Berlin. Der Filmkomiker zeigt sich in der Philharmonie einmal ganz anders: als Rezitator amerikanischer Klassiker und Sänger.
Bill Murray in der Philharmonie? Und singen soll er auch? Der Mann ist ja bekanntlich im Kino zuhaus. Und der große Stoiker unter den Filmstars. Der kaum was sagt und keine Miene verzieht. Manche nennen das Gesichtsvermietung. Aber Murray hat es damit weit gebracht, zum Komiker und seit „Lost in Translation“ auch zum Charakterdarsteller. Das letzte Mal war der Meister des Minimalismus im Februar in der Stadt, auf der Berlinale, wo er in einem Hunde-Trickfilm bellte. Nun offenbarte er am Freitagabend, nur wenige Meter entfernt, ganz andere Seiten von sich.
Er ist schon da, bevor er kommt. Murray lässt es sich nicht nehmen, selbst die Ansage zu sprechen, man möge bitte das Handy des Nachbarn ausschalten. Eine Stimme von oben, gottgleich. Das gefällt ihm sicher. Dann kommt er, Hahn im Korb, auch das genießt er sichtlich, mit zwei jungen Musikerinnen am Arm: der Geigerin Mira Wang und der Pianistin Vanessa Perez. Später kommt noch der Cellist Jan Vogler dazu. Den hat Murray mal auf einem langen Flug kennen gelernt. Sie wurden Freunde, irgendwann kam die Idee zu einem gemeinsamen Abend. „Bill Murray, Jan Vogler & Freunde“ heißt das Projekt. Dresden durfte es schon letztes Jahr kennenlernen, denn Vogler leitet die Dresdner Musikfestspiele. Jetzt kommt es, als Gastspiel, auch nach Berlin.
Murray witzelt, die Musiker treiben Schabernack
Und das geht so: Murray steht in schwarzem Anzug und Sneakers am Pult und rezitiert amerikanische Klassiker. Hemingway, Walt Whitmann, James F. Cooper, Mark Twain. Eine Art „American Textbook“. Vogler und die Damen kontern mit klassischer Musik, mit Bach und Schubert, aber auch Astor Piazzola. Klingt nach verkopftem Konzept-Abend. Wenn die Musiker spielen, setzt sich Murray schon mal hinters Klavier. Das ist sehr sympathisch, weil er den Musikern Raum gibt, obwohl doch jeder hier nur wegen ihm gekommen ist. Aber irgendwie erwartet man auch immer, dass der Komiker ins Klavier kriechen müsste.
Allmählich drehen die Vier auf. Murray witzelt, auch die Musiker treiben Schabernack. Und dann trifft man sich bei Gershwin, „It Ain’t Necessarily So“. Das rezitiert Murray nicht, das krakeelt er zum Jauchzen des Publikums. Und das darf auch gleich mitsingen. Jetzt haben sich die Künstler warmgemacht. Immer öfter, immer ungenierter singt der Filmstar auf der Bühne, auf der sonst Opernsänger brillieren. Obwohl er das hörbar nicht kann. Nicht jeden Ton trifft. Und die Höhen einfach umschifft. Aber er macht das mit Witz wett. Irgendwann zieht Murray das Jackett aus, steht nun im bunten Hemd da. Der Komiker gibt sich zu erkennen. Der Abend hat mal was von einem Märchenonkel, der einem ganzen Saal Gute-Nacht-Geschichten vorliest, mal von einem Karaoke-Abend. Wie in „Lost in Translation“. Nur kommt die Musik nicht vom Band, sondern von exzellenten Musikern, die mit Spaß die Nebenrollen füllen.
Höhepunkt ist ein schräges Medley aus der „West Side Story“, wo der 67-Jährige bei „I Feel Pretty“ tänzelt und „America“ zum Statement gegen Donald Trump wird. Da ist er dann bei der amerikanischen Seele von heute angekommen. Bill Murray hat heute mehr Text als in fünf Fil-men. Der Abend nimmt, das ist völlig unamerikanisch, kein Ende. Auch nach zwei Stunden ohne Pause bringt der Star noch einen und noch einen Text. Von wegen Minimalismus. Der Komiker scheint nicht genug davon zu bekommen, in einer solchen Weihestätte der Hochkultur Ovationen zu ernten.