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„Pavarotti“: Eine Filmdoku zeigt den Superstar ganz privat

| Lesedauer: 6 Minuten
Die Massen haben ihn immer geliebt: Dennoch litt Luciano Pavarotti zeitlebens unter Lampenfieber und Versagensängsten.

Die Massen haben ihn immer geliebt: Dennoch litt Luciano Pavarotti zeitlebens unter Lampenfieber und Versagensängsten.

Foto: Wild Bunch

Oscar-Preisträger Ron Howard zeigt in seinem Dokumentarfilm „Pavarotti“ viele Licht-, aber kaum Schattenseiten des Jahrhunderttenors.

Als sie acht Jahre alt war, sollte Cristina, eine der Töchter von Luciano Pavarotti, einen Aufsatz über den Beruf ihres Vaters schreiben. Und sie war sich sicher: Papi ist ein Dieb. Denn er arbeitete prinzipiell nachts. Verreiste mit einem Koffer voller falscher Bärte. Und kehrte mit viel Geld zurück.

Das ist nur eine von vielen heiteren Momenten aus dem Dokumentarfilm „Pavarotti“, der jetzt in den Kinos angelaufen ist. Ein Porträt über den 2007 gestorbenen Ausnahme-Tenor mit seiner unverkennbaren Stimme und seinem unverkennbaren Resonanzkörper. Ein filmisches Denkmal über den „König der hohen Cs“, dem die Kunst gelang, dass er diese hohen Töne scheinbar mühelos singen konnte.

Private Video-Aufnahmen, die noch nie zuvor gezeigt wurden

Womit der Italiener nicht nur alle Opernhäuser der Welt, sondern am Ende auch Sportstadien füllte und die elitäre Opernszene so auch den breiten Massen nahebrachte. Was vielleicht seine größte Leistung war. Und alle nahm der Popstar der Klassik mit seiner immer herzlichen, auch schelmischen und selbstironischen Art für sich ein.

Ron Howards Film zeigt den erfolgreichsten Opernsänger aller Zeiten nicht nur im Frack auf der Bühne: Stets mit einem riesigen weißen Taschentuch wedelnd – das er, auch das erfahren wir hier, nur in der Hand hielt, weil er nicht wusste, was er sonst mit seinen Händen machen sollte.

Der berühmte Mann singend unter der Dusche

Nein, der Film zeigt ihn auch privat: in Trainingshose, beim Pastakochen, beim Busseln mit seinen Kindern. Und einmal sogar beim Singen unter der Dusche, schön eingeschäumt und schallend in die Kamera lachend.

Der zweifache Oscar-Preisträger Ron Howard ist auch in seinen Spielfilmen immer an realen Persönlichkeiten interessiert: an den Astronauten der missglückten Mondmission in „Apollo 13“ etwa, an den Mathematiker John Nash in s“A Beautiful Mind“ oder an den Rennfahrer-Rivalen Niki Lauda und James Hunt in „Rush: Alles für den Sieg“.

Howard hat auch schon wiederholt Dokumentarfilme über Musikgrößen gedreht: „Made in America“ über den Rapper Jay-Z und „The Beatles: Eight Days A Week: The Touring Years.“ In der Welt der klassischen Musik ist Howard dagegen, wie er freimütig bekennt, nicht zu Hause, ihr nähert er sich aus der Sicht eines Laien. Kann dafür aber ins Felde führen, dass Pavarotti ja sein Leben lang E und U, zusammenbringen und die Klassik auch den „ganz normalen Menschen“ nahebringen wollte.

Exklusive Interviews mit der engsten Familie

Für seinen Dokumentarfilm hat Howard alle möglichen Filme, Bühnenmitschnitte und TV-Interviews akribisch aus Archiven zusammengetragen, hat auch Weggefährten Pavarottis wie den Dirigenten Zubin Mehta, die Tenor-Kollegen Plácido Domingo und José Carreras oder den Rockstar Bono von U2 interviewt.

Vor allem aber hat er das Vertrauen von Pavarottis engster Familie gewonnen. Und alle erzählen sie hier erstmals vor laufender Kamera: seine erste Frau Adua Veroni, die drei Töchter aus dieser Ehe, und Nicoletta Mantovani, seine zweite, 34 Jahre jüngere Frau.

So konnte Howard auch einen ganz besonderen Schatz heben: Mantovani war eine begeisterte Videofilmerin. Und die Fügung wollte es, dass just, als sie Pavarotti kennenlernte, die ersten handlichen Videokameras auf den Markt kamen. So filmte sie ihn bei jeder möglichen Gelegenheit. Auch ganz privat. Und stellte ihm Fragen, die der berühmte Mann viel offener beantwortete, als er das je gegenüber den Medien getan hätte.

So nah, so intim hat man den Jahrhundertsänger noch nie erlebt. Allein das lohnt das Zuschauen. Diese Nähe freilich hat auch ihren Preis. „Pavarotti“ bleibt immerzu ein freundliches Porträt, das seinem Protagonisten wohlwollend begegnet und dem Bild, das seine Familie von ihm gezeichnet sehen will, widerspruchslos entspricht.

Sehr konventionell und chronologisch folgt der Film denn Pavarottis Karriere. Zeigt den Grundschullehrer aus einfachen Verhältnissen, der sich dann doch auf die große Bühne wagte und rasch zum Opernstar aufstieg.

Bevor er dann mit Domingo und Carreras als die „Drei Tenöre“, der Boy Group der Hochkultur, die Stadien füllte. Und am Ende die Opern ganz verließ, um sich mit seinen Benefiz-Konzerten „Pavarotti & Friends“ für humanitäre Hilfsaktionen einzusetzen und auch andere von seinen Erfolgen profitieren zu lassen. Das alles sind zweifellos Meriten, die man nicht genug rühmen kann.

Dennoch bleibt Howard dabei stets bei der schillernden Oberfläche. Und im zweifel bei vergnüglichen Momenten. Auch da, wo er ruhig etwas beherzter hätte in die Tiefe gehen können, ja müssen. Etwa was die Musikindustrie angeht, die auch im klassischen Bereich äußerst eisern kalkuliert.

Karriere unter geldgierigen Managern

Dass sein erster Manager Herbert Breslin Pavarotti früh auf Erfolg getrimmt hat und sein zweiter, der noch geldgierigere Tibor Rudas, ihn dann in die Stadien schickte, wird eher verniedlichend weggeschmunzelt: „Sie sind so ein netter Mann“, heißt es da einmal, „Sie brauchen einen Scheißkerl an ihrer Seite.“

Dass der scheinbar allzeit sympathische Pavarotti sich durchaus auch als launenhafte Primadonna gerieren konnte, wird ebenfalls nur am Rande gestreift. Und darüber, dass seine Frau, als seine Affäre mit Mantovani durch die Regenbogenpresse bekannt wurde, Pavarotti aus dem Haus geworfen hat, erfährt man ebenso wenig wie über die Testament-Streitigkeiten nach seinem Tod.

In „Pavarotti“ erfährt man also viel über die Sonnenseiten des Sängers, aber nur wenig über seine Schattenseiten. Wobei doch gerade diese Aspekte das große Denkmal kaum angekratzt, sondern nur umso menschlicher gestaltet hätten.

Dissonanzen gehören bei der Musik dazu. Dieser Film aber ist ein einziger Lobgesang in Dur. Mal sehen, ob sich jemals ein großer Regisseur an einen Spielfilm über Pavarotti wagt – und dann auch ein kritischeres Bild zeichnet.

„Pavarotti“: der Trailer zum Film

Dokumentarfilm USA 2019 114 min., von Ron Howard