Deutsche Oper

Tobias Kratzer: Frauenbilder auf dem Prüfstand

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Volker Blech
Opernregisseur Tobias Kratzer im Fahrstuhl an der Deutschen Oper.

Opernregisseur Tobias Kratzer im Fahrstuhl an der Deutschen Oper.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Regisseur Tobias Kratzer will in Richard Strauss’ „Arabella“ an der Deutschen Oper geschlechtliche Ambivalenzen stärker betonen.

Richard Strauss’ Oper „Arabella“ wird von der Deutschen Oper, wo sie am Sonnabend Premiere hat, als farbiges Panorama einer Gesellschaft angekündigt, deren spätbürgerliche Werte zerfallen. Starregisseur Tobias Kratzer gilt auch als Mann für große überwältigende Opernschinken. Der 43-Jährige ist ein analytisch-witziger, schnell denkender und schnell sprechender Gesprächspartner, der auf alles eine Antwort findet. Aber nein, widerspricht Kratzer, während das Foto im kleinen Fahrstuhl entsteht: „Ich habe einmal ein Gespräch mit einer christlichen Zeitung zum Thema Erlösung abgelehnt. Da musste ich sagen, dass ich zu dem Thema leider nichts beitragen kann.“

Sir Donald Runnicles dirigiert die Premiere, in der Endprobenphase musste Sara Jakubiak die Titelpartie von der erkrankten Gabriela Scherer übernehmen. Aber Einspringer, überhaupt Änderungen, gehören immer wieder zum Probenprozess. Mit seinem Konzept setze man immer nur die Eckpunkte, sagt Kratzer. „Ich weiß vorher schon ziemlich genau, wo ich in der Szene hinwill. Aber der Weg dahin hängt sehr von den jeweiligen Sänger:innen ab, mit denen ich probe. Ich halte Grundsetzungen insofern für überschätzt, weil die Qualität, die auf der Bühne ankommt, nicht das Konzept ist, sondern wie es sich mit den Darsteller:innen materialisiert.“ Das mache den Probenprozess auch so spannend.

Vor der Premiere möchte kein Regisseur zu viel von seiner Neuinszenierung und vor allem die Finallösung preisgeben. „Ich bin in Bayreuth trainiert, viel zu erzählen, ohne etwas preiszugeben“, sagt Tobias Kratzer. Aber er könne den analytischen Ausgangspunkt seines Konzeptes benennen. „Es ist das letzte Stück, das Hofmannsthal und Strauss zusammen geschrieben haben. Ihre gemeinsamen Arbeiten sind eigentlich durchweg produktive Missverständnisse.“ Dieses Missverständnis träte in „Arabella“ am stärksten hervor, weil der Librettist Hofmannsthal während des Kompositionsprozesses verstorben ist. „Hofmannsthal hat die Figur des Zdenka mit ihrer geschlechtlichen Ambivalenz und ihrer Männerkleidung viel mehr interessiert, was auf seinen frühen Prosaentwurf „Lucidor“ zurückgeht.“

Zdenkas geschlechtliche Ambivalenz tritt im dritten Akt stärker hervor

Zdenka ist Arabellas jüngere Schwester, die von den Eltern aus Geldmangel als Mann verkleidet wird und zur Außenseiterin wird. „Bei Strauss ist das nur noch eine dramaturgische Randgeschichte, er hat sich immer mehr Material zur Arabella gewünscht“, sagt der Regisseur. „Ihre Weichzeichnung ist im ersten Akt auch noch eingetreten, weil Hofmannsthal da noch die Wünsche des Komponisten erfüllen konnte. Dann starb er.“ Strauss sei pietätvoll genug gewesen, in den Folgeakten nichts mehr am Text zu ändern. „Für mich ist das interessant, weil das Libretto und die Musik im Verlaufe des Stücks immer weiter auseinanderklaffen. Arabella war die progressive Frauenfigur, aber Zdenka wurde von Hofmannsthal als relevanter angesehen. Zdenkas geschlechtliche Ambivalenz tritt im dritten Akt auch durch die Musik deutlicher hervor.“ Diese Entwicklung will Krater auf die Bühne bringen.

Tobias Kratzer wird an der Deutschen Oper jetzt drei Jahre lang eine Strauss-Oper inszenieren. Der konservative Komponist und seine Frauenbilder sind ein besonderes Thema. „Strauss war kein woker Komponist“, sagt der Regisseur und hakt beim Begriff nach. Woke sei kein Schimpfwort, so Kratzer, auch wenn es inzwischen oft so benutzt werde. „Den Anspruch, dass geschlechtliche Ambivalenzen, Diversität und Toleranz in alle Richtungen möglich sein müssen, kann man doch unterschreiben. Der Gedanke einer woken Welt wird erst dann problematisch, wenn er seinerseits in Intoleranz umschlägt. Ich verwende aber das Wort im positiven Sinne.“

Dass politische Korrektheit heute auf der Opernbühne gefragt ist, weiß der Regisseur aus eigener Erfahrung: „Ich hatte es beim ,Z-Baron’, den ich an der Komischen Oper inszeniert habe, unterschätzt. Die Aufmerksamkeit richtete sich derart auf die Titelfrage, dass letztlich davon der Diskurs über das Stück und die Inszenierung überschattet wurde. Ich war mir vorher des Problems, aber nicht des Ausmaßes bewusst.“

„Der ,Zigeuner’-Baron“, so wurde der Johann-Strauß-Stücktitel an der Komische Oper verwendet, zeigt, dass der Opern- und Operettenkanon auf dem Prüfstand steht. „Der Kanon muss immer überprüft werden, und das muss man nicht nur wegen kolonialistischer oder geschlechtertypischer Sachverhalte tun“, sagt Kratzer, der andererseits nicht verstehe, warum zum Beispiel „Wallenstein“ aus dem Kanon herausgefallen ist. „Ich finde seine Figur viel spannender als Faust I. Warum muss ich mich mit der Konfliktlage eines alternden Intellektuellen, der einem jungen Mädchen nachstiert, befassen, statt mit einer existenziellen Situation, in die Wallenstein geraten ist?“

Frauenfiguren erleben in Opern oft einen Erlösungs- oder tragischen Tod

Der Kanon zeige aber immer auch, was in einer Zeit im Theater möglich sei. „Aber es gibt natürlich klassische Fälle, ich denke an Othello, Madame Butterfly oder an die Tatsache, dass 90 Prozent der Frauen im 19. Jahrhundert in der Oper einen Erlösungs- oder tragischen Tod sterben müssen. Jede Inszenierung muss eine Antwort darauf finden. Man darf nur in keine neue Klischeefalle hineingeraten.“ Erlösung ist bekanntlich kein Thema für Kratzer.

Was das reaktionäre Frauenbild bei Strauss betrifft, sagt Kratzer, gäbe es verschiedene Taktiken, wie man damit umgehe. „Man muss als Regisseur nicht alles mittragen, was eine Figur im Stück sagt. Es gibt auch Bösewichte, deren Moralvorstellung ich nicht teile. Dann kann ich eine psychologische Motivation aus der Figur heraus erfinden. Wenn Arabella beispielsweise sagt, dass er ihr Gebieter sein soll, kann sie das auch als Protest vor ihrer Schwester sagen. Nach dem Motto: Schau mal, wie weit ich gehe.“ Dadurch bekäme es eine andere Färbung.

An der Hamburger Staatsoper wird Tobias Kratzer 2025 als Intendant antreten. „Nach dem Ausscheiden von Barrie Kosky an der Komischen Oper und Jossi Wieler an der Oper Stuttgart gibt es momentan in der deutschen Opernlandschaft kein großes Haus mehr, das von einem Künstlerintendanten geführt wird. Ich habe nichts gegen Manager-Intendanten. Aber diese Einseitigkeit fand ich schon bedenklich“, sagt der Regisseur. „Ich hoffe, als Intendant kann ich jetzt das Feld noch etwas nachhaltiger bestellen als nur für einzelne Stücke. Das sind für mich die idealistischen Dinge an dem Amt.“

Deutsche Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34384343 Termine: 18., 23., 26., 30. März, 1. und 6. April