Auch nach der gefeierten Premiere an der Deutschen Oper fällt es irgendwie schwer zu verstehen, warum „Simon Boccanegra“, diese düstere Männeroper mit Gift und Dolch, zu den großen, beliebten Verdi-Werken zählt, die unbedingt auf die Bühne gehören? Die Handlung ist selbst mit der Übertitelung vor Augen kaum nachvollziehbar. Und die Musik befindet sich auf dem Weg von der Belcanto-Oper zum Musikdrama, der große Italiener verzichtete auf ein Best-of mitreißender Arien. Umso bemerkenswerter ist es, dass Dirigent Jader Bignamini am Pult des am Sonntag gut gestimmten Orchesters der Deutschen Oper einen atemvollen Verdi-Abend hinbekommen hat. Es ist weniger das dramatisch Bestürzende, sondern mehr das Melancholische, was man nach dem Schlussjubel mit nach Hause trägt.
Einige Opernbesucher werden vielleicht noch Daniel Barenboims Verdi-Produktion der Staatsoper im Schiller-Theater in Erinnerung haben. Diese Produktion hatte es rundum leichter, weil es nur darum ging, den ins Bariton-Fach wechselnden Startenor Placido Domingo als Simon Boccanegra in Szene zu setzen. Das war der Maßstab – zweifellos ein hoher. An das inszenatorische Drumherum wird sich keiner mehr erinnern können.
Insofern wird das Publikum in der Deutschen Oper mit einer ambitionierten und streitbaren Inszenierung verwöhnt. Vasily Barkhatov verlegt die Handlung aus dem 14. Jahrhundert ins Heute und versucht, eine Schneise durch all die Machtkämpfe und Familienverwicklungen zu schlagen. Zuerst erzählt er die Genueser Geschichte des Dogen Simon Boccanegra in einer Folge von mächtigen Männern, die letztlich nur wie singende Avatare in ihre hohen Ämter gelangen und irgendwann einsam scheitern müssen. Diese Verdi-Deutung ist in einer Wiederholungsschleife gefangen. Musik und Szene spielen dabei Hand in Hand. Es gelingt keinem der Sänger an diesem Abend, seinen Funktionsträger dem Publikum durch noch so schöne Töne menschlich näher zu bringen.
Der Dogenpalast kündet von Macht und zugleich von geistiger Enge
Möglicherweise hängt diese emotionale Ferne des Abends auch damit zusammen, dass der russische Regisseur durch eine andere Sicht auf Herrschende geprägt ist und diese auf die Bühne bringt. Es sind letztlich Militärs im Anzug, die die Geschicke des Staates und die Grausamkeiten in muffigen Hinterzimmern abhandeln. Der Dogenpalast kündet von Machtbewusstsein und zugleich von geistiger Enge. Das Bühnenbild von Zinovy Margolin nutzt geschickt die volle Breite der Bühne des Opernhauses aus. Es gibt viel zu sehen, auch wenn der Raum in Barkhatovs Personenregie nicht immer ausgeschöpft wird. Die Nachrichten der blutigen Aufstände draußen in der Stadt werden vorm Fernseher verfolgt.
Barkhatov will mit einem gewissen Inszenierungswitz die Handlung, die über Jahrzehnte hinweg angelegt ist, aufhellen. Zeitereignisse werden durch die schnelle Einblendung von reißerischen Titelseiten italienischer Zeitungen vermittelt. Als zum ersten Vorspiel Jacopo Fiesco den Dogenpalast bezieht, lässt ihn ein Plakat hochleben. Jahrzehnte später wird das Plakat seinen Tod fordern. Das wiederholt sich bei Simon Boccanegra. Und wenn die Oper nach knapp drei Stunden endet, wird auch Gabriele Adorno mit dem Plakat freudig begrüßt. Wiederholung folgt!
Jeder neue Doge schreitet die in Reih und Glied angetretenen Bediensteten ab und schüttelt in staatsmännischer Jovialität die Hände. Es sind immer dieselben Kleider, die bei den eleganten Empfängen im Palast vom wunderbaren Chor des Opernhauses getragen werden. Und es sind dieselben Häppchen, die von einer Bediensteten auf einem Tablett gereicht werden. Oberintrigant Paolo, der bei einem dieser Empfänge verhaftete Mörder von Simon, wird auf dem Weg zur Hinrichtung noch entspannt ein passendes Häppchen suchen. Stilvoll geht es bei diesem Verdi in den Tod. Als Simon vergiftet von der Bühne stolpert, wird Sekunden später sein Sarg hereingetragen.
Die Familienverhältnisse in Verdis Handlung sind undurchsichtig
Die Familie bleibt bei allen Machtspielen auf der Strecke, lautet eine große Botschaft des Regisseurs. Er versucht in Simons Traumsequenzen vorzuführen, wie er es hätte richtig machen können. Dann springt die Szene auf Anfang zurück. In Verdis Genua sind die Familienverhältnisse undurchsichtig. Maria ist Tochter von Simon Boccanegra und Enkelin seines Amtsvorgängers Jacopo Fiesco. Unter dem Namen Amelia Grimaldi lernt sie Gabriele Adorno, der dritte Doge, im Mädchencollege lieben. Alles klar? Zweifellos ist die in ihrer Rolle hin- und hergerissene Maria Motolygina ein Lichtblick. Mit ihrem jugendlichen Sopran bringt sie viel Stimmfrische ein, wenn es auch streckenweise unausgegoren anmutet. George Petean singt großartig den zweifelnden Simon aus. Mit elegantem Aufbegehren kann Attilio Glaser seinen schön geführten Tenor einsetzen.
Deutsche Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34384343 Termine: 1., 4., 9., 17.2.