Die Hartz-IV-Tiraden von Guido Westerwelle schockten die Nation: „Wer arbeitet, sollte mehr haben, als der, der nicht arbeitet.“ Ansonsten drohe, so orakelte der Außenminister apokalyptisch, „spätrömische Dekadenz“. Doch keine Sorge: Dass die Bundesrepublik, dem Riesenreich gleich, von innen zerfallen wird, ist derzeit noch unwahrscheinlich. Neueste Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands kommen zu einem klaren Ergebnis: Auch im Niedriglohnsektor hat ein Arbeitnehmer, der Vollzeit arbeitet, deutlich mehr Geld zur Verfügung als ein vergleichbarer Empfänger von Hartz IV.
Nichtsdestotrotz beherrscht die Diskussion über die Gestaltung von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld derzeit Feuilletons und Stammtische gleichermaßen. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar behaupten die einen, das Gericht habe Hartz IV für menschenunwürdig erklärt. Die anderen kontern, das Gesetz wäre in seiner jetzigen Form bestätigt worden. Beides ist falsch.
Die Richter verwarfen weder die Reform insgesamt noch die Höhe der Regelsätze. Sie erklärten allerdings die teils willkürliche Berechnung der Leistungen für verfassungswidrig. Auf diesen Zug sprang der FDP-Vorsitzende in einer Zeit sinkender Umfragewerte seiner Partei auf und regte mit provokanten Formulierungen eine Debatte über die Gerechtigkeit unseres Sozialwesens an.
Dazu sprach auch Alt-Kanzler Helmut Schmidt bei Beckmann Guido Westerwelle bereits eine aufrichtige Motivation seines Vorstoßes ab: „Westerwelle ist ein Meister der Wichtigtuerei. Schließlich hat niemand dem Volk Wohlstand ohne Anstrengung versprochen.“ () Diese Einlassung schien Reinhold Beckmann derart inspiriert zu haben, dass sich der Talker, ganz im historischen Bild bleibend, zu einer Sendung mit dem Titel „Quo vadis, Sozialstaat?“ hinreißen ließ.
„Quo vadis, Reinhold?“ möchte man zurück fragen. Denn der Moderator mag zwar politisch durchaus interessiert sein – die Erläuterung politischer Konzepten und Grundsatzdebatten anhand der gefühligen „Methode Beckmann“ kann man sich trotzdem nur schwer vorstellen.
Es kam wie befürchtet: Der Versuch des Gastgebers, sich dem komplexen Streit um Regelsätze und Härtefälle „menschelnd“ zu nähern, misslang auf ganzer Linie. Zu unterschiedlich waren die Abstraktionsniveaus der Anwesenden.
Während die Vertreter der Politik, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, kaum Gelegenheit hatten, ihre Standpunkte darzustellen, wurde die Diskussion durch die Nervosität der „Betroffenen“ extrem gedehnt.
Die Hartz-IV-Bezieher Jenny Brake und ihr Lebensgefährte Sascha Bültemeier saßen in der Sendung, als wären sie beim Verhör. Ihre Meinung wurde ihnen von Reinhold Beckmann per Stichwort-Zuruf entlockt. Dass die Beiden ehrenamtlich in einer Kinderbetreuung arbeiten, ist aller Ehren wert.
Nur tragen minutenlange Einspieler, die genau dieses illustrieren, genauso wenig zur objektiven Meinungsbildung des Zuschauers bei, wie die Lobeshymnen des örtlichen Pfarrers auf das Paar. Um Fallbeispiele wie Brake und Bültemeier zu Wort kommen zu lassen, eignen sich andere Formate besser – etwa Dokumentationen, die sich der Lebenswelt einer sozialen Schicht mit dem notwendigen Platz widmen können.
In einer Talkshow wirken solche Konfrontationen der Politik mit „dem echten Leben“ meist arg bemüht. Doch in dieser Debatte sind sie sogar unzulässig, da die Anwesenden nie eine derart heterogene und große Gruppe wie die Hartz-IV-Empfänger repräsentieren können. Hier helfen nur Sendungen, die dem Zuschauer Fakten vermitteln und die verschiedenen politischen Positionen erläutern.
Auch der Würzburger Arbeitsvermittler Roman Menth gab wenig Informatives zum Besten und ließ sich jeden Satz von Beckmann aus der Nase ziehen. „Haben Sie zu viel Papierkram zu erledigen?“ Menth: „Richtig.“ Beckmann: „Wieviel Fälle pro Sachbearbeiter haben Sie denn?“ „180.“ „Schafft man das?“ „Nein.“ Schwerfällig berichtete er im Amtsdeutsch von „Kundenstruktur“ und „Fallbelastung“. Fazit: Es gibt „Solche und Solche“.
Dagegen wirkte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit wohltuend sortiert, wenngleich auch sichtbar gelangweilt. Wowereit verwies auf die Forderung der SPD nach einem Mindestlohn und watschte seinen Parteigenossen Thilo Sarrazin für dessen jüngste Äußerungen ab.
Leider fehlte ihm ein ebenbürtiger Gegenpart. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, war dies nicht. Zahnlos betete Vogel das Programm der FDP (Steuern senken, Vermittlung verbessern) herunter, ohne auch nur den Versuch zu machen, mit seinem Gegenüber in den Ring zu steigen.
Was Michael Mittermeier in der Runde zu suchen hatte, blieb bis zum Schluss rätselhaft. Die mit Füllwörtern à la „irgendwie so“ und zahllosen „Ähs“ gespickten Beiträge des Comedians wirkten wie Nummern aus seinem neuesten Programm.
Welchen Sinn der Auftritt hatte, zeigte sich dann ganz am Ende der Sendung: Auf Beckmanns Stichwort hin durfte der Gast sein neues Buch über das Vaterwerden präsentieren. Der Werbeeffekt ging allerdings in Mittermeiers Tirade über den Sinn von Kitas unter, der niemand mehr folgen konnte. Ratlos trennte sich die Runde.
.