Kunstsammlung

Das Kunstmuseum Bern tritt schwieriges Gurlitt-Erbe an

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Gabriela Walde

Foto: Martin Gerten / dpa

Jetzt ist es offiziell: Das Kunstmuseum Bern tritt das umstrittene Gurlitt-Erbe an. Die Bundesregierung betont ihre moralische Verantwortung. Eine Gurlitt-Cousine könnte die Pläne noch durchkreuzen.

Überall Fahnen, die deutsche, mittendrin die schweizerische, außen die bayerische Fahne, vorne die der EU, groß neben dem Podium und klein auf dem Tisch. „Wird hier gleich Musik zum Einmarsch gespielt?“, fragt jemand frech im Saal des Presse- und Informationsamtes der Bundesrepublik.

Klar ist, man möchte an diesem Montag Geschlossenheit demonstrieren und verkünden, was am Wochenende bereits durchgesickert ist: Der Bund, Bayern und das Berner Kunstmuseum haben sich über das belastete Erbe des Cornelius Gurlitt geeinigt.

Bern nimmt die Sammlung des verstorbenen Münchners an, und die Bundesrepublik überprüft weiterhin die Werke auf Raubkunstverdacht – übernimmt dafür auch sämtliche Kosten. Die verdächtigen Bilder verbleiben im Lande.

Der Bund zahlt alle Rechtskosten

Zu Gurlitts Hinterlassenschaften gehören rund 1500 Gemälde und Zeichnungen, Spitzenwerke wie Picasso, Monet, Renoir, aber auch weniger Spektakuläres. Alle im Saal wissen, das Interesse am Fall Gurlitt ist riesig, auch international. Hier geht es nicht allein um einen teils absurden Kunst-Krimi, sondern vor allem um die moralische Verantwortung gegenüber der NS-Raubkunst.

Und da steht er nun auf dem Podium, Christoph Schäublin, der Stiftungsratsvorsitzende des Berner Museums, und entschuldigt sich erst einmal für das lange Schweigen und das Abwiegeln gegenüber der Öffentlichkeit. In Bern war man von dem Alleinerbe überrascht worden, Reputation und auch wirtschaftliche Stabilität stehen auf dem Spiel. Dort im Haus übernimmt man mit den Kunstwerken nicht nur Kunstgeschichte der Sonderklasse, sondern eben Sorgfaltspflicht gegenüber jenen Werken, denen eben „unfassbares Leid“, sagt Schäubner leise, eingeschrieben ist.

Kurz nach der Testamentseröffnung hätte man sich mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) in Berlin zusammengesetzt. Ohne diese klärende Gespräch am 27. Juni, meint er, „hätte man die Übung abgebrochen“. Ein „Triumphgefühl“ aber habe er nun nicht. Schließlich sei die Gurlitt-Sammlung eine „Daueraufgabe“ für das Haus.

Unsicherheit aus den USA

Der Deal, der gemeinsam ausgehandelt wurde, scheint zunächst vernünftig und fair für alle Seiten. Die Provenienzforschung der Taskforce setzt ihre Arbeit fort, übernimmt zudem die Recherche für jene Bilder, die noch nachträglich in Gurlitts Anwesen in Salzburg aufgefunden wurden. Noch einmal 239/40 Objekte sollen das sein. Deutschland erklärt sich bereit, alle Rechtskosten zu übernehmen, auch im Falle, dass Sammler-Erben das Schweizer Haus auf Herausgabe von Werken verklagen. Alle Ansprüche möglicher Eigentümer können direkt beim Bund angemeldet werden. Diese Rechtslage dürfte Bern die Entscheidung erheblich erleichtert haben. Ein Unsicherheitsfaktor sind die Klagen, die aus den USA kommen könnten. Ronald Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, hatte angekündigt, wegen der Raubkunst im Nachlass werde es voraussichtlich „eine Lawine von Prozessen“ geben. Für Schäublin ist klar: „Auf Schweizer Boden und über die Schwelle des Kunstmuseums Bern kommt kein Werk, das unter Raubkunstverdacht steht“.

Raubkunst wird „zeitnah“ an die Erben der Nazi-Opfer zurückgegeben, versichert Monika Grütters. Die gute Nachricht folgte gestern gleich – drei Bilder von Max Liebermann, Henri Matisse und Carl Spitzweg sollen sofort restituiert werden. Weiterhin ist unklar, wie viele Kunstwerke eigentlich unter NS-Raubkunst fallen. Wer sich die Mühe macht, sich auf der Datenbank der Koordinierungsstelle in Magdeburg (lostart.de) durchzuklicken, kommt auf 465 Werke, die dort aufgelistet sind.

Ein weiterer Problemfall sind die im Rahmen der NS-Aktion „Entartete Kunst“ aus Museen und öffentlichen Sammlungen entfernten Werke. Grütters nennt die Zahl 477. Leihanfragen der Museen, die früher Besitzer der Werke waren, sollen bevorzugt behandelt werden. Wichtig sind auch jene Werke, bei denen sich kein Eigentümer oder Erbe meldet. All diese Gemälde und Zeichnungen sollen in Ausstellungen gezeigt werden, eine Art öffentliche Suche nach Berechtigten.

Gesetzentwurf zur Verjährung

Die monatelangen Verhandlungen und die am Montag geschlossene Vereinbarung im Fall Gurlitt zeigen, was Deutschland in den letzten Jahren versäumt hat: eine juristische Handhabung für Fälle dieser Art. Vermutlich wird es irgendwann noch weitere „Gurlitts“ geben. Winfried Bausback, bayerischer Justizminister, nutzte die Gunst der Stunde für seine Mahnung: „Lösungen für künftige Fälle muss der Gesetzgeber erst noch finden.“ Der Gesetzentwurf zur Änderung der Verjährung bei Raubkunst steckt bislang noch im Bundesrat fest.

Wer denkt, der Fall Gurlitt sei nun beendet, irrt. Überschattet wird der ausgehandelte Konsens mit dem Museum Bern durch einen Antrag von Gurlitts 86-jähriger Cousine Uta Werner. Die alte Dame hatte überraschend am vergangenen Freitag beim Nachlassgericht München Anspruch auf das Erbe erhoben hat. Sie bezieht sich auf ein Gutachten, das Gurlitt für nicht testierfähig erklärt. Ein Psychiater attestierte dem Verstorbenen im Nachhinein eine „schizoide Persönlichkeitsstörung“ – dabei hat er den kranken Mann nie gesehen. Werner wäre – ohne Testament – als nächste lebende Verwandte die gesetzliche Erbin. Das letzte Wort hat das Gericht.