Berlin. Der amerikanische Elektro-Künstler und Tierschutz-Aktivist Moby ist unter die Filmemacher gegangen. In der Doku „Punk Rock Vegan Movie“ geht er auf die Beziehung zwischen Punk Rock und veganem Aktivismus ein. Wir erreichen Moby einen Tag vor der Premiere seines Regie-Debüts auf dem Slamdance Film Festival in Utah in seiner Wohnung in Los Angeles. In LA ist es gerade früher Nachmittag. In Deutschland kurz vor 23 Uhr. Moby entschuldigt sich gleich, dass er jetzt erst Zeit für ein Interview findet.
Sind Sie aufgeregt einen Tag vor der Premiere Ihres ersten Films?
Ich bin nervös. Aber nur weil es in Utah unglaublich kalt sein soll. Über die Filmpremiere selbst mache ich mir weniger Gedanken. Der Film ist fertig. Er ist sehr speziell. Manchen wird er gefallen. Anderen nicht. Ich lese schon seit einiger Zeit, keine Reviews mehr zu meiner Kunst oder Artikel über meine Person. Ich mag es einfach nicht zu wissen, was andere Leute über mich denken. Man kann sagen: Ich liebe meine Ignoranz.
Die erste Szene im Film zeigt Musiker, die irgendwie überrascht wirken, dass sie von Ihnen für einen Film angefragt worden sind. Ist der Eindruck korrekt? Waren die Kollegen verdutzt, als Sie anfragten?
Manche Personen, die im Film zu Wort kommen, kenne ich schon über 40 Jahre – wie Ray Cappo und die Band Youth of Today oder John Joseph. Mit einigen spielte ich in den frühen Achtziger in Punk-Rock-Bands. Andere Musiker habe ich für den Film das erste Mal getroffen. Es hat sich so ergeben, dass ich beinahe den kompletten Film alleine gemacht habe. Ich war Kameramann, Interviewer, Komponist und Animator. Also lief auch der Kontakt zu den Musikern immer über mich. Ich denke einige Künstler waren wirklich überrascht, dass am Ende keine Film-Crew aufgetaucht ist, sondern ich plötzlich alleine vor ihnen stand.
Sie sind schon lange als Tierrechtsaktivist bekannt. Hatten Sie die Idee eines Films schon lange im Kopf?
Meine erste Begegnung mit dem Begriff Vegan war 1982 während eines Konzerts in Akron in Ohio. Ich spielte damals in einer Punk-Band namens Vatican Commandos. Nach dem Auftritt schliefen wir auf dem Fußboden eine Gruppe, die sich „Punk-Rock-Vegan-Squad“ nannte. Meine Einführung in den Veganismus lief also über Punkrock. Ich ernähre mich seit 1987 vegan. Ich ging davon aus, dass jeder die gemeinsame Geschichte von Punkrock und Tierrechten kennt. Aber es stellte sich heraus, dass fast niemand sie kennt.
Welche Gemeinsamkeiten haben Punk Rock und Veganismus Ihrer Meinung nach?
Jeder, der sich die Lebensmittelindustrie anschaut, sollte das System in Frage stellen und zurückweisen. Der Fakt, dass eine Billion Tiere jedes Jahr von Menschen getötet werden. Die Produktion von Fleisch und Milch den Klimawandel verstärkt und Antibiotika-Resistenzen sowie Fettleibigkeit, Krebs, Herzkrankheiten und Diabetes verursacht. Jeder, der bereit ist, selbst zu denken, wird davon entsetzt sein und es ablehnen.
Und Punkrocker sind williger dies zu tun. In derselben Art und Weise, wie sie schon einen großen Teil der traditionellen Musik oder den Einfluss des Kapitalismus auf bestimmte gesellschaftliche Bereiche abgelehnt haben. Es liegt also nahe, auch auf unser Ernährungssystem zu schauen, seine Furchtbarkeit zu erkennen und es ebenfalls abzulehnen. Echte Punk Rocker ernähren sich vegan.
Es gibt Strömungen, für die Fleischverzicht inzwischen Mainstream ist. Sie sagen, sie wären die Rebellen, weil sie weiter Steaks auf den Grill legen und dicke Autos fahren. Ist Veganismus heute noch rebellisch?
Meiner Meinung nach ist es ein von Unternehmen gesteuerter PR-Trick. Als Sarah Palin vor ein paar Jahren Vizepräsidentin werden wollte, war ihr Slogan „Drill, baby, drill!“. Sie forderte damit, mehr Öl und Gas zu fördern. Auch sie hat sich als eine Art Rebell beschrieben, weil sie es mag zu jagen. Der Punkt ist, dass diese Firmen viel Geld und Einfluss haben, um große Kampagnen zu fahren, die diesen Eindruck vermitteln. Es ist krank, den Leuten zu verkaufen, dass sie eine Art Rebell wären, wenn sie große Firmen in der Öl- oder Fleischindustrie mit ihrem Geld unterstützen. Es ist PR in seiner schlimmsten und widerlichsten Form.
Verläuft die Linie zwischen vegan und nicht-vegan in den USA entlang der Parteigrenzen?
Ich glaube, der wichtigste Faktor ist das Alter. Der größte Anteil der Veganer in den USA ist jünger als 25 Jahre. Es ist also mehr einen Generationending. Die jungen Generationen sind immer die, die den Wandel voranbringen. Sie sind den althergebrachten Wegen, wie etwas gemacht wird, weniger verbunden, als die Alten. Aber um klar zu sein: Es ist immer noch ein winzig kleiner Anteil, der sich in Amerika vegan ernährt.
Viele Hersteller entdecken vegane Produkte für sich. Manche Branchen geben vor, grüner zu sein und auch vegane Alternativen für tierische Produkte anzubieten. Trauen Sie diesen Firmen oder nicht?
Es ist schwer, das zu verallgemeinern. Jeder kritische Geist sollte erstmal misstrauisch sein, wenn eine alte Industrie plötzlich so tut, als seien sie gar nicht so böse. Es gibt auch eine Werbung für British Petroleum, in der deren Logo aussieht wie das von einem Bio-Laden. Außerdem machen wir etwas für den Regenwald. Bla, Bla, Bla! Nein, das macht ihr nicht. Ihr seid verantwortlich für die Zerstörung des Planeten. Aber es gibt Raum für alte Industrien, den richtigen Weg einzuschlagen. Ich will auch nicht blind vor Kritik werden. Es gibt bestimmt auch in diesen Unternehmen Leute, die täglich versuchen, das Richtige zu tun.
Also sagt die Rebellenseele in Ihnen nicht „Alles oder nichts“, sondern lobt auch kleine Bemühungen?
Ich finde alles gut, was die Nadel ein Stück weit von dem aktuellen System wegbewegt. In der Bewegung für Tierrechte gibt es unterschiedliche Strömungen, wobei die einen auf einen schrittweisen Fortschritt setzen und andere die sofortige Auflösung alle Ausbeutung des Tieres durch den Menschen fordern. Es gibt eine große Debatte innerhalb der Bewegung. Ich beteilige mich nicht gerne an dieser Diskussion. Am Ende gibt es so viele Menschen und Unternehmen, so dass es schwer ist, eine generelle Aussage zu treffen.
Die Punkrocker im Film setzen große Hoffnung in die neue Generation. Sie sagen, die jungen Leute seien oft idealistischer als sie selbst. Aber ist Musik für diese Generation noch so wichtig wie für Ihre?
Wenn ich ehrlich bin, ist es irgendwie deprimierend, wie unpolitisch so viele Musiker heutzutage sind. Ich war auf einer Party nach den Grammy-Awards und keiner sprach dort über Politik. Ich dachte mir so, es wäre wundervoll, wenn wir in einer Welt leben würden, in der man nicht über Politik sprechen müsste. Aber die Demokratie ist überall auf der Welt unter Attacke. Das Klima kollabiert. Die Welt ist in einer fürchterlichen Verfassung und bis dahin ist es die Aufgabe jedes Einzelnen, das auch zu thematisieren.
Musik ist immer schon ein wichtiges Medium, um das zu transportieren. Es geht ja nicht nur um die Musik. Es sind die Konzerte. Die Community. Musik kann auf unvergleichliche Weise den Zeitgeist wiedergeben. Die Musiker der Sechzigerjahre wie John Lennon oder Neil Young, deren vermittelte Idee von Protest hat zu realen Veränderungen geführt. Sie hat einen Krieg beendet. Die Umweltbewegung mit hervorgebracht. Diese Kultur des Protestes wurde von dieser Musik getragen.
Es ist traurig, dass das heute verloren gegangen ist. Viele Künstler leben in einer Kultur der Angst. Sie fürchten Follower in den sozialen Medien zu verlieren oder nicht genug Tickets für das nächste Konzert zu verkaufen.
Wann glauben Sie, ist dieser Geist verloren gegangen?
Ich denke lange Zeit sah es so aus, als hätten wir die großen Probleme der Welt im Griff. Die Bill-Clinton-Ära oder auch während der Obama-Jahre sah die Welt noch anders aus als heute. Aber dadurch ging auch eine Kultur des Protestes verloren. Wenn ich Pop-Musik von heute anschaue, ist diese Protestkultur im Mainstream nicht mehr da. Anderseits ist es für mich als 57 Jahre alter Mann auch einfach, sich über moderne Popkultur zu beschweren. Aber ich wundere mich schon, wo dieser kombinierte Geist aus Kreativität und Protest hin ist. Einen kritischen Tweet zu teilen, ist noch keine Form des Protests. Das ist für mich auch kein Aktivismus.
Gibt es noch ein anderes Herzensthema, über das Sie mal gerne ein Film machen würden?
Ich will kein Musiker sein, der seine Kunst nur macht, um sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Ähnlich ist das auch beim Film. Ich will damit nicht meine Karriere voranbringen. Die Welt hat genug von solchen Menschen. Ich will nicht so arrogant sein und behaupten, dass ich wirklich einen Unterschied mache. Aber um den Sänger der Hardcore-Band Minor Threat zu zitieren: „At least I’m fucking trying.“
Im Film überlegen Sie laut, ob es gut wäre, diesen mit einem großen Knall enden zu lassen. Stattdessen folgt ein persönlicher Aufruf, das Richtige zu tun. Was glauben Sie als Aktivist für Tierrechte, wie wird sich diese Debatte irgendwann auflösen? Gibt es einen großen Knall? Oder geht das auch über Wahlen?
Wenn die Geschichte eine Sache gelehrt hat, dann dass Wandel unglaublich überraschend kommen kann. Das Beispiel, an das ich häufig denke, ist der Vergleich von heute mit der Situation von vor 120 Jahren. So wie wir uns gerade in der schnellstmöglichen Art über tausende Kilometer Entfernung unterhalten, das hätte damals keiner gedacht.
Das ist technologischer Fortschritt. Meinen Sie sozialer Fortschritt ist auch in so einem Tempo möglich?
Auch sozialer Wandel, wie die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, kam oft schneller als es sich die betroffenen Menschen anfangs vorgestellt haben. Es gibt so viele Gründe aktuell, um pessimistisch zu sein. Aber es gibt auch genug Gründe, um Hoffnung zu haben. Die einzige Sache in der menschliche Wesen besser sind, als Probleme zu verursachen, ist mit interessanten Lösungen um die Ecke zu kommen.
Der Film soll ab 30. Januar auf allen gängigen Videoplattformen kostenlos angeboten werden. Bis dahin ist er auch über die Website des Slamdance Filmfestivals abrufbar: slamdancechannel.com/punk-rock-vegan-movie