Late Night

Westerwelle bleibt bei seiner Kritik an Hartz IV

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Thilo Maluch

Foto: dpa / dpa/DPA

Seit Wochen steht FDP-Chef Guido Westerwelle wegen seiner Hartz-IV-Aussagen in der Kritik. Bei Maybrit Illner legte er noch einmal nach. Er versprach, auch in Zukunft Klartext zu reden und wehrte sich gegen Versuche, ihn in die rechtsradikale Ecke zu drängen. Der SPD warf er Doppelmoral vor.

Seit Guido Westerwelle auf Morgenpost Online seine Thesen zu anstrengungslosem Wohlstand und „spätrömischer Dekadenz“ formulierte, war er Thema in den politischen Talkshows und der unsichtbare Dauergast. Zahlreiche FDP-Politiker fungierten bei Sandra Maischberger, Anne Will & Co. inzwischen als Blitzableiter der Empörung und verteidigten brav ihren Parteivorsitzenden gegen die teilweise harsche Kritik von allen Seiten.

In den Talkshows war lange über ihn geredet worden, jetzt sprach er bei Maybrit Illner selbst. Auf der Suche nach den Motiven des Liberalen fragte Illner „Polemik oder Politik – was will Westerwelle wirklich?“ Weitere Gäste waren der Sozialpolitiker Rudolf Dreßler (SPD), der Unternehmer Stephan Schwarz sowie die Wirtschaftsjournalistin Elisabeth Niejahr.

In einer Art Prolog zur Diskussion hatte Westerwelle zunächst die Gelegenheit, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern. Der Vize-Kanzler gab sich dabei betont standhaft, verzichtete vollständig auf rhetorisches Getöse und trat als sachlicher Verteidiger von Steuerzahler und dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit auf.

Westerwelle wehrte sich gegen den Vorwurf unsoziale Politik zu betreiben. „Die SPD hat nach der letzten Bundestagswahl die Mehrwertsteuer um drei Prozent erhöht, wir das Kindergeld. Ich glaube, unsere Entscheidung war sozialer“, sagte der FDP-Vorsitzende.

Er kündigte an, auch in Zukunft ein Freund klarer Worte bleiben zu wollen, „Ich neige dazu, Dinge auf den Punkt zu bringen“, sagte Westerwelle. Als Außenminister müsse er zwar diplomatisch sein, innenpolitisch könne er dagegen Klartext sprechen. „Im Inland bleibe ich Mitglied des Vereins der klaren Aussprache.“

„Ich bleibe dabei“, wiederholte er immer wieder und nahm kein Wort seiner Kritik zurück. Dafür würde er sich auch von niemandem in die rechtsradikale Ecke stellen lassen, sagte der FDP-Chef. Westerwelle bezog sich damit auf die traditionelle satirische Rede beim Starkbier-Anstich auf dem Münchner Nockherberg, die eine auf ihn gemünzte KZ-Anspielung enthielt. Genüsslich zitierte er auch Sigmar Gabriel, der erst kürzlich sein Herz für die Arbeiterklasse entdeckt hatte, während der Regierungsbeteiligung der SPD aber noch gefordert hatte, den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitsverweigerung komplett zu streichen.

Westerwelle wird mit einer gewissen Zufriedenheit beobachtet haben, dass es ihm mit seinen deutlichen Worten gelang, den Abwärtstrend seiner Partei in den Umfragen zu stoppen, die Schlagzeilen zu dominieren und eine offenbar überfällige Debatte anzustoßen, die in Deutschland auf fruchtbaren Boden gefallen war. In dieser Debatte hatte Westerwelle aufgrund seiner Wortwahl viel Kritik einstecken müssen, erntete jedoch durchaus auch Zustimmung und Anerkennung.

Der langjährigen SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler bezeichnete die Thesen Westerwelles – aber auch die vom Außenminister zitierten Aussagen Gabriels – als Banalitäten. Was da gefordert werde, sei schon lange geltendes Recht, meinte Dressler. Tatsächlich ermöglicht es das Gesetz schon heute, bei Verweigerung einer zumutbaren Arbeit die Bezüge zunächst um 30 Prozent, dann um 60 Prozent zu kürzen und schließlich sogar ganz zu streichen.

Wie zahnlos diese Sanktionsandrohung in der Realität häufig ist, wurde klar, als der Chef eines Gebäudereinigungs-Unternehmens von seinem Versuch neue Mitarbeiter zu finden berichtete. Stephan Schwarz sucht in Berlin mit seinen 700.000 Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern seit Monaten 100 neue Angestellte für eine langfristige Beschäftigung.

Von den 130 vom Jobcenter eingeladenen Arbeitslosen erschienen laut Schwarz nur ganze 35. Davon hätten 30 unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie die angebotene Arbeit gar nicht wollten. Von den fünf echten Interessenten sei nach den ersten Arbeitstagen schließlich nur ein einziger übrig geblieben.

Angesichts solcher Zahlen zweifelte Westerwelle die offiziellen Zahlen über den Missbrauch von Sozialleistungen an. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit lag die Missbrauchsquote bei den 6,5 Millionen Hilfebedürftigen im vergangenen Jahr bei 1,9 Prozent. „Ich habe da meine Zweifel“, sagte der Außenminister.

Auch wenn die Gesetzeslage hier eigentlich glasklar sei, gäbe es bei den Sanktionen doch große Ermessensspielräume der Jobcenter, beklagte der Unternehmer Schwarz. In der Praxis drohten den Arbeitslosen oft keinerlei Sanktionen und mit einem „privaten Kombilohnmodell aus Stütze und Schwarzarbeit“ verdienten sie häufig besser als Krankenschwestern oder Bäckergesellen.

Schwarz kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Politik, die es mit falschen Anreizen verhindere, dass Betriebe ihre Arbeitsstellen auch besetzen könnten. Er wünschte sich von der Regierungskoalition vor allem eine klare Linie. „Ich sehe als Bürger und Unternehmer nicht, wo die Reise hingeht und ich will jetzt eine Entscheidung“, sagte Schwarz. Vor allem bei den Themen Lohnnebenkosten und Steuern müsse jetzt etwas passieren, „da ist die Ungeduld groß.“

Der ungeduldige Herr Schwarz wird sich noch gedulden müssen. Denn vor dem 9. Mai, dem Tag der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, wird es die Regierung aus wahltaktischen Gründen tunlichst vermeiden irgendwelche ernst zu nehmenden Reformen zu verkünden.

Bis dahin wird sich auch Guido Westerwelle darauf beschränken, durch markige Worte anzudeuten, wohin die Reise gehen könnte. Dieses Stillhalteabkommen der Koalition kritisierte auch die „Zeit“-Journalistin Elisabeth Niejahr. Sie warf Westerwelle vor, er rede noch immer wie ein Oppositionspolitiker und beschränke sich aufs kritisieren statt wie Regierungsmitglied zu handeln. „In Wahrheit ist es jetzt ihr Sozialstaat, ihr Haushalt und ihre Gesetze“, sagte Niejahr.

Aber auch das war wohl nur die halbe Wahrheit, denn mindestens bis zur Landtagswahl im Mai werden die Parteistrategen von CDU und FDP sowie Demoskopen und Wahlkämpfer vom Rhein noch ein gehöriges Wörtchen mitzureden haben. Ob Stephan Schwarz aus Berlin dann noch immer nach 99 arbeitswilligen Gebäudereinigern sucht, wird da leider nur eine untergeordnete Rolle spielen.