Konzert in Berlin

Niemand nuschelt so genial wie Bob Dylan

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Sebastian Zabel

Die Auftritte Bob Dylans auf seiner Never-Ending-Welttournee sind gewöhnungsbedürftig. Davon konnten sich am Abend auch seine Berliner Fans in der Max-Schmeling-Halle überzeugen. Die Folk-Legende singt und spielt über das Publikum hinweg - ohne Worte. Doch variiert er mit der Band neue Hits und alte Songs virtuos immer wieder anders.

Die Band trug schwarz, Bob Dylan eine Art Mariachi-Pyjama und einen sehr großen beigen Hut mit kleiner Feder. So standen sie sich auf der Bühne der Max-Schmeling-Halle gegenüber, links die drei diszipliniert und gedrosselt spielenden Gitarristen, rechts die lebende Legende an ihrer quäkenden Orgel.

Dieses Bild änderte sich während des Abends nur selten, etwa wenn Dylan zur Mundharmonika griff und in die Bühnenmitte tänzelte mit minimalen, zeitlupenartigen Bewegungen, das Bein kurz angewinkelt wie eine Rita Hayworth auf Valium. Und hätte er dann mal in das lang gestreckte Hallenrund geschaut, hätte Dylan sehen können, dass sie wieder alle gekommen waren, gut 10.000 seiner Bewunderer, viele jünger als er, aber einige auch mit Gehhilfe ausgerüstet, manche hatten ihre Kinder dabei und der „Tagesthemen“-Moderator Tom Buhrow ein Opernglas.

Die vier Falten der Ikone

Bob Dylan ist 67 Jahre alt. Sein Gesicht wird von vier Falten geprägt: zwei kurze tiefe, die an seine Nasenwurzel stoßen und zwei lange, dünne, scharfe, die einen Bogen von den Nasenflügeln zum Kinn schlagen. Unterhalb der Nase, dicht über der Oberlippe sitzt ein dürres Bärtchen, die Augen sind zu zwei Schlitzen gepresst. Dylans Erscheinung mürrisch zu nennen, wäre ein Euphemismus.

Es muss so ungefähr das 2130. Konzert seiner permanenten Welttournee gewesen sein am Mittwochabend in Berlin, traut man der Zählweise seiner im Internet rege kommunizierenden Fangemeinde. Seit mehr als 20 Jahren gibt Bob Dylan rund Hundert Konzerte im Jahr, was ihn in mehr oder weniger regelmäßigen Schleifen durch die Welt reisen lässt. Es gibt Fans, die akribisch die Setlists seiner Auftritte archivieren und vergleichen und darüber rätseln, warum der Meister „Tangled Up In Blue“ nur ein einziges Mal gespielt hat, seit er durch Europa tourt – nämlich in Stockholm, was ja dann wohl irgendwie an Stockholm liegen muss, wo er überhaupt sehr gut drauf gewesen sein soll und sogar gelächelt habe während des Konzerts. Das tut Bob Dylan nämlich äußerst selten.

Acht Songs aus den Sechzigern

In Berlin tat er's nicht. Und er spielte auch nicht „Tangled Up In Blue“, sein ergreifendstes Liebeslied, das alles beinhaltet, was Dylans Poesie ausmacht. Eine Ballade über einen Herumtreiber und eine rothaarige Frau, die sich nicht suchen, aber finden und verlieren, eine Unabhängigkeitserklärung in sieben Strophen, eine Ode an die Freiheit, die Weite Amerikas, die Kraft der Poesie und – klar – die Liebe. Stattdessen fünf Songs seines letzten regulären Albums „Modern Times“, drei weitere aus den vergangenen zwölf Jahren und acht aus den Sechzigern. Am Vorabend in Hannover sah seine Songauswahl anders aus, am Abend drauf, in Erfurt, auch.

Mit Magie hat das wenig zu tun. Auch wenn die Bühne zeitweilig als Präriehimmel leuchtete. Eher mit Manie. Dylan tourt und tourt und seine gelegentlich wechselnden Begleitmusiker nivellieren die allabendlich wechselnden Setlists und die so unterschiedlichen Songs aus fast fünf Jahrzehnten zu einer gefälligen Americana-Revue. Je näher sie sich an den Originaleinspielungen bewegen, desto dankbarer reagiert das Publikum.

In Berlin war es etwa zur Halbzeit soweit, als Dylan „Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again“ anstimmte und ein raunender Jubel durch die Reihen ging. Aber auch „Like A Rolling Stone“, Dylans Opus Magnum in lässig entschleunigter und zerkauter Version, trieb die Besucher aus den Sesseln, denn die jedem in der Halle bekannten Verse erwiesen sich einmal mehr als unzernuschelbar, der Song siegt über jede Interpretation. Und bei „Blowin' In The Wind“ muss man Dylan dankbar sein, dass dieser nach Jahrzehnte währender Annektion durch Friedensbewegung, Sozialdemokratie und Joan Baez ruinierte Folksong in seiner 2009er-Version als schleppender, groovy Walzer endlich wieder erträglich ist.

Amerikas größter Lyriker

Auch das – interessant, nicht magisch. Dylans Magie erschließt sich heute nicht mehr durch einen Konzertbesuch, wohl aber und immer wieder aufs Neue zu Hause unter den Kopfhörern, beim rumpeligen „Subterranean Homesick Blues“ zum Beispiel, bei magischen Zeilen wie „Better stay away from those / that carry around a fire hose“, von denen Generationen blasser kleiner Rebellen gelernt haben, dass es keinen Wetterbericht braucht, um zu wissen woher der Wind weht.

Und wer von Amerikas größtem Lyriker mehr hören will, der muss das Radio einschalten und Bob Dylans „Theme Time Radio Hour“ lauschen, wo er humorvoll, kenntnisreich, respektvoll und manchmal sogar geschwätzig über die Songs anderer Leute spricht. Die Sendung spannt einen Bogen von den Anfängen amerikanischer Popmusik ins Heute, von obskuren 30er-Jahre-Blues-Outtakes bis zu zeitgenössischen HipHop-Aufnahmen. Um Dylans Sendung herum hat sich längst eine stetig wachsende Fangemeinde gebildet, Blues erlebt eine Renaissance als neue, coole Szenekneipenmusik und junge Plattenlabel wie Mississippi Records veröffentlichen uralte Delta-Aufnahmen und verschütt geglaubte Gospel-Obskuritäten mit großem Erfolg.

Dylans für Ende April angekündigtes eigenes neues Album soll nun Texmex-Elemente enthalten. Und wahrscheinlich wird es ein gutes Album, wie es „Modern Times“ ja auch war. Wenn nicht, sei es ihm verziehen, wie auch das unaufregende Konzert in Berlin. Denn eins ist klar: Auf seiner nie endenden Tournee wird bald wieder hier vorbeikommen. Und vielleicht spielt er dann ja „Tangled Up in Blue“.

Weitere Konzerte: 2.4. Erfurt (Messehalle), 4.4. München (Zenith) und 5.4. Saarbrücken (Saarlandhalle).