Noel und Liam Gallagher nehmen einzeln bessere Platten auf als zuletzt gemeinsam. Es ist das Wunder der Zellteilung.

Kain und Abel, Romulus und Remus, Adidas und Puma. Auch die nordenglische Band Oasis ging im Bruderkrieg in die Geschichte ein. Im Januar 2009 standen die Brüder Noel und Liam Gallagher zum letzten Mal gemeinsam auf einer Berliner Bühne. In der zugigen Treptower Arena. 5000 Besucher durften miterleben, wie der Ältere mit der Gitarre an den Jüngeren am Mikrofon herantrat und ihn tadelte. Der Jüngere spuckte dem Älteren auf die Schuhe. Es wurde dann ein gelungener Abend mit Oasis, der Erfolgsband aus den Neunzigern.

Vor zwanzig Jahren war Noel Gallagher der Gruppe seines kleinen Bruders beigetreten mit der Forderung, als hauptamtlicher Songschreiber geführt zu werden. Im vergangenen Sommer trat er wieder aus: Vor einem Gastspiel in Paris hatte ihm Liam eine Pflaume an den Kopf geworfen und ihn mit einer Gitarre angegriffen wie mit einer Streitaxt.

Noel stieg ins Taxi, dachte fünf Minuten nach und fuhr davon. Nun sind sie wieder da: Liam Gallagher kehrt in die Hallen zurück mit seiner Rockband Beady Eye, den Überresten von Oasis. Und Noel Gallaghers Debütalbum "High Flying Birds" wird in den Plattenläden und Elektromärkten ausgelegt.

Früher waren es gewaltige Hymnen

Man hatte sich bereits darauf geeinigt, dass die beiden nur in ihrer unheilvollen Blutssymbiose zu gewaltigen Hymnen in der Lage seien wie "Wonderwall" und "Supersonic". Einer schrieb die Lieder und die Lyrik. Einer sang sie mit dem Kopf im Nacken und den Armen auf dem Rücken wie das Opfer eines Geiseldramas.

Wenn sie aus den Rollen traten, kam nur selten etwas an den Tag, das größer war als jeder einzelne. Wie "Don’t Look Back In Anger", das Noel Gallagher mit seiner gleichgültigen Stimme vortrug, weil sie besser dazu passte als der heisere Gesang des Nachgeborenen.

So haben auch die Kühnsten nicht mit einem großartigen Album wie "Noel Gallagher’s High Flying Birds" gerechnet. Die High Flying Birds sind keine neue Band mit neuen inneren Konflikten. Sondern eine offene Arbeitsgruppe um einen zufriedenen Solisten.

Vor dem ersten Stück hört man sie miteinander plaudern, jemand hüstelt. Klangwände bauen sich auf, dazwischen singt Noel Gallagher so dünn wie selbstbewusst aus seinem neuen Leben ohne Band und Bruder. Darin haben Chöre Platz und Streicher wie aus Westernfilmen, klingende Weingläser und singende Sägen.

In "The Death Of You And Me" fällt eine Blaskapelle ein. Zu "What A Life!" könnte man durchaus tanzen. Es ist eine Art Konzeptalbum über die Phasen einer zwischenmenschlichen Beziehung. In den Liedern wird geträumt, von Waffen fantasiert, der letzte Song heißt "Stop The Clocks" wie die Oasis-Hitsammlung vom Herbst 2006. Aber Noel Gallagher legt Wert darauf, dass seine erste Platte nicht von Brüdern handle, die nie zueinanderfinden werden. Seine Plattenfirma hat er aber umbenannt: Big Brother heißt jetzt Sour Mash.

"Beatles and Stones"

Schon als Liam Gallagher im Februar 2011 mit Beady Eye das eigene Album "Different Gear, Still Speeding" vorstellte, war man verblüfft, wozu er ohne brüderliche Hilfe fähig schien. Sogar zu Melodien. Er griff auf die Stilmittel zurück, durch die Oasis in den frühen neunziger Jahren zu den Haupterben der BritPop-Klassik aufgestiegen waren.

"Beatles And Stones" nannte er das zentrale Stück und sang: "I’m gonna stand the test of time." Man einigte sich darauf, dass Oasis-Freunde lange warten mussten auf ein solches Album, das so unverschämt wie majestätisch über sich hinaus wuchs. Und auch von Noel Gallaghers Debüt lässt sich behaupten, dass Oasis sich seit "(What’s The Story) Morning Glory?" nie wieder so ähnlich klangen.

Eine immer lustloser und schwächer werdende Band hat sich im Bruderkrieg entzweit. Die Hälften wirken heute größer als das Ganze früher. Das Wunder der Zellteilung.

Noel Gallagher's High Flying Birds (Sour Mash) .

4 von 5 Punkten .