Long March Canteen

Essen wie in der Opiumhöhle mit Quallen-Carpaccio und Birne

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Foto: © JÖRG KRAUTHÖFER

Manchmal spielt auch etwas Brandenburg in das sonst durchgängig chinesische Küchenkonzept hinein, wie etwa bei den Schweinerippchen oder Speck mit Chili. Heinz Horrmann besucht die Long March Canteen.

Blenden wir mal all unsere Erfahrungen mit chinesischen Restaurants aus: Die goldene Drachen-Deko, die Schälchen mit klebrigem Reis und die von Speisen-Nummern geprägten Bestellvorgänge. In diesem Kreuzberger Eckhaus an der Wrangelstraße sieht es wie in einer von Hollywood gestalteten Opiumhöhle aus. Verwitterte Holzbalken-Decke, schummeriges Licht, bizarre Wandbilder, schemenhaft erkennbare Menschen hinter einem Holzgitterverschlag in der Küche und die Dampfschwaden aus den Edelstahltöpfen sind illuminiert und wabern durch den Raum.

Nackte Holztische und hölzerne Schemel ohne Auflagen und Rückenlehnen stehen herum. Das Beste am Restaurant ist sogleich der enorm hilfsbereite, gut geschulte Kellner, der mir einen etwas bequemeren Sessel aus Hartplastik bringt. Versprochen, das ist keine Filmkulisse für einen China-Thriller: Ich bin zu Gast in der Long March Canteen.

Von erstklassig bis einfach

Der Kellner schiebt ein Wägelchen mit kalten Vorspeisen an den Tisch. Kleine Portionen, in der Zubereitung ein Brückenschlag zwischen Asien und Europa, teilweise erstklassig, manchmal ungenießbar, aber stets ganz einfache Gerichte. Kohlrabi-Scheiben zum Beispiel, oder marinierter Oktopus, dazu Kräuter, vor allem Koriander. Das ist überraschend köstlich. Geschmacklich ordentlich, optisch aber unappetitlich dagegen sind die Thunfischwürfel, kurz angebraten, im Saft der Roten Bete leicht verfärbt und eingeweicht.

Der junge, nimmermüde Kellner schleppt ein Gericht nach dem anderen heran, das entspricht wohl eher dem Namen "langer Marsch", als der kommunistischen Legende. Bei den warmen Dim Sum sind die Hähnchenflügel mit Brustfleisch aufgepolstert, mit Klebreis, Eigelb und einem Hauch von getrockneten Garnelen.

Chinesischer Taschenkrebs auf Chili-Limetten-Mayonnaise

Da sie knusprig ausgebacken sind, schmecken sie ausgezeichnet (für 7,50 Euro). Richtig schlecht dagegen ist der chinesische Taschenkrebs auf Chili-Limetten-Mayonnaise. Anders als bei den ausgebackenen Soft-Shell-Crabs oder den Stone Crabs aus Florida, gibt es hier nichts zu beißen. Beine und Fühler können nur ausgelutscht werden. Dabei helfen keine Stäbchen, nur die Finger. Zum Glück wird eine Fingerbowle gereicht, trotzdem ist das ein Nonsens-Gericht.

Wiederum sehr gut sind die gebackenen Schweinerippchen, durch Zhejiang-Essig und Honig klassisch süß-sauer. Dann kommt, im immer gleichen Rhythmus, wieder eine Enttäuschung. Bei der marinierten Entenbrust Peking-Style, die traditionell mit Pfannkuchen, Gurke und Lauchzwiebel serviert wird, erwartet man splitterkrosse Haut. Die gibt es hier nicht. Schade. Auf dem Entenfleisch kaue ich herum wie auf Gummibärchen.

Aufgewürzt mit einer Prise Heimat

Manchmal spielt ein wenig Brandenburg in das Küchenkonzept, wie bei den geschmorten Schweinerippchen oder dem knusprigen Schweinespeck mit Chili und Wildkräutern. Auch der Rote Bete-Salat hat Tradition. Ein Spezialgericht erntet bei den Gästen gerümpfte Nasen: Quallen-Carpaccio mit Nashi-Birne und Koriander. Auch ich verweigere.

Genau in die andere Richtung, mit der Kategorie "empfehlenswert", geht hingegen wieder das Kabeljaufilet in einer herzhaften Bohnensauce und die Riesengarnelen am Spieß: knackig und innen zart. Fröhliche junge Leute am Nebentisch, natürlich Stäbchen-Amateure, kämpfen mit gedämpftem Pak Choi mit Ingwer und Soja. Der Senfkohl lässt sich kaum bezwingen.

Man hat Spaß in der Long March Canteen, so sieht es aus. Ein solches Restaurant sollte man am besten in einer Gruppe besuchen, dann macht es Vergnügen. Obwohl die knüppelharten Sitzbedingen ins Kreuz gehen. So wie die Küche operiert, muss man sagen, dass diese Interpretation asiatischer Spezialitäten insgesamt mit keiner anderen in der Stadt vergleichbar ist. Hier wird mit chinesischer Kochtradition gebrochen und ein neues, überraschendes Spiel von Schärfe, Süße, Röstaromen (mein Lieblingsbegriff) und außergewöhnlichen Texturen zelebriert.

Gerichte mit eigenem Stil

Ob man die einzelnen Gerichte bejubelt oder zu Recht kritisiert - eigenwillig und hochinteressant sind sie allemal. Dabei kann man jede Menge probieren, weil die einzelnen Portionen wahrlich nicht satt machen. Fairerweise sind dafür auch die Preise vergleichbar klein. Zum Abschluss gibt es eine sehr süß karamellisierte Banane, die als "the real Thing" auf der Menükarte steht. Sie wird glühend heiß serviert, wobei man die einzelnen Würfel in einer bereit gestellten Schale mit Eiswasser abkühlen muss. Habe ich so auch noch nicht erlebt. Die Alternative dazu ist Tang Bao, warme Schokoladendumplings mit viel Zimt, Kakao und Vanillesauce.

Neben der guten Küche kommt es heutzutage zunehmend darauf an, etwas zu bieten, worüber gesprochen wird. Am schönsten ist, wenn das Restaurant dann auch noch eine Geschichte zu erzählen hat.

Die Getränkekarte ist klein, aber es gibt ein paar anständige Weine, die die Preiskalkulation nicht sprengen. Mein sehr ordentlicher Rosé Blanc de Noir liegt mit 30 Euro schon im obersten Bereich. Den bereits erwähnten Service möchte ich noch mal herausstellen. Er ist mit der beste, den ich in der Stadt erlebt habe. Immer da, wenn man ihn braucht und er trägt dazu bei, ein gewiss nicht alltägliches Erlebnis genießen zu können. Letztendlich passiert es nicht oft, dass ich mit neuen, exotischen Geschmackserfahrungen aus einem Restaurant gehe.

Heinz Horrmann schreibt jeden Sonnabend für die Berliner Morgenpost

Long March Canteen Wrangelstraße 20, Kreuzberg, täglich 18-24 Uhr, Tel. 0178 884 95 99, www.longmarchcanteen.com