Vor dieser Inszenierung wird gewarnt: „Vorstellung mit überwiegend Stehplätzen, kein Sitzplatzanspruch“! Und in Wort und Schrift werden die Besucher von Georg Büchners „Woyzeck“ im Maxim Gorki Theater obendrein aufgefordert, Jacken und Taschen an der Garderobe zu lassen. Es wird nämlich eng.
Seit seiner fulminanten Diplominszenierung der „Penthesilea“ bei „Ernst Busch“ und der Weimarer Inszenierung von Bruckners „Krankheit der Jugend“, die zum Theatertreffen kam, hat sich Tilmann Köhler durch Konzepte eingeprägt, die bekannte Stücke in starke Bühnen-Formen zwangen und von den Darstellern extremen körperlichen Einsatz verlangten. Diesmal leidet auch der Zuschauer: meist stehend, ist er mitsamt den Darstellern auf die eingezäunte Bühne gesperrt. An deren Extrempunkten sind weitere hohe Käfig-Podeste postiert.
Der straßenartige, klaustrophobische Zwinger-Raum von Karoly Risz kann beides bedeuten: Woyzecks Gefangensein in den Verhältnissen, aber auch den Vollzug seiner peinvollen Existenz vor aller Augen. Der „originale“ Woyzeck, das Vorbild für Büchners Dramengestalt, wurde 1824 vor 5000 Zuschauern in Leipzig durch das Schwert hingerichtet.
Vermischung äußerst prägnanter Rollen
Köhler schrumpft das Rollenaufgebot auf nur fünf Spieler. Nur die Darsteller von Woyzeck und Marie brauchen sich nicht aufzuteilen. Gerade aber die Vermischung äußerst prägnanter Rollen führt zu misslichen Unschärfen. Hilke Altefrohne, im Männerfrack, steigt intensiv in den Part des Ausrufers und Marktschreiers, der der ganzen Inszenierung ein übergeordnetes Jahrmarktgepräge geben soll, in dem „die Creatur“ vorgeführt wird. Wenn die Schauspielerin zusätzlich in die Rolle des Doktors wechselt, der am lebenden Menschen experimentiert, tritt dessen Zynismus nicht scharf genug hervor. Ähnlich geht es Robert Kuchenbuch: dem Tambourmajor fehlt die machohafte Leichtfertigkeit dieses Militärs und Verführers – auf ihn färbt, abschwächend, die Rolle des ironisch depressiven Hauptmanns ab.
Die Spieler müssen die lange Bühnenstraße hinauf- und hinabsprinten. Sie sollen immer wieder, orthopädisch gefährdet, die hohen Käfige erklimmen und wieder herabspringen. Der vom Stehen seinerseits ermüdete Betrachter fürchtet um ihre Knöchel, Sehnen und Bänder. Woyzeck ist hier keiner, der „wie ein offnes Rasirmesser durch die Welt“ läuft. Michael Klammer scheint mehr von der Regie gehetzt als von den Menschen des Stücks, von seiner Eifersucht und den Stimmen, die ihn hier hörstückartig bedrängen. Marie (Julischka Eichel) baumelt schon mal am Trapez.
Texte von einer jazzigen Live-Musik zutrompetet
Die Regie, ganz auf die äußere Form fixiert, kann weder das soziale noch das menschlich individuelle Drama verdichten. Zur Atemlosigkeit der Spieler kommt noch hinzu, dass ihre Texte oft genug von einer jazzigen Live-Musik zutrompetet werden. Wie wenig Köhler daran liegt, die verschiedenen Motive der Dichtung aufeinander zu beziehen, wird schon deutlich, wenn dieser Woyzeck, nur völlig nebenbei, beschreibt, dass Leute wie er dereinst im Himmel nur zu einem gut wären: „donnern helfen“. Das herzzerreißende Märchen der Großmutter vom verlassenen Kind, das auf der Erde wie im Himmel nur Kälte und Verlassenheit erfährt, wird damit erledigt, dass alle Spieler es irgendwann, hier und dort, einer Zuschauergruppe vorplappern.
Das Stück wird hier vom spielerischen Korsett erdrückt. Viel gewollt und nichts gewonnen. Zum Schluss geht, noch bevor es zur Mordtat kommt, zwischen Marie und Woyzeck, penetrant bedeutungsvoll und mitten im Publikum, der Eiserne Vorhang herunter.
"Woyzeck" am Maxim Gorki Theater. Am Festungsgraben. Kartentelefon: (030) 202 21 115. Termine: 3., 16., 28.Juni