Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) gab sich Anfang November 2012 keine besonders große Mühe, die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von der Finanzspritze für den Flughafen BER zu überzeugen. „Keiner gibt gern zusätzlich Geld aus“, sagte Nußbaum lediglich. Ein paar Minuten später genehmigte die Regierungskoalition mit ihren Stimmen weitere 444 Millionen Euro für den BER. Die Opposition schäumte.
In absehbarer Zeit wird sich Nußbaum sehr wahrscheinlich etwas mehr anstrengen müssen, um selbst die Abgeordneten der eigenen Koalition von neuen Finanzmitteln für den BER zu überzeugen. Denn bei allen Unsicherheiten über den weiteren Verlauf am BER steht zumindest jetzt schon fest, dass die finanzielle Lage der Flughafengesellschaft nur vorübergehend gesichert war.
Erst am 19. Dezember 2012 kam von der Europäischen Kommission offiziell die Erlaubnis, dass die Gesellschafter weitere 1,2 Milliarden Euro für den neuen Hauptstadt-Airport bereitstellen dürfen. Ohne die zusätzlichen Mittel hätte dem BER möglicherweise noch in diesem Monat die Insolvenz gedroht. Das ging aus einem Papier des Bundesfinanzministeriums hervor. Doch die Ruhe währte nur kurz. Die finanzielle Lage der Flughafengesellschaft ist schon wieder angespannt. Der Eröffnungstermin muss zum vierten Mal verschoben werden. Dass die Gesellschafter Berlin, Brandenburg und der Bund erneut Finanzmittel bereitstellen müssen, gilt als so gut wie sicher. Denn der finanzielle Spielraum ist fast aufgebraucht.
Mietausfälle und Schadenersatz
Derzeit werden die Gesamtkosten für den neuen Hauptstadtflughafen auf knapp 4,3 Milliarden Euro geschätzt. Sollte sich der Terminal tatsächlich als totaler Sanierungsfall erweisen und erst 2015 das erste Flugzeug vom BER abheben, rechnet man in Gesellschafterkreisen mit zusätzlichen Kosten von bis zu einer Milliarde Euro. Damit würden die gesamten Ausgaben für das Projekt auf mehr als fünf Milliarden Euro steigen. In dieser Schätzung sind Einnahmeausfälle ebenso enthalten wie zusätzliche Ausgaben für Schallschutz, Umbau und vorgezogene Erweiterungsinvestitionen. Selbst wenn der BER im Herbst 2014 eröffnet, schätzt Brandenburgs Grünen-Fraktionschef Axel Vogel die zusätzlichen Kosten noch auf mindestens eine halbe Milliarde Euro.
Allein die Einnahmeausfälle belaufen sich für die Flughafengesellschaft auf bis zu 20 Millionen Euro pro Monat. Am BER müssten die Airlines deutlich höhere Start- und Landegebühren zahlen als an den alten Flughäfen Tegel und Schönefeld – diese fehlen nun. Zudem ist am BER eine große Halle für Restaurants und Geschäfte vorgesehen. Die Einnahmen aus dem sogenannten Non-Aviation-Geschäft sind für Flughäfen immer wichtiger geworden, um profitabel zu arbeiten. Auch diese Mietausfälle fehlen der Flughafengesellschaft in ihrer Kalkulation. Denn an den beiden alten Berliner Flughäfen gibt es dafür kaum Platz. Im Gegenteil könnten Tegel und Schönefeld sogar noch für zusätzliche Kosten sorgen. Die sanitären Anlagen dort sind veraltet. Häufig schon haben sich Passagiere über schlecht gereinigte Toiletten und überquellende Mülleimer beschwert. Wenn die beiden Flughäfen noch deutlich länger in Betrieb bleiben, sind Investitionen unausweichlich.
Das größte Problem ist die Brandschutzanlage
Größter Problemfall ist und bleibt die Brandschutzanlage. Die Techniker bekommen nach wie vor die Steuerung nicht in den Griff, sodass der Rauch im Falle eines Brandes nicht zuverlässig aus dem Gebäude entweichen kann. Wie teuer der Umbau der Brandschutzanlage und des Terminals am BER wird, lässt sich derzeit nicht realistisch abschätzen. Technikchef Horst Amann stellte nach seinem Amtsantritt am 1. August 2012 fest, dass mehrfach gegen die Baugenehmigungen verstoßen wurde. So muss an mehreren Stellen die geschossübergreifende Entrauchung auf einzelne Geschosse umgestellt werden. Zudem sollen die Tests der Brandschutzanlage rund um Weihnachten weitere Schwachpunkte aufgezeigt haben, die Umbauten nach sich ziehen.
Hinzu kommt, dass der Schallschutz ein Risiko für die Kostenrechnung ist. Sollte das Oberverwaltungsgericht in Potsdam eine strengere Auslegung der Grenzwerte fordern, muss der Flughafen bis zu 200 Millionen Euro zusätzlich für den Lärmschutz ausgeben. Mit einer Entscheidung des Gerichts wird Mitte des Jahres gerechnet. Völlig unklar ist auch noch, wie hoch sich am Ende die Schadenersatzforderungen belaufen werden. Die Fluggesellschaften und die Deutsche Bahn wollen der Flughafengesellschaft den durch die Verschiebung entstandenen Schaden in Rechnung stellen. Dazu kommen mögliche Ansprüche der 150 Mieter am BER.
In Brandenburg hat Finanzminister Helmuth Markov (Linke) bereits Konsequenzen aus dem Chaos auf der BER-Baustelle gezogen. Markov will den Anteil Brandenburgs von rund 120 Millionen Euro an der Aufstockung des Eigenkapitals für die Flughafengesellschaft im Januar nicht wie vorgesehen komplett auszahlen. „Ich habe der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft mitgeteilt, dass ich eine detaillierte Aufstellung haben möchte, wofür das Geld verwendet werden soll“, sagte Markov der Berliner Morgenpost. „Dieser Schritt ist im Interesse der Steuerzahler notwendig.“ Brandenburg werde nur das Notwendige überweisen, damit die Gesellschaft ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen kann. Auch das Geld für den Schallschutz werde bereitgestellt. Die Flughafengesellschaft hatte die Anteilseigner Berlin, Brandenburg und den Bund um eine schnelle Überweisung von insgesamt 325 Millionen Euro gebeten.
Neue Zustimmung aus Brüssel nötig
Der Bund hatte bereits im Dezember eine vergleichbare Vorsichtsmaßnahme getroffen. Die Mitglieder im Haushaltsausschuss des Bundestags entschieden sich dafür, 84 Millionen Euro und damit nur die Hälfte des für 2013 vorgesehenen Anteils freizugeben. So wollte der Ausschuss ein Druckmittel gegenüber Flughafenchef Rainer Schwarz behalten.
Damit die Gesellschafter dem BER im Fall einer weiteren Verschiebung überhaupt neue Mittel zuschießen können, brauchen sie aber wohl erneut eine Zustimmung der Wettbewerbskommission in Brüssel. Davon geht man in Gesellschafterkreisen aus. „Die aktuelle Entscheidung ist auf Basis des bisherigen Kostenrahmens gefallen, der aber schon bald nicht mehr gültig ist“, heißt es dazu. Als die EU die zusätzlichen 1,2 Milliarden Euro der Gesellschafter bewilligte, führte sie einen sogenannten Private-Investor-Test durch. Dabei prüfte sie anhand der Bilanzzahlen und des erwarteten Luftverkehrswachstums, ob die Investition wirtschaftlich sei. Im Kern geht es darum, ob sich ein privater Investor in einer solchen Situation ähnlich verhalten würde. Sollten nun noch weitere Nachschüsse nötig sein, müssten diese von der EU-Wettbewerbsbehörde erneut auf ihre Wirtschaftlichkeit hin geprüft werden. Das stellt ein weiteres Risiko dar. Denn wenn die Kosten steigen, aber sich die Einnahmensituation nicht verbessert, könnte das Urteil der Wettbewerbsbehörde auch anders ausfallen. Zumal einige Experten ohnehin befürchten, dass der BER dauerhaft ein Zuschussgeschäft bleiben könnte.
Als Konsequenz für das erneute Debakel sprach sich Brandenburgs Finanzminister Markov dafür aus, die Strukturen in der Geschäftsführung des Flughafens zu verändern. „Ein Vorschlag wäre, ein Dreiergespann zu installieren“, sagte der Minister. Derzeit gebe es mit Horst Amann und Rainer Schwarz zwei Geschäftsführer für zwei Geschäftsbereiche. „Denkbar wären bei der Flughafengesellschaft ein Gesamtverantwortlicher und zwei nachgeordnete Mitglieder der Geschäftsführung“, so der Minister. Der Fraktionschef der Brandenburger Linksfraktion, Christian Görke, fordert hingegen die Ablösung von Flughafenchef Schwarz. „Es ist Zeit für Schwarz zu gehen“, sagte er. Über eine Ablösung von Schwarz wird bei der Aufsichtsratsitzung am 16.Januar beraten. Zwar steht die Tagesordnung noch nicht fest. Doch sein Ausscheiden aus der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft gilt zumindest unter Berliner Abgeordneten als so gut wie sicher.