An der Komischen Oper gibt Nadja Loschky ihr Regiedebüt mit Ambroise Thomas’ Oper „Hamlet“. Ein Gespräch
Nadja Loschky steckt mitten in den Endproben, als das Gespräch stattfindet. An der Komischen Oper bereitet die Regisseurin Ambroise Thomas’ Grand Opera „Hamlet“ für die Premiere am Sonntag vor. Die 39-Jährige kennt sich in Berlin bestens aus, seit sie an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ Regie studiert hat. Seit einigen Jahren ist sie Operndirektorin in Bielefeld, im Sommer übernimmt sie die Leitung. Nadja Loschky gehört zur neuen Generation der Regie-Intendantinnen, die in Deutschland Häuser übernehmen.
Es wird wohl einige Veränderungen mit sich bringen. Als wir auf den „Hundekot“-Skandal zu sprechen kommen, bei dem der Ballettdirektor in Hannover einer Kritikerin Hundekot ins Gesicht schmierte, möchte sie den Konflikt weiter greifen. „Das Theater ist ein humanistischer Tempel. Ich erlebe an vielen Theatern intern immer noch inhumane Arbeitsbedingungen, die mit fehlendem Respekt und falschem Tonfall zu tun haben“, sagt Nadja Loschky: „Man kann viele Dinge in Schärfe sagen, auch in Kritiken, aber es sollte immer mit Respekt sein. Niemals sollte jemand mit Fäkalien werfen, weder real noch verbal.“
Das ist Klartext und klingt zugleich vermittelnd. „In Bielefeld setzen wir auf flache Hierarchien und suchen künstlerisch eine Balance zwischen tradiertem Repertoire und neuen Stücken“, sagt Nadja Loschky. Sie ist eine Verfechterin von festen Ensembles an Häusern und schwört auf die gute Entwicklung hin zu Sängerdarsteller*Innen. Beiläufig reden wir über das Gendern, was sie nachdrücklich vertritt, und über Kinderbetreuung. Für eine Intendantin mit zwei kleinen Kindern ist es ein wichtiges Thema.
An der Berliner Eisler-Musikhochschule studierte sie Musiktheaterregie
Aufgewachsen ist Nadja Loschky in Karlsruhe, wo ihr Stiefvater im Orchester spielte. Ziemlich schnell entschied sich die Abiturientin, Musiktheaterregie in Berlin studieren zu wollen. „Mir wurde im Vorgespräch für die Aufnahmeprüfung gesagt, dass ich mit 19 Jahren zu jung für das Studium sei, weil sie eher Leute wollen, die bereits etwas anderes studiert haben“, erzählt sie. „Ich blieb stur, hatte aber vorsorglich in Leipzig einen Studienplatz für Musikwissenschaft und Kunstgeschichte. Dann kam aber doch der Anruf, dass ich an die Eisler kommen soll.“
Den Berliner Regie-Erneuerer und Bühnenschreck Hans Neuenfels nennt sie einen Mentoren. Die Begegnung war eher zufällig. Eine ehemalige Kommilitonin hatte ihm erzählt, dass Nadja Loschky gern bei ihm assistieren möchte. „Irgendwann klingelte mein Handy“, erzählt die Regisseurin. „Dann haben wir uns getroffen und er hat mich als Assistentin für die ,Traviata’ an die Komische Oper mitgenommen.“ Es folgten Bayreuth und die Akademie der Künste. „Von ihm habe ich gelernt, eine Inszenierung aus dem Geist der Musik heraus zu entwickeln. Der Regisseur muss Anwalt für jede Figur sein. Und immer muss auch das Unbewusste befragt werden, denn daraus gilt es Bilder heraufzubeschwören.“
Jetzt gibt sie ihr Regiedebüt an der Komischen Oper, was zugleich eine der letzten Premieren vor der Schließung des Hauses ist. „Es tropft auf der Orchesterprobebühne von der Decke, Eimer stehen auf dem Boden. Im Zuschauerraum hängt ein Netz an der Decke, damit nichts auf die Köpfe der Besucher:innen herunterfällt. Man bemerkt schon, dass das Gebäude dringend eine Generalüberholung braucht“, sagt sie: „Aber man merkt es nicht am Geist der Künstler:innen. Niemand macht den Eindruck, innerlich bereits abgereist zu sein.“
Es wurde jetzt mehr Shakespeare in die Oper von Thomas eingefügt
Thomas’ „Hamlet“ sei ein sehr depressives Stück, sagt sie, auch wenn es Momente des Lichts gäbe. „Es ist etwas faul im Staate Dänemark: Hamlet entlarvt die scheinbare Realität als bloße Fassade. Er blickt in den Abgrund. Es ist der eigene Abgrund, der einer Familie und der Gesellschaft“, sagt die Regisseurin. „Wir haben versucht, mehr Shakespeare in den Thomas einzuarbeiten. Die Welt der Totengräber haben wir surreal aufgeladen. Bei uns sind sie die Maden, die Hamlet unter der weltlichen Tapete entdeckt.“
Den auf einen Totenschädel einredenden Hamlet haben sicherlich viele vor Augen. In der Neuinszenierung bekommt der Schädel eine eigene Schauspielrolle. „Wir haben in der Oper eine Figur hinzugefügt, die es bei Shakespeare gibt. Dort kennt man sie nur aus dem Monolog Hamlets, den er ikonografischerweise immer mit dem Totenkopf in der Hand führt“, sagt die Regisseurin. „Der angesprochene, arme Yorick’ ist der Narr, der bei Shakespeare schon vor Handlungsbeginn gestorben ist. Den haben wir als Figur wieder auf die Bühne zurückgeholt. Er ist das Alter Ego von Hamlet, der innere Dämon, der ihn antreibt, die Welt anzuzünden.“ Nach der Premiere am Sonntag muss Nadja Loschky übrigens schnell wieder nach Bielefeld zurück. Bereits am Dienstag beginnt sie mit den Proben zu Leoncavallos „Zazà“.