Manfred Maurenbrecher steht für Songpoesie, die nachhallt. Die Berliner kennen den Liedermacher und Schriftsteller natürlich vom kultigen Jahresendteam und seinem „Kabarettistischen Jahresrückblick“. Dabei übernimmt der 72-Jährige bekanntlich den musikalischen Part. Jetzt hat er mit „Menschen machen Fehler“ sein 23. Album vorgelegt, das neben überzeugenden Texten auf einen virtuosen, opulenten Sound setzt. Am 27. April stellt gibt der Musiker mit Band ein Record Release-Konzert im Mehringhof Theater. Im Gespräch verrät er, warum es wichtig ist, Fehler zu machen, und warum er für einen Weltstream plädiert.
Warum haben Sie Ihr neues Album nach dem Song „Menschen machen Fehler“ benannt?
Beim letzten Album „Inneres Ausland“ haben mich viele Leute gefragt, was das denn bedeutet. Was ich dann auch immer wieder auf der Bühne erklärt habe. Diesmal wollte ich einen Titel, der für sich spricht und bei dem jeder sofort Bescheid was.
Was bedeuten Fehler für Sie?
Trotz allem, was gerade auf der Welt passiert, bin ich letztlich immer noch ein optimistischer Mensch und denke, wir lernen aus unseren Fehlern. Dafür sind sie notwendig.
Welche Fehler sind für Sie verzeihliche, welche unverzeihlich?
Das ist schwierig zu beantworten. Was mein Leben angeht, würde ich sagen, dass ich mir alle Fehler, die ich gemacht habe, auch verziehen habe. Umgekehrt sehe ich rückblickend die Notwendigkeit, sie gemacht zu haben. Wie auf einer Wanderung, bei der man sich schon mal verläuft, aber auf einem anderen Weg auch zum Ziel kommt. Es waren Fehler, aber es war gut, sie gemacht zu haben.
Gab es prägende Fehler, die Sie weitergebracht haben?
Auf jeden Fall. Zum Beispiel habe ich schon während meiner Schulzeit und auch kurz danach mit zwanzig Lieder geschrieben. Freunde von mir haben da bereits gesagt, tritt doch endlich mal damit auf. Was ich ein ganzes Jahrzehnt lang rausgezögert habe, bis ich 27, 28 war. Das kann man als Fehler betrachten, denn die siebziger Jahre waren das Jahrzehnt für Liedermacher. Ich wäre wahrscheinlich mit 21 relativ bekannt geworden. Gerade hier in Berlin. Auf der anderen Seite hat es mir dieser Fehler aber ermöglicht, ein Jahrzehnt vor mich hinzuträumen, viel zu reisen und quasi terminfrei zu leben. Ein großes Geschenk, wenn man mit siebzig zurückblickt. Denn die meisten jungen Leute stehen unter einem unglaublichen Leistungsdruck. Sie wollen sich beweisen. Dem bin ich ausgewichen. Was letztlich gut war.
Hatten Sie bei Ihrer neuen Platte eigentlich ein Konzept-Album im Sinn?
Ich schaue mir immer an, welche Lieder im Laufe eines Jahres entstanden sind. Meist sind es Songs für den „Kabarettistischen Jahresrückblick“, aber auch Titel, die ich nur für mich schreibe und die teils nur halb fertig sind. Dass die Lieder inhaltlich so stark mit dem heutigen Zeitgefühl zusammenhängen, wie jetzt auf dem fertigen Album ersichtlich, war mir anfangs noch gar nicht klar. Da habe ich eher zwölf verschiedene Stücke gesehen.
Neben poetischen Songs wie „Am Fluss“ wird es in den Texten durchaus politisch. Es geht in „Mo Mi Do“ um eine veränderte Arbeitswelt, aber auch um Querdenker und Krieg. Gehört es für Sie als Liedermacher dazu, die Gegenwart musikalisch zu begleiten?
Dabei spielt der „Kabarettistische Jahresrückblick“ eine große Rolle, weil ich dafür jedes Jahr zwei bis drei Songs schreiben muss. Wie in der Satire üblich, müssen die erstens zeit- und jahrbezogen sein. Zweitens kommen über 10.000 Leute in unser Programm und hören zu. Die Lieder müssen sie also auch erreichen. Dafür sollte die Sprache nicht zu kompliziert sein.
Welche Themen bewegen Sie gerade besonders?
Da steht der Ukraine-Krieg an erster Stelle, weil ich zwei Mal den Westteil des Landes bereist habe. Ich bin bis Odessa gekommen und hatte mir immer vorgenommen, den Ostteil später anzuschauen. Dann begann aber 2014 schon der Krieg im Donbas und ich konnte nicht mehr hingefahren.
In der Pressemitteilung zum Album heißt es, Sie seien für eine Freundesschar der Verräter am oppositionellen Grundkonsens geworden. Im Booklet gehen Sie mit diesen Zeitgenossen wegen ihrer Haltung zum Ukraine-Krieg hart ins Gericht. Worum geht es da?
Mich kostet meine Haltung zum russischen Überfall auf die Ukraine vielleicht einige Freundschaften. Und zwar, weil manche Leute aus dem linken Umfeld wie früher verzweifelt die Schuld für den Krieg bei der USA oder der NATO gesucht haben. Bei denen, die jetzt Waffen an die Ukraine liefern und sie unterstützen.
Ich finde, dass sich durch den russischen Angriff alles verändert hat. Was vorher war, ist vorbei. Alte Antworten passen nicht mehr. Eine Weile lang habe ich noch gedacht, dass man darüber sprechen und diskutieren kann. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass sich die Fronten verhärtet haben.
Inwiefern?
Ich finde, was sich hier Friedensbewegung nennt, ist keine. Von dieser Seite wurde bislang kein einziges Mal gesagt, dass Russland aus der Ukraine verschwindet. Als die USA völkerrechtswidrig in den Irak einmarschiert sind, haben wir alle gefordert, Amis raus. Warum sagt man jetzt nicht, Russen raus aus der Ukraine? Dann kann man verhandeln. Stattdessen heißt es, die NATO soll keine Waffen mehr liefern. Das ist für mich keine Friedensbewegung.
Auf Ihrem Album werden schwergewichtige Inhalte gern durch beschwingte Melodien und schöne Arrangements konterkariert. Hatten Sie einfach mal Lust auf satte Opulenz?
Die drei vorherigen Alben haben wir jeweils an drei Tagen im Studio eingespielt und danach noch ein wenig daran korrigiert. Manchmal haben ich noch etwas neu gesungen oder der Gitarrist hat noch eine weitere Stimme dazu gespielt. Aber eigentlich kam das, was wir im Studio geliefert haben, auf die Platten. Diesmal haben mein Produzent Andreas Albrecht und ich gesagt, wir nehmen nur die Basics im Studio auf. Für alles andere laden wir die Musiker extra in sein kleines Hausstudio ein. Jeder sollte da etwas zu den Basics spielen. Weil dadurch der Druck weg war, alles in drei Tagen zu schaffen, konnte jeder seiner Spiellaune folgen. Unsere Arbeit war es, danach alles zu ordnen und manches Übertriebene rauszunehmen. Dadurch ist der Sound automatisch opulenter geworden.
Warum haben Sie sich erst jetzt dazu entschlossen?
Naja. Man lernt ja immer dazu. Man probiert aus und macht Fehler. Wir haben vor zehn Jahren mal eine ähnliche Produktionsweise gehabt, waren da aber noch unerfahren darin. Die Songs wurden alle recht sperrig, zu sehr ausgeklügelt und verkopft. Daher wollte ich ab da alles in einem Rutsch im Studio aufnehmen, um das Verkopfte aus der Musik rauszukriegen. Diesmal haben wir es wieder wie vor zehn Jahren gemacht. Allerdings mit einer anderen Grundeinstellung. Wir müssen uns jetzt nicht mehr beweisen, dass wir intellektuell sind.
Einige Ihrer neuen Songs haben mit ihrem Ohrwurm-Charakter das Zeug zum Hit. Blicken Sie auf die Charts, wenn Sie schreiben und komponieren?
Ich bekomme von den Charts heute überhaupt nichts mehr mit. Ich frage mich auch, wie die überhaupt ermittelt werden. Ich sehe bei meinem Sohn, der 33 ist, und bei seiner Frau, dass sie Musik immer nur nebenbei und über das Internet hören. Ich glaube, die beiden haben nur ein paar CDs, die ich ihnen mal geschenkt habe. Sonst haben sie gar keine mehr. Wie ermittelt man dann Charts?
Plädieren Sie dafür, statt zu streamen besser CDs zu kaufen, damit die Künstler von ihrer kreativen Arbeit leben können?
Ich streame schon gerne. Die Erfindung selbst finde ich großartig. Das habe ich ja auch im Lied „Musik“ eingebaut. Aber mein Ideal wäre es, wenn es einen Weltstream gäbe. Der würde die gesamte Musik auf der Erde beinhalten, soweit sie erfassbar ist. Und jeder käme daran. Dieser Weltstream würde der Unesco gehören und von ihr verwaltet werden, so dass keine großen Firmen etwas damit verdienen würden. Die Hörer zahlen Eintritt dafür. In einem reichen Land mehr als in einem armen. Ein Ghanese zahlt weniger als wir. Ganz einfach. Dann kann jeder streamen. Und die Autoren und Interpreten würden einigermaßen gerecht bezahlt werden.
Record Release: Mehringhof Theater, Gneisenaustr. 2a, Tel. 691 50 99, 27. April, 20 Uhr