Staatsoper Unter den Linden

"Das Flammende Herz" wird zum rasanten Reigen

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Frank Weigand

Foto: dpa / dpa/DPA

Als rasanten Reigen der Leidenschaften hat der Franzose Patrice Bart das "Das Flammende Herz" an der Berliner Staatsoper inszeniert. Dabei geht es vor allem um Eifersucht und enttäuschte Liebe. Vladimir Malakhov erscheint allerdings auf den ersten Blick zu alt für die Rolle des jungen, engelsgleichen Schwärmers.

Bedrohliche Klippen im Dämmerlicht, die ein wütender Ozean umtost. Kaum ein Szenario könnte besser das wilde Leben des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley ausdrücken, der am 8. Juli 1822 kaum 30-jährig vor der Küste des italienischen Fischerdorfs La Spezia ertrank. Freiheitsdrang, Nonkonformismus und eine unstillbare Sehnsucht nach der wahren Liebe charakterisierten diesen zerbrechlichen Künstler, der wie geschaffen scheint für ein tänzerisches Porträt.

In Patrice Barts „Das Flammende Herz“ steht eben dieses Bild am Anfang und nimmt als gewaltige Stoffbahn den gesamten Bühnenraum ein. Zu den Klängen des ersten Satzes von Mendelssohns „Schottischer Sinfonie“ werden drei düstere Schatten hinter der bunten Oberfläche sichtbar. Die Musen des Verstorbenen streiten sich schweigend um sein Angedenken. Der letzte Ton verklingt, das Tableau gleitet zu Boden und gibt den Blick auf einen herrschaftlichen Ballsaal frei.

Eifersucht in 15 Szenen

In den folgenden knapp drei Stunden inszeniert Bart einen rasanten Reigen der Leidenschaften, in dem es vor allem um Eifersucht und enttäuschte Liebe gehen wird. Dramaturgisch unterstützt von Christiane Theobald hat der stellvertretende Leiter des Ballet de l'Opéra de Paris den Lebensweg des empfindsamen Freigeists weitgehend auf sein Beziehungsleben reduziert. Harriet Grove, Harriet Westbrook, Mary Wollstonecraft und Jane Williams sind die vier Frauen, die den Dichter zu seinen größten Werken inspirierten, dafür von ihm geliebt und eine nach der anderen schmählich verlassen wurden.

In fünfzehn Szenen erzählt Bart in Rückblenden von den wechselnden Amouren des Poeten und macht seinen Titelhelden oftmals zum hilflos getriebenen Spielball erotischer Anziehungskraft.

Der Shelley, dem Vladimir Malakhov mal zögerlich verträumt, mal verzweifelt gehetzt Gestalt verleiht, ist ein rastlos Suchender, in der Dichtung wie in der Liebe, und scheint am Ende fast bewusst den Tod zu wählen, um nur ja nicht irgendwo ankommen zu müssen. Immer wieder dreht sich der Reigen der Beziehungen. Während sich Harriet Westbrook, Shelleys zweite Frau, aus Verzweiflung über die Untreue ihres Mannes das Leben nimmt und als blutrot gekleidete Schicksalsallegorie wiederkehrt, gelingt es der intellektuellen Mary, ihren Schmerz zu dem gruseligen Weltbestseller „Frankenstein“ zu sublimieren.

Bemerkenswert ist der choreografische Stil von Barts Arbeit. In der immer mehr aus den Fugen geratenden Welt der Romantik geraten auch die Körper der klassischen Tänzer außer Kontrolle und verlieren ihr Gleichgewicht. Arme werden angewinkelt, Hüften verschoben, Hände wie todbringende Dolche umhergeschleudert – und immer wieder reißt es die Akteure vor lauter Überschwang zu Boden. Während einerseits die Gruppenszenen streng geometrisch organisiert sind, brechen in den Soli und Pas de Deux bedrohliche, unkontrollierbare Leidenschaften hervor.

Vladimir Malakhov erscheint auf den ersten Blick zu alt für die Rolle des jungen, engelsgleichen Schwärmers. Anfangs zögerlich, dann immer unbedingter lässt er sich auf die expressionistischen Verformungen des klassischen Gestus ein. Malakhov ist kein Jüngling. Mit seiner Lebens- und Tanzerfahrung wirft er sich in die Choreografie und macht das Drama des unbedingt Liebenden zu seinem eigenen. Wenn sich ein furioser Wettstreit mit dem Freund und Rivalen Lord Byron unversehens in eine angedeutete homo-erotische Liebesgeschichte verwandelt, wird in der Hingabe Shellys, der sich plötzlich in Ballerinen-Hebefiguren umhertragen lässt, eine Zerbrechlichkeit spürbar, zu der ein junger Tänzer wohl kaum fähig wäre.

Dennoch hat Patrice Bart seinem Star keine technische Bravourrolle auf den Leib geschrieben. Die wahrhaft komplizierten Sequenzen des Abends tanzen andere: Nadja Saidakova, die sich als Widergängerin, als Schicksalsallegorie à la Martha Graham schier um den Verstand tanzt oder auch Polina Semionowa als Mary, die sich von einer kühlen Präsenz in einen fast flamencoartigen Furor hineinsteigert.

Trotz aller Exzesse lebt Barts Inszenierung von der feinen Spannung der Reduktion. Ezio Tofuluttis sich ständig transformierendes Bühnenbild aus Stellwänden, Rampen und Treppen beschränkt sich zumeist auf die Farben Schwarz, Rot und Weiß. Auch Luisa Spinatellis historisierende Kostüme sind nur selten farbenfroh, sondern meist in schlichtem Grau oder Weiß gehalten.

Blitzeis gehört in die Mottenkiste

Wenn sie sich ganz auf den Tanz verlässt, kann Patrice Barts Inszenierung rückhaltlos überzeugen. Doch leider rückt der Franzose immer wieder das schauspielerische Element in den Vordergrund, das nicht die Stärke aller Beteiligten ist. Auch die sattsam bekannte Theatermaschinerie aus Trockeneis, Blitzen und einem Abgang durch die Bodenluke bei Shelleys Tod gehört längst in die finsterste Mottenkiste des Stadttheaters.

Nichtsdestotrotz ist „Das flammende Herz“ bei allen Unebenheiten ein rührender, oft mitreißender Abend geworden, der die unterschiedlichen Charaktere des Staatsballett-Ensembles glänzend zum Einsatz bringt.

Weitere Vorstellungen in der Staatsoper: 22., 25., 28. Juni, 2. Juli; 19.30 bzw. 18 Uhr. Karten: Tel.: (030) 206092630.