Jubiläum

Und immer schön unten rum: Lothar Lambert zum 75.

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Immer wieder denkt er ans Aufhören – und kann es dann doch nicht lassen: der Berliner Filmregisseur Lothar Lambert in seinem Akazien-Kiez.

Immer wieder denkt er ans Aufhören – und kann es dann doch nicht lassen: der Berliner Filmregisseur Lothar Lambert in seinem Akazien-Kiez.

Foto: Amin Akhtar

Er ist Berlins schrillster Chronist. Am 24. Juli wird Filmregisseur Lothar Lambert 75. Und feiert das, natürlich, mit einem neuen Film.

Er kann es nicht lassen. Als wir Lothar Lambert vor fünf Jahren in seinem Akazienkiez trafen, anlässlich seines 70. Geburtstages, da plante der legendäre Underground-Regisseur gerade einen neuen Film: In „Verdammt noch mal Berlin – Fucking City revisited“ suchte er, anlehnend an seinen großen Erfolg „Fucking City“, noch mal all die Plätze und Ecken auf, an denen er einst gedreht hat und die längst verschwunden, verbaut, vergessen waren.

Das klang nach Abschied und sollte auch einer sein. Der endgültig letzte Film. Er werde ja nicht jünger, sagt er damals. Und der Gehstock, den er mit mit hatte, sei auch kein Accessoire. Den brauche er wirklich.

Der 40. Film in 47 Jahren

Aber nun wird Lambert am heutigen Mittwoch 75. Und natürlich gibt es doch wieder einen neuen Film. „Oben rum, unten rum“, sein nunmehr 40. Titel, feiert am Donnerstag im Brotfabrikkino Premiere. „Oben rum, unten rum“: So hätte eigentlich jeder Film von ihm heißen können, so könnte man überhaupt sein Oeuvre zusammenfassen – mit Betonung auf letzterem.

Es handelt sich dabei aber um „Lamberts gesammelte Einakter“ (so der Untertitel). Zehn Kurzfilme, in denen er bislang unbearbeitetes Material präsentiert, das er etwa für sein Großprojekt „Verdammt noch mal Berlin“ nicht untergebracht hat, aber auch wiedergefundene Acht-Millimeter-Filme, die er technisch aufbereiten ließ.

So kann man noch mal ein Wiedersehen feiern mit Wegbegleitern aus seiner legendären „Lambert-Family“, von denen viele bereits gestorben sind. Und auf seine alten Tage kann der Kultregisseur damit noch mal eine echte Premiere feiern: Sonst hat er ja immer auf abendfüllend gemacht. Kurzfilme, das ist noch mal ganz neu für ihn. Für eine Überraschung ist Lothar Lambert – Stock hin, Bandscheibe her - immer noch gut.

Brav am Schreibtisch, lasziv im Fummel

Und das war eigentlich immer so. Nun ja, fast immer. Eigentlich, hat er uns mal verraten, sei er immer faul gewesen. Im Thüringischen geboren, aber schon als Dreijähriger nach Berlin gekommen und hier aufgewachsen, wurde Lambert nach einem Publizistik-Studium an der Freien Universität Redakteur der Tageszeitung „Der Abend“. Und das sei eigentlich genau seins gewesen: „brav am Schreibtisch.“ Aber dann war er in einem Artikel doch mal nicht brav. Der Verleger hat ihn danach höchstpersönlich rausgeschmissen. Und dem muss man dafür heute noch dankbar sein. Denn da stand er nun, der Lambert. Und was sollte er machen? Machte er halt Film.

Berlins Antwort auf Warhol: der Unterleibs-Regisseur

Und was für welche! Seine Werke waren meist billigst produziert, oft war er Regisseur, Produzent und Darsteller in einem, auch Drehbuchautor, wenn ein Film überhaupt so etwas wie ein Drehbuch hatte und nicht von heute auf morgen improvisiert wurde. Immer wieder war Lambert auch sein eigener Cutter, Kameramann, Tonmann und manchmal sogar der Verleiher. Keine Low-, sondern wirkliche No-Budget-Projekte. In jüngster Zeit wird diese Art des künstlerisch- selbstausbeuterischen Underground-Kinos als Berliner „Mumblecore“-Bewegung gefeiert, Lambert hat das aber schon vor 40 Jahren vorgemacht.

Und dabei erfrischende und vor allem erfrischend andere Filme gestemmt, als sie damals üblich waren im konventionellen deutschen Kino. Grelle, überzeichnete, durchaus auch trashige Werke über Berlin, wo in Mauerzeiten kaum noch Filmproduktionsfirmen ansässig waren und gedreht haben.

Wer wissen will, wie Berlin war, muss Lambert gucken

Filme über die kleinen Menschen der großen Stadt. Über Durchschnittsexistenzen auf der immer verzweifelteren Suche nach Liebe und Bestätigung, aber auch über die Außenseiter und Ausgestoßenen, die sonst im Kino kaum Beachtung fanden: Depressive und Laszive, Schwulen und Dirnen, Türken und Transen.

Und mittendrin immer Lothar Lambert selbst, gern als Transe Lola im Fummel, eine Kunstfigur, nach den ersten Silben seines Vor- und Zunamens benannt, hinter der sich der notorisch schüchterne Regisseur verstecken, mit der er aber auch sein anderes Ich ausleben konnte.

Wer wissen will, wie es war, das West-Berlin zu Mauerzeiten, der muss Lamberts Filme gucken. Das ist Underground pur, zwar immer jenseits von aller Perfektion, manchmal auch zum Fremdschämen. Aber immer auch pur, direkt, das pralle Leben. Und so verrückt wie seine Einwohner.

Und immer geht es um Sex und Unterleib

Dabei ging es immer auch um Sex, Sex und nochmals Sex. „Schmuddelfilmer“ haben sie ihn deshalb genannt, auch „Meister des schlechten Geschmacks“ oder gar „Unterleibsregisseur“ (worauf der neue Film auch augenzwinkernd anspielt). Aber eben auch „the poor man’s Fassbinder“, Fassbinder für Arme also, oder „Berlins Antwort auf Andy Warhol“. Und so wurde Lambert berühmt, bald auch über die Stadtgrenzen hinaus. Mit „Die Alptraumfrau“ hat er es sogar nach New York, ins hehre MoMA geschafft.

Unermüdlich kurbelte Lambert einen Film nach dem anderen, meist einen pro Jahr. Keiner war öfter auf der Berlinale vertreten als Lambert (17 Mal). Und mit seiner höchst eigenen Form zwischen Kunst- und Schmuddelkino war er von den 70-ern bis in die 90er-Jahre ein getreuer Chronist seiner Zeit, wenn auch sein schrillster. Bis die privaten Fernsehsender kamen und Trash und Unterleib auf ihre Weise bedienten. Da hat sich Lamberts Werk zunehmend aufs Dokumentarische verlegt. „Ich schreibe keine Memoiren, weil ich das ganz scheußlich finde, mich irgendwie darzustellen“, hat er kürzlich verlautet, „ich versuche das innerhalb der Filme zu bewältigen. Wenn da noch was zu bewältigen ist.“

Ein letzter Tanz - oder doch noch nicht?

Wie reich sein Werk ist, das er – mit seiner „Lambert“-Family um Dagmar Beiersdorf, die selber Filme drehte, Erika Rabau und dem späteren „B.Z.“-Feuilletonchef Hans Marquardt, aber auch vielen ihm gewogenen Prominenten wie Brigitte Mira, Eva Mattes, Rainer Werner Fassbinder oer Jim Jarmusch – geschaffen hat, das kann man in der nächsten Zeit noch einmal erleben. Neueinsteiger können ihn überhaupt damit entdecken.

Zahlreiche Veranstaltungen zum Jubiläum

Am 29. Juli wird im Arsenal Kino am Potsdamer Platz der Klassiker „Fucking City“ aus dem Jahr 1981 frisch restauriert und digitalisiert aufgeführt. Vom 1. bis 7. August zeigt das Brotfabrikkino eine ganze Filmreihe von, mit und über Lambert. Dort, aber auch im Bundesplatz-Kino läuft dann auch sein neuester Streich, besagter „Oben rum, unten rum“, in dem der Berufs- und Passions-Berliner noch mal in seine eigene Vergangenheit eintaucht.

Da ist dann, ganz zuletzt, als eine Art Epilog, „Lola’s last Good-Bye“ zu sehen, wo sich sein Alter Ego Lola noch mal seiner großen frühen Leidenschaft hingibt – und ein letztes Mal tanzt. Das klingt nun wirklich nach Abgesang und definitivem Abschied. Und 40 Filme, meint Lambert, „das reicht ja auch.“ Aber wer weiß, ob er es je ohne Filmen auskommen kann? Wie brachte es vor 16 Jahren eine Produktion von ihm schon im Titel so treffend auf den Punkt? „Ich bin, Gott sei Dank, beim Film!“.