Geschichte in Spielfilmen ereignet sich als ein Trommelfeuer von Ereignissen. Historienschinken haben eine Hyper-Plot: im Zeitraffer schrumpfen historische Prozesse zu einem atemraubenden Variete ohne Nummerngirls. Fernsehserien haben Möglichkeiten sich dieser Geschichtsklitterung zu verweigern. Die amerikanische Fernsehserie „Mad Men“ spielt 1960 in einer New Yorker Werbeagentur und nimmt sich für seine überaus elegant anmutenden Figuren viel Zeit. Obwohl die Autoren lediglich sparsame Handlungsstränge entwickeln, gibt die Serie einen Blick auf die Anfänge jener Befreiungs- und Emanzipationsprozesse frei, deren Erbe wir bewohnen.
Auf den ersten Blick gehört die Serie den Männern. Das besagt schon der zweideutige Titel: „Mad men“ nannten sich die Werber selbst, weil sie a) an der Madison Avenue ihr Büro hatten, b) in ihrem auch kreativen Beruf ein wenig verrückt sein durften. Selbstherrlich, faul und verroht stolpern die „Mad Men“ durch die Kulissen ihres Lebens, in denen Büro, Hotelzimmer und Eigenheim allesamt den gleichen Mid-Century-Modernismus atmen. Die Anzüge sitzen, die Couchtische glänzen, aber die Moral ist verrutscht. Insbesondere der Umgang zwischen den Geschlechtern scheint verkommen. Frauen gelten als Beschlafobjekte, Inspiration für anzügliche Bemerkungen oder fremde Wesen, deren Handeln und Tun die Werbemänner im Labor der Marktforscher hinter verspiegelten Scheiben zusehen: wie Biologen einem Rudel Mäuse.
Das ist die Ausgangsposition. Der Held der Serie heißt Don Draper und ist ein gut aussehender Mann voller Geheimnisse. Seine dunkle Vergangenheit wird in den ersten beiden Staffeln nur unzureichend ausgeleuchtet. Draper agiert, als hätte er sich selbst erfunden: eine laue Reklame seiner selbst. Die Poesie seiner Kampagnen entnimmt Draper schamlos direkt seinem eigenen Leben: er beutet sich und seine Familie aus. Die Frauen in der Agentur wollen mit ihm schlafen, aber er nicht mit ihnen. Wie alle geht er fremd, aber stets mit protoemanzipierte Frauen, die ihn in seine Schranken verweisen. Er verliebt sich in ihre Unbeugsamkeit, von der er, der Trendsichere, spürt, dass ihnen die Zukunft gehört. Hinter Drapers makelloser Fassade lauert eine eisige Leere, die ihn von seinen Kindern und seiner wunderschönen Frau trennt.
Die Zunft der Parvenüs und Halbseidenen
Draper ist – vielleicht ein wenig platt - gar nicht Draper, sondern hat sich im Korea-Krieg Name und Biografie eines gefallenen Offiziers gestohlen um dem Blutbad zu entgehen. So lebt er, der aus den einfachsten Verhältnissen stammt, ein elegantes Leben, das ihm so eigentlich nicht zustand. Aber weil Amerika in den 50er Jahren talenthungrig war, geht der sensible Draper seinen Weg in der Zunft der Parvenüs und Halbseidenen: der Werbung. Dem Wahnsinn McCarthys entronnen markiert die Idee der Leistungsgerechtigkeit und des sozialen Aufstiegs den Kit einer Gesellschaft, die ohne Moral und Gott transzendental obdachlos geworden ist. Die Serie selbst fungiert wie ein Entwicklungsroman, in der die Selbstfindung des Helden von den Emanzipationsprozessen der Gegenwart angestossen wird – und umgekehrt: der Wandel der 60er Jahre nach den verstockten 50er Jahre war nur möglich, weil so viele Biografien derart zerbrochen waren wie die von Draper.
Die eigentlich interessanten Figuren sind die Frauen. Sie erscheinen unergründlich. Sie mimen das Dummchen und die stoische Hausfrauen und ahnen, dass diese Form des Patriarchats kaum Zukunft hat. Die trinkenden, gockelnden und rauchenden Männer leben in permanenter Selbstüberschätzung. Eltern, Schwiegereltern, Ehefrauen und Kinder erwarten stets Heldentaten, doch eigentlich wollen die Männer nur Jungens bleiben: pubertierend, feixend, dem Ernst des Lebens entzogen. Indem die Frauen ihren Körper als Spielzeug für die großen Jungs benutzen, verschaffen sie sich Macht – und können mit einer entsprechenden Hochzeit aufsteigen. Umverteilung beginnt so – salopp formuliert – zwischen Laken.
Doch in der Agentur beginnen sich Dinge zu ändern. Zum Beispiel als ein unscheinbares, junges Ding namens Peggy Olson ihren Dienst im Sekretariat antritt. Die lauernde Meute hält sie für Frischfleisch, der besonders verzagte Pete schwängert sie angetrunken, aber Don Draper fördert sie. In ihr, dem hässlichen Entlein aus der Provinz, erkennt er seine verdrängte Vergangenheit – und ein ungenutztes Talent. Peggy geht unkompromitiert durch den Kriegsschauplatz, zu dem die Agentur kurz vor einer Übernahme verkommt. Ihr Selbstbewusstsein ist das einer neuen Generation von Frauen, deren Emanzipationsdruck kaum Widerstände duldet. Es geschieht dies unmerklich: in kurzen schlauen Bemerkungen zu Produkten, in instinktiv richtigem Verhalten in schwierigen Situationen, im 100prozentigen Ausnutzen auch nur der kleinsten Profilierungschance abseits eines Daseins als „Tippse“ und Büroflirt.
Alles geschieht schleichend
Die Helden dieser Zeit sind Helden dieses Umbruchs. John F. Kennedy ist das Idol der jungen Werber, auch wenn die Agentur für Nixon Wahlkampf machen muss, weil die Besitzer exzentrische Konservative sind. Draper erkennt in Kennedy einen modernen Visionär, der Amerikas Selbstverständnis verändert – und wird in der Kubakrise bestätigt. Auch Marilyn Monroes Tod ist ein Moment, in dem die Zeitgeschichte lebendig wird: die Frauen weinen, weil in Marilyns Tragödie der heimlich James Joyce lesenden, aber sich zwanghaft als Sexbombe gebenden und mit dem Präsidenten schlafenden Blondine ein Teil ihres Alltags ein grausames Ende findet. Die Frauen hören auf, Dinge hinzunehmen. Während Marilyn den Weg der Selbstzerstörung wählt, schlägt Drapers wunderschöne Ehefrau Betty zurück: anstatt sich mit Alkohol zu betäuben und ihre Kinder (anstatt ihres Mannes) zu bestrafen, zwingt sie Draper nach seiner x-ten Affäre auszuziehen. Damit beendet sie auch sein kaputtes Leben: er war dazu nicht in der Lage.
Auch andere Emanzipationsprozesse sind zu bewundern. Paul, der Boheme-Werber mit dem Vollbart hat eine schwarze Freundin, mit der er in den Südstaaten für die Bürgerrechte kämpft. Wenig später gibt der erste, junge, europäische Werber zu, schwul zu sein. Der ungeoutete alte Art Direktor ist schockiert. Und auch die schwarzen Liftboys bekommen mehr Respekt – besonders von Draper, der als eine Art konservativer Liberaler für den Wandel dieser Zeit steht.
Es sind keine Umbrüche, sondern behutsame Verschiebungen, die „Mad Men“ registriert. Alles geschieht schleichend: die Höhepunkte sind existenzieller Natur: Herzinfarkte, Ohnmacht (im Vollrausch) oder Schwangerschaften. Das Verdienst des „Mad Men“-Erfinders Mathew Weiner ist, politischen Prozesse sachte und mit Hingabe für die Figuren zu erzählen. Heimlich wird man Zeuge einer gesellschaftlichen Dynamik, die sich erst mit der zweiten Staffel in den Vordergrund schiebt. Die glänzenden Oberflächen, die spektakulären Kostüme machen die Oberflächen der Serie so glatt, dass das Auge lustvoll an ihnen abrutscht. Dass ausgerechnet eine Serie, welche die Anfänge unseres Zeitgeistes problematisiert, nun selbst Zeitgeist prägt, macht die Serie doppelt aktuell. Muccia Prada ließ sich von der Serie so inspirieren, wie sich die Serie von den Neo-Sixties eines Thom Brown inspirieren ließ.
„Mad Men“ wird mit Preisen überschüttet. Gerade hat die Serie zum zweiten Mal hintereinander einen Golden Globe gewonnen. Die Kritiker verneigen sich vor Weiners Talent, Figuren geschaffen zu haben, die einen heimlich über die Anfänge jenes Amerikas erzählen, dass mit einem schwarzen Präsidenten dieser Tage einen pathetischen Aufbruch erfährt.