehen müssen. Die vielen Pas de deux und Pas de trois sind rund um die Frauenfiguren formdicht angelegt und leben von fallenden Figuren und aufstrebenden Hebungen. Spät erst geht es auf Spitze in dieser modern neoklassischen Anmutung.
Spuck will keine Geschichte erzählen, sondern Stimmung entfalten. Im „Offertorium“ hellt sich die Atmosphäre auf. Herumgeschobene Tische sorgen für Unordnung. Im „Lacrimosa“ verzaubert das Corps de Ballet in einer eleganten Ballszene. Zwischendurch bilden sich auf der Bühne Menschentrauben heraus, einmal versuchen Tänzer rechter Hand an der grauen Wand des fensterlosen Raumes emporzuklettern. Spuck kann auf verblüffende Weise immer wieder die Tänzer mit den Choristen und sogar den Gesangssolisten in Bildern zusammenbringen.
Verdi war ein Agnostiker, aber Spuck hebt die religiöse Stimmung hervor
Verdis Requiem steht in einer Reihe mit berühmten Totenmessen, ob von Mozart, Beethoven oder Berlioz. Verdi hatte dem verstorbenen Dichter Alessandro Manzoni die Messe gewidmet, die dann am ersten Jahrestag von Manzonis Tod am 22. Mai 1874 in Mailand uraufgeführt wurde. Verwendet wurde der liturgische Text. Aber der Opernkomponist Verdi zählte zu den Agnostikern, für die es Gott geben kann oder auch nicht. Sein Requiem mag in Teilen opernhaft und weltlich angelegt sein, in Spucks Choreographie drängt eine zutiefst religiöse Stimmung hervor. Gerade auch wenn anstelle eines konkreten Kreuzes hier Botschaften wie Frieden an die Wand gemalt werden.
Der Rundfunkchor Berlin kann bereits in den ersten Takten mit seiner Klangschönheit überwältigen. Die vier Solisten, voran Annika Schlicht und Sopranistin Olesya Golovneva, stehen im Verlauf des Geschehens immer wieder im Mittelpunkt. Ganz am Ende senkt sich Bühne wie ein Sargdeckel über das Erlebte. Eine Frau bleibt einsam darauf zurück.
Es ist eine rundum beeindruckende Musiktheater-Produktion. Vielleicht sollte das Staatsballett in diesem Fall einmal darüber nachdenken, den heutzutage nur wenig vertrauten liturgischen Text in einer Übertitelung mitzugeben.
Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 206 092 630 Termine: 17., 29. April.; 4., 6., 12. Mai; 2., 19., 22. und 27. Juni