Berlin. Der neue schwarz-rote Senat dampft die Vorhaben für eine feste Partizipation der Menschen ein. Man verfolge andere Prioritäten.
„Die Menschen mitnehmen“ lautet eine beliebte Phrase im Politiker-Sprech. Kein Volksvertreter würde sich heutzutage noch trauen zu behaupten, Bürgerinnen und Bürger sollten nicht bei Entscheidungen von Verwaltung und Politik einbezogen werden. So weit die graue Theorie.
Dass es auch der alte Senat aus SPD, Grünen und Linken mit diesen hehren Grundsätzen nicht immer so genau nahm, siehe die im Alleingang durchgepeitschte Sperrung der Friedrichstraße, ist bekannt. Dennoch hatte sich Rot-Grün-Rot nach guter linker Manier auf den Weg begeben, feste und auch bürokratische Strukturen für die Bürgerbeteiligung aufzubauen. Die Bezirke bekamen Geld für „Beteiligungsbüros“, um die Nachbarschaften zu befähigen, sich zu organisieren und einzumischen.
Rot-Grün-Rot hatte feste und bürokratische Strukturen für Bürgerbeteiligung aufgebaut
Auch auf Landesebene sollte es einen „Beteiligungshaushalt“ geben. Engagierte Bürger können dabei einen Teil des Geldes nach ihren Vorstellungen verteilen. Das ist in manchen Bezirken bereits gut eingeübt. Zudem war geplant, einen zentralen „Bürgerrat“ einzusetzen, in dem per Los ausgewählte Berlinerinnen und Berliner Volkes Meinung und Stimme in Politik und Verwaltung einspeisen sollten.
Nun aber regieren CDU und SPD. Unter dem Druck einer schwierigen Haushaltslage hat Finanzsenator Stefan Evers (CDU) an einigen Stellen den Rotstift angesetzt. Dem sollen nun auch Projekte für mehr Bürgerbeteiligung zum Opfer fallen. Die zwei Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit und Partizipation im Rahmen des landesweiten Beteiligungshaushaltes sind gestrichen. Es handele sich dabei um ein Vorhaben der Vorgängerregierung. „Der neue Senat verfolgt eine veränderte Prioritätensetzung“, schreibt dazu klar und deutlich Evers´ Staatssekretärin Tanja Mildenberger. Eine weitere Konzeptentwicklung unter anderem für die digitale Mitsprache der Bürger bei Investitionsvorhaben „findet nicht mehr statt.
Arbeit an landesweitem Bürgerrat mit ausgelosten Teilnehmenden wird eingestellt
Auch der landesweite Rat ist passé. „Aktuell ist vom Senat keine Durchführung eines zentralen Bürgerinnen- und Bürgerrats geplant“, lässt der Staatssekretär Oliver Friederici (CDU) wissen, der in der Senatsverwaltung für Kultur für den Gesellschaftlichen Zusammenhalt zuständig ist.
Besonders progressiv ist das nicht. Denn solche nach dem Zufallsprinzip zusammengesetzten Gremien gelten als durchaus sinnvolle Ergänzung, weil dort eben auch solche Leute mitreden, die nicht zu den ktions- und meinungsstarken Gruppen von Akademikern gehören, die in den meisten klassischen Bürgerinitiativen den Ton angeben. So lässt sich der Bundestag künftig von 160 ausgelosten Personen in Fragen der Ernährung beraten. In Berlin hatte ein „Klima-Bürger:innenrat“ vor einem guten Jahr 47 zum Teil weitreichende Empfehlungen für mehr Klimaschutz in der Stadt vorgelegt.
Bezirke müssten nach Kürzungen ihre gerade eröffneten Beteiligungsbüros schließen
Für noch größeren Unmut sorgt eine weitere Kehrtwende des neuen Senats. Unter Rot-Grün-Rot hatte jeder Bezirk 250.000 Euro bekommen, um in den Kiezen Beteiligungsbüros aufzubauen. Die lokalen Verwaltungen gingen ans Werk, heuerten Leute an und mieteten Räume, wo die Leute sich informieren und unterstützen lassen können, wenn sie sich einmischen wollen. Nun sollen die Mittel auf nur noch 133.000 Euro pro Bezirk fast halbiert werden.
Das irritiert nicht nur die vielen grünen Rathauschefs aus der Innenstadt. Auch sozial- und christdemokratische Bürgermeister, darunter die designierte stellvertretende CDU-Landeschefin Nadja Zivkovic aus Marzahn-Hellerdorf, haben eine gemeinsame Stellungnahme gegen diesen Plan unterschrieben. Die Kürzung wäre „fatal“, hätte Einschränkungen der Bürgerbeteiligung zur Folge und könne sogar zur Schließung der gerade eingerichteten Stellen führen. „Das wäre ein verheerendes Signal an die Berliner Bevölkerung“, so die Rathauschefs. Auch im Abgeordnetenhaus sind nicht alle glücklich über den neuen harschen Umgang mit dem lästigen Bürger. Man wolle sehen, ob man im Rahmen der Haushaltsberatungen noch etwas machen könne, so die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill.