Berlin. Wenn Dieter Kosslick diesen Mittwoch seinen 70. Geburtstag feiert – im fernen Ligurien, im engsten Familienkreis –, hätte er dies ganz ausgeruht tun können. Denn eigentlich wäre sein Vertrag als Chef der Berliner Filmfestspiele 2016 ausgelaufen, hätte er ihn nicht noch einmal um drei Jahre verlängert. 2016, das war das Jahr mit Meryl Streep als Jurypräsidentin, mit George Clooney als Stargast, alle hatten gute Laune. Es wäre ein großartiger Abschluss gewesen, alle hätten Kosslick noch mal in höchsten Tönen gelobt. Nun könnte er längst den Ruhe- oder Unruhestand genießen.
Aber er hat halt doch noch mal verlängert. Und 2017 kam dann der Super-Gau. Erst gab Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bekannt, sie wolle Kosslicks Vertrag nicht noch mal verlängern – was ja nie zur Diskussion gestanden hatte. Offenbar eine Reaktion auf die ziemlich maue Berlinale 2017. Dann wurde auch noch eine Petition publik, die nur als internes Schreiben an Monika Grütters gedacht war und in der 79 deutsche Filmschaffende darüber nachdachten, was ein kommender Festivalchef können müsse. Dass der Brief in manipulativem Zusammenhang veröffentlicht wurde, der sich wie ein grundlegendes Kosslick-Bashing las, darf man als Intrige einer Handvoll notorischer Kosslick-Kritiker werten, wovon sich denn auch viele der Unterzeichner distanziert haben. Aber auch die paar Sätze, die von ihnen selbst stammen, waren nicht eben schmeichelhaft für den Berlinale-Chef.
Stinksauer sei er gewesen, gab Kosslick zu. Er war das noch während der vergangenen Berlinale im Februar. Und es dürfte ihm auch noch im Nachhinein das Fest zu seinem Runden ein wenig trüben. Der einst allseits beliebte „Mister Berlinale“ stand plötzlich mitten in der Fundamentalkritik. Und sah sich so behandelt wie dereinst sein Vorgänger Moritz de Hadeln. Wobei bei diesem, das muss man schon zugeben, noch ganz andere Kaliber aufgefahren worden sind.

In seiner Ära wurde das Filmfestival zum Stadt-Event
Die jüngste Debatte darf aber nicht überschatten, was Dieter Kosslick der Berlinale gegeben hat, seit er im April 2001 zum Nachfolger de Hadelns berufen wurde. Kosslick hat das Festival grundlegend umgebaut. Er hat zahlreiche zusätzliche Veranstaltungsreihen installiert, hat über den Film hinaus Künstler aus allen Bereichen ans Festival gebunden. Er hat vor allem auch das Vertrauen des deutschen Films in das Festival zurückgewonnen, was in der de-Hadeln-Ära gründlich zerrüttet war. Kosslick hat auch den Filmnachwuchs mit ins Boot geholt, durch die Perspektive Deutsches Kino, in der er seine ersten Filme vorstellen darf, und durch den Talent Campus, wo Filmstudenten aus aller Welt etwas von den Festivalgästen lernen können.
Kosslick hat die Berlinale vom bloßen Filmfestival zu einem Total-Happening für die ganze Stadt gemacht. Und wie eine Krake hat sich das Festival dabei über ganz Berlin ausgebreitet, durch zusätzliche Festivalstätten und „Berlinale Goes Kiez“. Kosslicks Auftrag bei Dienstantritt war es, die Berlinale groß zu machen. Das hat er mehr als eingelöst. Und das sind unbestreitbar seine Verdienste, auch wenn die in der Aufregung der letzten Zeit etwas in Vergessenheit geraten sind.
Kosslick, der Anwalt des Films. Der gebürtige Pforzheimer startete in den 70er-Jahren in Hamburg als Referent für den damaligen Ersten Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD), war dann auch Frauenbeauftragter der Hansestadt und kurzzeitig Redakteur der Zeitschrift „Konkret“. Bis er 1983 seine eigentliche Berufung fand, als er Geschäftsführer des Hamburger Filmbüros wurde. 1992 wechselte er zur Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, die sich in den neun Jahren seiner Amtszeit zur größten regionalen und mächtigsten Filmförderanstalt des Landes entwickelte. Bis dann der Ruf aus Berlin kam.
Auch auf der Berlinale hat der Mann mit dem markanten Hut und der scheinbar immer guten Laune Filmförderung mit anderen Mitteln betrieben. Ihm gelang aber auch der Spagat zwischen Teppich und Anspruch, Hollywood-Mainstream und Arthouse-Kino. Und als die großen Studios wegen des vorgezogenen Oscar-Termins immer öfter wegblieben, hat Kosslick das mit politisch intendierten Filmen kompensiert, die die Berlinale zum politischsten aller A-Festivals machten.
Dass Kosslick bei der Auswahl seiner Filme, vor allem im Wettbewerb, nicht immer ein glückliches Händchen hat, ist allerdings ein Vorwurf, der sich in den letzten Jahren immer mehr manifestierte. In gewisser Weise ist das Problem hausgemacht. Die Berlinale ist weltweit das einzige Festival, das von einem einzigen Direktor geleitet wird. Der für das Künstlerisch-Programmatische genauso verantwortlich ist wie für das Finanzielle. Kosslick selbst hat schon vor Jahren gefordert, die Leitung, wie bei anderen Festivals üblich, in zwei Ämter aufzusplitten.
Genau das ist nun auch das erklärte Ziel der Kulturstaatsministerin, die seit Monaten auf der Suche nach einer adäquaten Nachfolge ist. Was durch den Rummel der jüngsten Debatte, mit der letztlich das ganze Festival beschädigt wurde, nicht leichter geworden sein dürfte. Wer Kosslick im Amt folgt, soll im Sommer bekannt gegeben werden. Der oder die Nachfolger/in wird in große Schuhstapfen treten. Und muss dann 2020 auch gleich noch ein großes Jubiläum wuppen: Dann wird nämlich auch das Festival 70 Jahre alt.
Bis dahin freilich wird Kosslick noch eine Berlinale ausrichten. Seine letzte. Er wird dabei Narrenfreiheit genießen, wie weiland de Hadeln. Was er danach macht, darüber mag er sich nicht äußern. Es gebe ja noch andere Festivals, ließ er schon durchblicken. Außerdem will er seine Memoiren schreiben. Mit einem Posten hat er lang geliebäugelt: in die große Politik zu gehen, als Kulturstaatsminister. Dafür ist er inzwischen zu alt, den Traum hat er schon lange aufgegeben.
Die jetzige Amtsinhaberin Grütters gratuliert ihm nun zum 70., als sei zwischen ihnen nie etwas gewesen. Und würdigt ihn als den „besten Filmbotschafter der Hauptstadt“. Das ist Kosslick zweifellos. Dieses Pfundes sollte sich Berlin auch bewusst sein. Und sich darum bemühen, den Mann auf diesem Feld in irgendeiner Weise weiter zu beschäftigen.