Bernd Böhlichs Film „Und der Zukunft zugewandt“ ist eine beklemmende Aufarbeitung eines in der DDR lange tabuisierten Themas.
In zwei Monaten werden sie wieder überall laufen: die Bilder vom 9. November 1989, wie die Menschenmassen sich durch enge Grenzübergänge zwängen und im Westen euphorisch begrüßt werden. Da ist es schon recht mutig, so kurz davor einen Film zu starten, der mit genau diesen Bildern beginnt, aber ohne deren Euphorie.
Die Bilder laufen hier live im Fernsehen. Eine alte Frau sitzt davor, will von Nachbarn auch gar nicht mit auf die Straße genommen werden, um den Mauerfall zu erleben. Sondern rechtfertigt sich am Telefon, warum sie die zugrunde gehende DDR verteidigt. Immer noch. Auch wenn sie allen Grund gehabt hat, an diesem Staat und am Sozialismus zu verzweifeln.
Der Filmtitel ist nur zynisch zu verstehen
Bernd Boehlichs Film „Und der Zukunft zugewandt“, der am Donnerstag ins Kino kommt, behandelt ein Thema, das in der DDR jahrzehntelang ein Tabu war: dass deutsche Kommunisten in der Sowjetunion, die doch ein Bruderland war und die Heimat der Revolution, unschuldig verhaftet, umgebracht oder zu jahrzehntelangem Straflager verurteilt wurden. Der Titel des Films ist da nur ironisch, wenn nicht zynisch zu verstehen: „Und der Zukunft zugewandt“, so lautete die zweite Verszeile der DDR-Nationalhymne.

Nach dem Prolog 1989 springt der Film zurück ins Jahr 1952. Ein Mann stiehlt sich im Gulag in den Frauentrakt. Nur um einmal seine Tochter zu sehen. Auf dem Rückweg wird er erschossen, der Leichnam wird von den Sowjets in die Baracke der Frau geschleift und da liegen gelassen. Danach kann die Frau nicht mehr. Bei Sägearbeiten im Wald stellt sie sich mit Absicht unter einen Baum, der gerade gefällt wird.
Eine Frau, die immer ein Rätsel bleibt
In letzter Sekunde rettet sie eine Mitgefangene, die sie daran erinnert, dass ihr Kind sie doch brauche. So richtet sich die Verzweifelte, wieder auf. Und wird fortan alles tun, um ihrer Tochter Lydia ein besseres Leben zu ermöglichen.
Eine Schlüsselszene. Die vielleicht auch die einzige Erklärung des ganzen Films bietet. Denn die Frau, Antonia Berger (Alexandra Lara), wird zwar gerettet. Sie darf heimkehren. In den neuen Staat DDR. Hier bekommt sie nicht nur eine Bleibe und eine ihr würdige Arbeit – sondern auch die bestmögliche Versorgung für ihre schwerkranke Tochter.
Drei Frauen, drei Arten, mit dem Trauma umzugehen
Aber all das nur unter einer Prämisse: dass sie niemandem sagt, was ihr widerfahren ist. Weil es die Arbeiter und Bauern im noch jungen sozialistischen Land verunsichern würde, wenn sie erführen, was die Sowjets ihren Brüdern und Schwestern angetan haben. Und weil das die Alt-Nazis im Westen nur bestärken würde.
Im Zentrum von Bernd Böhlichs Film steht die junge Mutter. Sie hat noch zwei Leidensgenossinnen an ihrer Seite, die auf andere Art reagieren. Die eine (Barbara Schnitzler), die das verordnete Schweigen nicht hinnehmen kann, die die schmerzvolle Wahrheit hinausschreien will und deshalb in den Westen flieht. Und die andere (Karoline Eichhorn), die immer leiser wird und ihre Seelenpein zunehmend im Alkohol ertränkt.

Als erste der dreien aber unterschreibt Antonia das Schweigegelöbnis. Sie wirkt weiter am Aufbau des Sozialismus mit. Trotz oder gerade wegen all dem Erlebten. Weil, wie es einmal heißt, nicht alles umsonst gewesen sein kann. Eine Formel, die freilich auch viele Nazis bis zur endgültigen Kapitulation durchhalten ließ.
Alexandra Maria Lara in einer ihrer stärksten Rollen
Diese rätselhafte Figur wird beeindruckend beklemmend gespielt von Alexandra Maria Lara. Es ist ihre wohl überzeugendste Darstellung seit ihrer Hitler-Sekretärin in „Der Untergang“. Ihre Antonia darf nichts sagen, und doch spiegelt sich alles im Gesicht der Schauspielerin, wie diese Frau an sich und den Verhältnissen zweifelt und verzweifelt.
Sie wird den Pakt der Stille strikt befolgen, wie eine selbstauferlegte Strafe. Nicht mal ihrer eigenen Mutter wird sie verraten, wo sie all die Jahre gesteckt hat. Auch nicht dem Arzt der Tochter (Robert Stadlober), der sich in sie verliebt und der wie sie an den neuen Staat glaubt. Ein Drama der Sprachlosigkeit. Weil sie nichts sagen darf, schreibt sich Antonia indes ihre Lebenslüge von der Seele. In einem Tagebuch, das, käme es in die falschen Hände, ihre ganze Existenz gefährden würde. Und nicht nur ihre.
Bernd Böhlichs politischster Film
Regisseur Böhlich, 1957 in der Oberlausitz geboren, ist vor allem bekannt für seine „Krause“-Fernsehfilme um Horst Krause als Polizist in brandenburgischer Provinz. Er hat aber mit „Du bist nicht allein“ und „Bis zum Horizont, dann links“ auch schon erfolgreiche Kinofilme gedreht. Sein jüngster Film ist mit Abstand sein politischster. „Die Reduzierung der DDR auf Mauer, Stasi und Doping ist nicht nur unsäglich, sondern schlichtweg falsch“, meint Böhlich. Er glaubt, daher rührten viele Verwerfungen und Spannungen zwischen Ost- Und Westdeutschen. Und, als trotzige Reaktion, auch eine Verklärung der DDR.

Mit diesem Film will er den Blick weiten. Mit vielen Stars auch in kleinen Rollen und in kühlen, entsättigten Bildern erzählt Böhlich eine wahre Geschichte. Die der Schauspielerin Swetlana Schönfeld, die 1951 im Arbeitslager geboren wurde und erst 1957 mit ihrer Mutter in die DDR kam.
Eine wahre Geschichte
Schon Ende der 80er-Jahre arbeitete Böhlich, damals noch als Nachwuchsregisseur, bei einer „Polizeiruf“-Folge mit ihr. Als sie von ihrer Vergangenheit erzählte, machte ihn das sprachlos. Schon früh dachte er an einen Film darüber. Aber erst nach dem Mauerfall gab es allmählich Literatur zu dem Tabuthema. Böhlich hat auch noch weitere betroffene Frauen gesprochen, die sich bis ins hohe Alter an ihr Schweigegelöbnis gehalten haben. Aus all ihren Erfahrungen setzt sich dieser Film zusammen. In dem Swetlana Schönfeld auch eine kleine Rolle spielt: als Antonias Mutter. Also gewissermaßen ihre eigene Großmutter.
So eine Geschichte hätte man leicht von oben herab, aus der Perspektive der Sieger erzählen können. Regisseur Böhlich aber ist immer ganz nah bei seinen Figuren, in all ihren Widersprüchen. Er zeigt sie auch nie als ideologisch Verblendete. Warum diese Antonia Berger aber bis zum Schluss an ihrer Überzeugung festhält, das kann auch Böhlich nicht ganz erklären. Das soll vielleicht auch eine bewusste Leerstelle bleiben, die zur Diskussion anregen soll.
Drama D 108 min., von Bernd Böhlich, mit Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober, Stefan Kurt, Barbara Schnitzler, Karoline Eichhorn, Peter Kurth