Der rote Teppich ist schon ausgerollt, und gewöhnlich rauschen die Filmdiven, aber auch manch männlicher Kollege, in spektakulären Outfits und grellen Farben darüber. Schließlich ist die Golden-Globe-Verleihung nach dem Oscar eine der größten Galas der Filmbranche, die weltweit übertragen wird. Und schon der Weg dahin gerät zur Schau, die konsequent auch so genannt wird: Red Carpet Show.
Wenn in Beverly Hills am Sonntagabend die Globes vergeben werden (für europäische Fans zu nachtschlafener Zeit, ab 2 Uhr MEZ), wird das aber wohl ganz anders aussehen. Es ist die 75. Verleihung, und bei solchen Jubiläen setzt man sonst gern noch eins drauf. Aber nicht in diesem Jahr. Viele der nominierten Schauspielerinnen und auch die Präsentatorinnen, die die Preise überreichen, haben angekündigt, dass sie diesmal ganz in Schwarz kommen werden.
Die Gala ist die erste Chance zur Selbstfindung der Branche
Als stiller Protest gegen sexuelle Belästigung hat sich die „Wir tragen alle schwarz“-Bewegung formiert. Und der werden auch etliche Männer folgen, wie Schauspieler Dwayne Johnson bekannt gab. Die Herren der Zunft kommen zwar sowieso überwiegend im schwarzen Anzug, werden aber aus Solidarität das weiße Hemd gegen ein schwarzes eintauschen.
Hollywood steht unter Schock, seit im Oktober Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen den einst übermächtigen Produzenten Harvey Weinstein erhoben wurden. Die haben eine Lawine ausgelöst, die Promis wie Kevin Spacey, Dustin Hoffman oder Brett Ratner in die Schlagzeilen brachten. Sie alle werden dieses Jahr wohl gar nicht erst über den Teppich gehen, was dann ja auch eher ein Spießrutenlauf wäre.
Weinstein wurde jüngst sogar aus Hollywoods ehrwürdiger Film Academy ausgeschlossen – obwohl die Aufnahme eigentlich auf Lebenszeit gilt Weitere Ausschlüsse dürften wohl folgen. Doch noch immer ringt die Academy, die über die Oscars entscheidet, um einen einheitlichen Anstandskodex. Bislang konnte man sich nur auf eine gemeinsame Verhaltenserklärung einigen, laut der in dem Verband kein Platz ist für Menschen, „die ihre Macht und ihren Einfluss dafür missbrauchen, die Regeln des Anstands zu verletzen“.
Stars wie Reese Witherspoon und Maggie Gyllenhaal haben selbst die Initiative ergriffen und die Kampagne „Time’s Up“ (Die Zeit ist vorbei) gegründet, die weniger privilegierten Frauen Schutz vor sexuellen Angriffen und Rechtsbeihilfe bieten soll. Der haben sich viele Kolleginnen wie Meryl Streep und Cate Blanchett angeschlossen, bislang sind bereits Spenden in Höhe von rund 13 Millionen Dollar (rund 11 Mio. Euro) zusammengekommen.
Aber wie nun einen Gala-Abend veranstalten, in dem Hollywood sich gewöhnlich selbst feiert? Die Preisverleihung der Schauspielervereinigung, die SAG-Awards, die nächste der vielen Galas der „Award Season“ bis zum Oscar, geht da am 23. Januar mutig einen Schritt weiter: Dort werden nur Schauspielerinnen die Preise verleihen. Und mit Kristen Bell gibt es auch eine Moderatorin, eine, die obendrein nicht dafür bekannt ist, auf bissige Kommentare zu verzichten.
Soweit hat es der Verband von Hollywoods Auslandspresse, der die Globes vergibt, nicht gebracht. Hier moderiert der Komiker Seth Myers, der das Reizthema natürlich ansprechen, aber dafür den richtigen Ton finden muss. Gut möglich, dass die übliche Floskel der Red-Carpet-Show, „Who are you wearing?“ (etwa: Das Kleid welchen Modeschöpfers tragen Sie?) durch relevantere Fragen ersetzt wird. Und hier wie auch bei mancher Dankesrede ein klares Statement gegen sexuelle Belästigung fällt.
Die Globe-Gala ist damit eine erste Chance zur Selbstfindung der Branche. Erste Auswirkungen gab es ja bereits: Ridley Scott hat Kevin Spacey aus seinem neuen Film „Alles Geld der Welt“ herausgeschnitten und durch Christopher Plummer ersetzt. Der, und nicht Spacey, ist jetzt als bester Nebendarsteller nominiert. Aber die Vereinigung der Auslandspresse selbst hat nicht schnell genug reagiert. Schon wurden erste Proteste laut, dass auch in diesem Jahr erneut keine Frau in der Kategorie Regie aufgestellt wurde, obwohl Greta Gerwigs Film „Lady Bird“ vier Mal und Dee Reeses „Mudbound“ immerhin zwei Mal nominiert sind.
Wahrscheinlich wird aber zumindest bei der Preisvergabe diesmal nach anderen, eher soziopolitischen denn rein künstlerischen Kriterien entschieden. Als großer Favorit des Abends geht mit sieben Nominierungen zwar Guillermo del Toros „Shape of Water“ ins Rennen. Das Filmmärchen bietet zwar allen entrückten Kinozauber, dürfte aber der derzeit aufgeheizten Stimmung kaum entsprechen.
Weit mehr Chancen hat da Steven Spielbergs „Die Verlegerin“ (6 Nominierungen) über die Verlegerin der „Washington Post“ (gespielt von Meryl Streep), die 1971 den Mumm hatte, gegen den Willen der US-Regierung die Pentagon-Papiere zu veröffentlichen. Oder Martin McDonaghs „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ über eine Frau (Frances McDormand), die die Polizei mit drastischen Mitteln zwingen will, im Fall ihrer vergewaltigten und ermordeten Tochter zu ermitteln, und sich dabei mit allen anlegt.
Die allgemeine Stimmungslage könnte auch, selbst wenn das zynisch klingen mag, dem deutschen Kandidaten für den besten nicht-englischsprachigen Film zugute kommen. In Fatih Akins NSU-Drama „Aus dem Nichts“ geht es um eine Frau, die bei einem Anschlag ihre Familie verliert und sich an den Tätern rächen will. Eine starke Frau wie diese, die sich nicht unterkriegen lässt und wehrt: Das sind genau die Figuren, die man momentan sehen will.