Das ZDF-Magazin “aspekte“ hat mit einem Beitrag über die vermeintliche “extreme Gewaltbereitschaft“ in Jena heftige Empörung ausgelöst. Nun diskutieren lokale Politiker, Zuschauer und die ZDF-Redaktion, wie der Eindruck entstehen konnte, Jena sei so etwas wie die Hauptstadt rechter Gewalt.
Ende August, das war der Starttermin. Mit der neuen Kampagne „Das ist Thüringen“ wollte Thüringen ein neues Image aufbauen. Denn das Problem des Freistaates, so sahen es zumindest die Kreativköpfe der verantwortlichen Werbeagentur, war, dass Thürigen bislang überhaupt kein Image hatte. Mittlerweile spricht ganz Deutschland über Thüringen, über Jena insbesondere. Aus der Stadt an der Saale stammt das Neonazi-Trio, das neun Morde begangen haben soll.
In Jena wiederum spricht man über das ZDF. Am Montagabend findet im Jenaer Theaterhaus eine öffentliche Diskussion zu einem Beitrag des Fernsehmagazins "aspekte" statt, der in der thüringischen Stadt seit drei Wochen für Furore sorgt. Mit dabei sind der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter und der Redaktionsleiter von "aspekte", Christhard Läpple. Dieser hatte in einem Video-Podcast zu der Veranstaltung eingeladen, nachdem der Film über die „extreme Gewaltbereitschaft“ der Stadt Jena heftig kritisiert wurde.
Die Journalistinnen Güner Balci und Anna Riek hatten für den sechsminütigen "aspekte"-Beitrag den Romanautor Steven Uhly nach Jena eingeladen. Uhlys jüngster Roman „Adams Fuge“ handelt von einem Deutsch-Türken, der als V-Mann für das türkische Verteidigungsministerium nach Deutschland entsandt wird. Dort muss er in die rechtsextremistischen Szene eintauchen, in der ein Spiel kursiert, das Neonazis zum Mord an Türken anstachelt. Es gibt interessante Parallelen zwischen der fiktiven Handlung des Romans und den Taten des Neonazi-Trios aus Jena.
In Jena selbst ist Uhly nie gewesen. Dennoch sollte der Autor, dessen Vater Bengale ist, in dem ZDF-Beitrag über seine Angst vor den östlichen Bundesländern berichten. Er könne "aus seinen eigenen Diskriminierungserfahrungen schöpfen", wie es in einer Ankündigung zu dem Bericht hieß. Gezeigt wurde, wie Uhly, aus München angereist, aus einem ICE steigt. Das Bahnhofsschild zeigt die Aufschrift „Jena Paradies“. Eine Stimme aus dem Off kommentiert: „Für Leute mit Migrationshintergrund kein Paradies“.
Steven Uhly sagt, er würde gern den Osten Deutschlands bereisen. Jedoch habe er zu viel Angst, um sich hier frei zu bewegen. In Begleitung eines Fernsehteams traut er sich dann doch. Er trifft sich mit dem Ex-NPD-Parteivorstandsmitglied Uwe Luthardt, dann mit dem Jugendpfarrer Lother König, der seit Jahren im Kampf gegen rechts aktiv ist. Als die Besuchszeit in Jena zu Ende ist, wird Uhly aus dem Off gefragt, ob sich sein Bild vom Osten nach dem Besuch in Jena denn geändert habe. „Nö“, sagt Uhly lachend, „hat sich nicht gewandelt, war aber jetzt auch nicht so schlimm“.
Die Zuschauer, nicht zuletzt die aus Thüringen, fanden es mindestens befremdlich, dass jemand, obgleich ohne konkrete Kenntnisse, zum Protagonisten eines Beitrags über rechtextreme Gewalt in Thüringen gemacht wurde. Auf Facebook brach in den Tagen nach der Ausstrahlung eine heftige Diskussion darüber los, wie der Beitrag zu bewerten sei – so heftig, dass das ZDF nun öffentlich diskutieren will.
Das „aspekte“-Team, so heißt es in dem offenen Brief eines Zuschauers auf Facebook, habe sich zwar dem Versuch gewidmet, „rechtsradikale Strömungen bzw. deren aktuelle terroristische Auswüchse zu erklären“, doch „das Niveau des Beitrags in seiner meinungsbildenden, reißerischen und aufs Schlimmste verallgemeinernden Art“ sei doch eher unterirdisch. Mit seiner Kritik steht der Jenaer nicht allein da. „Dieser Beitrag im sogenannten Kulturmagazin Aspekte entbehrt jeglicher Vernunft“, schreibt ein User. Ein anderer kommentiert den Beitrag ironisch als „erfrischend vorurteilsfrei“, von einem „gesellschaftlich ignoranten Beitrag“ zum Thema „Ignoranz in der Gesellschaft“ ist die Rede.
Die "aspekte"-Redaktion postete einen Tag nach der Veröffentlichung des Briefes eine eigene Stellungnahme auf Facebook. Man bedauere die Empörung, die der Beitrag ausgelöst habe. Jedoch habe man dem Schriftsteller Uhly nach Bekanntwerden der Mordserie durch das Neonazi-Trio die Gelegenheit gegeben, „seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen“. Die Darstellung des Ostens im Allgemeinen und der Stadt Jena im Besonderen hält die Redaktion dabei offenbar für ausgewogen;Uhly auf diese Art eine Plattform zu geben, sei „journalistisch vertretbar“.
Anschließend meldet sich Uhly mit einem Leserbrief in der "Thüringer Allgemeine" zu Wort . Darin stellt sich der Schriftsteller gegen die Redaktion: Der ZDF-Beitrag sei einseitig. Seine Kenntnisse Ostdeutschlands basieren demnach – abgesehen von einem Besuch im Januar 1990 – primär auf Zeitungslektüre. Nichtsdestotrotz, seine Angst vor Ostdeutschland, so sagt er, halte bis heute an. Der Osten sei noch immer ein fremdes Land für ihn, „den Wessi“ – wie er sich selbst nennt. „Was bleibt, ist eine weitere unangenehme Episode deutsch-deutscher Verwerfungen.“ Uhly schreibt, er habe seinen Aufenthalt in Jena anders erlebt, als der Beitrag es nahelegt.
Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) hat sich indes in einem Brief an den ZDF-Intendanten Markus Schächter gewandt und im Zusammenhang mit dem Thema Rechtsextremismus eine ausgewogenere Berichterstattung über die Stadt gefordert. Die "aspekte"-Sendung vom 18. November sei "undifferenziert, wahrheitswidrig oder gar diffamierend" und habe viele Jenaer Bürger empört, zitiert die "Thüringer Allgemeine" in ihrer Online-Ausgabe aus dem Brief an Schächter.
Die Podiumsdiskussion um den Betrag findet ab 20.00 Uhr im Jenaer Theaterhaus statt. Das Bürgerportal Jenapolis überträgt die Veranstaltung ab 19.30 Uhr live im Internet .