David Gilmour

„Ich bin ein gitarrespielender Familienmensch"

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Michael Loesl

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David Gilmour ist Ex-Bandleader von Pink Floyd und schon lange solo unterwegs. Jetzt ist eine neue DVD des Gitarristen erschienen. Im Gespräch mit Morgenpost Online redet er über Kokain, das Familienleben – und darüber, dass er das Ende von Pink Floyd nicht verkünden kann.

Geboren wurde David Gilmoure 1946 als Sohn eines Professors in Grantchester Meadows in England. Miit seinem Schulfreund Syd Barrett gab er schon früh Straßenkonzerte. Als dieser 1965 Pink Floyd gründete, versuchte sich Gilmour unter anderem als Dressman. 1968 folgte er Barrett als Gitarrist bei Pink Floyd nach. Erste Soloprojekte blieben ohne Erfolg. Nachdem Bassist und Songwriter Roger Waters 1985 Pink Floyd im Streit verlassen hatte, übernahm Gilmour die Führungsposition. Auf sein drittes Soloalbum „On an Island“ folgte 2006 eine ausverkaufte Europa-Tournee, die mit drei Abenden und zahlreichen Gästen wie David Bowie in der Royal Albert Hall in London endete. Aus diesem Material hat er eine Doppel-DVD zusammen geschnitten. „David Gilmour – Remember That Night“ ist jetzt endlich erschienen.

Morgenpost Online: Mr. Gilmour, wollen wir den unangenehmen Teil dieses Interviews direkt hinter uns bringen?


David Gilmour: Müssen wir wirklich über Pink Floyd reden?

Morgenpost Online: Daran kommen wir wohl nicht vorbei.

Gilmour: Die Band ist eine schwere Bürde, die ich ohnehin eher unfreiwillig ständig mit mir herumtragen muss. Meine Solo-Karriere ist ein viel erfreulicheres und befriedigendes Gesprächsthema.

Morgenpost Online: Dann verkünden Sie doch jetzt bitte, um uns alle besser schlafen zu lassen und um die ewigen Spekulationen aus dem Weg zu räumen, das Ende von Pink Floyd.

Gilmour: Oh! Wie kann ich darauf antworten? Ich kann nicht soweit gehen und das Ende verkünden.

Morgenpost Online: Warum nicht?

Gilmour: Es gibt rechtliche Gründe dafür, warum es ungeschickt von mir wäre, so etwas zu sagen. Ich weiß, wie schwammig das klingt, aber ich kann mich aus besagten Gründen nicht expliziter dazu äußern. Was ich mitteilen kann ist, dass die Aussichten auf eine Reunion von Pink Floyd wirklich extrem gering sind, abgesehen vielleicht von einmaligen, wichtigen Anlässen, wie Live 8 einer war. Der Gedanke an ein Wiederbeleben von Pink Floyd bereitet mir kein gutes Gefühl, und in meinem Alter hat man eher das Verlangen nach komfortablen Gemütszuständen.

Morgenpost Online: Warum haben Sie fast 40 Karrierejahre gebraucht, um zur Einsicht zu gelangen, dass Musik am Besten dem reinen Lustdiktat folgt?

Gilmour: Ich habe keine gute Antwort auf Ihre Frage, abgesehen vom Scheuklappendenken, das man als junger, nach Erfolg strebender Musiker hat, der alles negiert außer Ambitionen. Wenn man, wie ich, eine zweite Karrierechance hat, relativiert sich vieles. Die vergangenen Jahre waren die Erfülltesten meines Lebens, weil ich wieder geheiratet habe und vier jungen Kindern ein Vater sein darf.

Morgenpost Online: Das klingt im Showbiz-Kontext zwar verdächtig langweilig, scheint sich bei Ihnen aber in revitalisierter Liebe zur Musik wiederzuspiegeln.

Gilmour: So ist es. Ich muss niemanden mehr etwas beweisen, lege keinen Wert mehr auf extensive Tourneen und sehe mich in erster Linie als gitarrespielender Familienmensch. Mich erfreuen mittlerweile die simplen Dinge des Lebens. Ich habe eingesehen, dass unsere Emotionen die nachhaltigsten Special-Effects im Leben jedes Individuums sind. Diese effektive Simplizität schlägt sich auch in meiner Musik als Solo-Künstler nieder.

Morgenpost Online: Mit anderen Worten: Sie standen sich als Kopf der Inkasso-Gesellschaft, die Pink Floyd während der letzten beiden Tourneen mit unmäßiger Monstrosität war, selbst im Weg?

Gilmour: So würde ich das nicht sagen, obschon Ihre Frage möglicherweise ein Quäntchen Wahrheit enthält. Diese Tourneen mit Pink Floyd dienten nicht zuletzt dazu, uns als Band und dem Publikum zu beweißen, wie gut man weiter existieren kann, wenn ein Musiker die Band für Solo-Exkursionen verlässt. Darunter hat aber unsere Musik meiner Meinung nach nie gelitten.

Morgenpost Online: Aber das spontane Engagieren eines Straßenmusikers, der mittels dem Antippen von Weingläsern für Sie auf der Bühne das Intro zu „Shine On You Crazy Diamond“ spielt, wie es Ihre neue DVD eindrucksvoll zeigt, wäre doch im Pink Floyd-Kontext nicht möglich gewesen.

Gilmour: Genauso wenig wie das spontane Spielen von Songs, die ich nicht im Vorfeld minutiös eingeübt hatte. Jetzt, als Solist, erlaube ich mir die Freiheit, all das, was für mich ganz essenziell zu meinem Musikerleben gehört, zu tun. Und kein noch so hohes Millionen-Angebot wird mir diese Freiheit nehmen. Ich glaube an die Evolution, was für mich ausschließt, den gleichen Fehler zweimal zu begehen.

Morgenpost Online: Gehört dazu auch Ihr Kokain-Konsum?

Gilmour: Ich bereue es, das Zeug jemals genommen zu haben, aber ich will die Phase meines Lebens auch nicht unnötig überbewerten. Ob es nun Marihuana, Alkohol, oder Kokain ist – junge Leute experimentieren mit solchen Sub8stanzen, wenn sie greifbar sind.

Morgenpost Online: Definieren Sie bitte jung.

Gilmour: Ich meine das Alter, in dem ich anfing, solche Dinge zu nehmen. Ich war, im Vergleich zu anderen Leuten, zwar ein Kokain-Amateur. Aber ich habe genügend Erfahrungen um feststellen zu können, dass Kokain eine hinterhältige Droge ist. Man verliert wegen ihr seine moralischen Stärken. Die Wahrnehmung wird eingeengt, was die Konzentration auf die Ambitionen verstärkt.

Morgenpost Online: In dem Zusammenhang kann man von Ihrem aktuellen Album „On An Island“, auf dem auch Ihre neue Live-DVD basiert, von einer Rotwein-Platte sprechen, wohingegen „The Wall“ eher wie ein Kokain-Nebenprodukt wirkte.

Gilmour: Ich verstehe wegen der ganzen Paranoia in „The Wall“ was Sie meinen. Aber Sie müssten Roger Waters fragen, welche Dämonen in seinem Kopf ihn dazu brachten, die „Wall“-Geschichte zu schreiben. Meine Beiträge zu der Platte waren aber nicht kokaingeschwängert, obwohl meine Gitarrensoli, gemessen an der Pink Floyd-Historie, auf diesem Album schneller und wütender als zuvor und danach waren.

Morgenpost Online: Und so ausdrucks- und attitüdenstark, dass man den anschließenden Ego-Krieg zwischen Ihnen und Waters gar nicht recht glauben mochte.

Gilmour: Wenn die Welt das nur schon früher so gesehen hätte!

Morgenpost Online: Haben Sie die Bestätigung Ihrer Persönlichkeit nie außerhalb der Bühne gefunden?

Gilmour: Schauen Sie sich das Konzert in der Londoner Royal Albert Hall an, das wir für meine neue DVD „Remember That Night“ aufgezeichnet haben. Es enthält die Bestätigung der Bestätigung. Ich habe das Spielen vor mehreren hunderttausend Zuschauern nie als Bestätigung meiner Person, oder sogar als Droge empfunden. Wie gut ich in dem bin, was ich als meinen Job bezeichne, habe ich schon früh in meiner Karriere erkannt, weil ich als Musiker Emotionen transportieren konnte. Dass die Bestätigung meiner privaten Persönlichkeit in den letzten Jahren stattfand, hat eine Menge Erfolgs- und Egodruck von mir genommen.

Morgenpost Online: Sie vermissen also die Stadienkonzerte nicht?

Gilmour: Gott, nein! Die Zeiten, in denen Manager darum konkurrierten, wer die meisten Dollars mit unseren Tourneen machen konnte, sind für mich vorbei. Teilweise weil ich mit meinen Solo-Sachen keine Stadien füllen kann. Was wiederum ein Resultat meine Verweigerung an den Moloch Pink Floyd ist, der diesen Größenwahn erst ermöglicht hat.

Morgenpost Online: Apropos Größenwahn, haben Sie in den Achtzigerjahren Mrs. Thatcher gewählt?

Gilmour: Nein, ich habe die Tories nie gewählt. Wie meine Eltern vor mir, bin ich bis zum heutigen Tag Labour-Wähler geblieben. Nicht weil ich so sehr an New Labour glaube. Für dieses Konstrukt befinde ich mich politisch-ideologisch viel zu sehr links von der Mitte.

Morgenpost Online: Trotz der vielen Millionen, die Sie besitzen?

Gilmour: Es steckt ein gewisser Widerspruch zwischen meinem Bankkonto und meiner politischen Überzeugung. Aber wir alle haben mit Widersprüchen zu kämpfen. Das Showgeschäft ist voll davon. Glauben Sie bitte einer redundanten Gestalt der Unterhaltungsindustrie: Hat man das Ziel seiner Ambitionen einmal erreicht, kann man extrem unglücklich und orientierungslos werden. Durch dieses Lebensloch möchte ich nicht noch mal waten müssen.