Es war der Tag der Krisensitzungen. Erst verhandelte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) stundenlang mit den Mitgesellschaftern des Hauptstadtflughafens, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und dem Vertreter des Bundes, Verkehrs-Staatssekretär Rainer Bomba (CDU), im Roten Rathaus. In der SPD-Zentrale in der Müllerstraße brütete der Landesvorstand am Nachmittag über das weitere Vorgehen. Am Abend tagte dann der Koalitionsausschuss im Abgeordnetenhaus. So eine schwere Krise hat Rot-Schwarz bisher noch nicht erlebt.
Zwar hatte Wowereit dem Druck nachgegeben und um 16.45 Uhr seinen Rückzug als Aufsichtsratschef des Flughafens verkündet. Doch ob das tatsächlich ausreichen wird, um seinen Sinkflug auf- und die Koalition zusammenzuhalten, bezweifelten nicht nur Oppositionspolitiker.
Selbst der sonst um ruhige Töne bemühte CDU-Chef Frank Henkel sagte am Montag, er sei „nicht nur fassungslos, sondern auch stinksauer über die Desinformationspolitik um die vierte Verschiebung der Flughafeneröffnung“. Es sei nicht hinnehmbar, „dass ich als Aufsichtsratsmitglied von einem solchen Erdbeben am Sonntagabend aus den Medien erfahre“, sagte Henkel. „Wir haben erheblichen Gesprächsbedarf.“
Vom Donner gerührt hatten Henkel und seine Parteifreunde am Sonntagabend die Nachricht von der Fortsetzung des BER-Desasters zur Kenntnis nehmen müssen. Sogleich flammte der Argwohn auf, Wowereit habe es unterlassen, seinen Koalitionspartner zu informieren. Zumal es Hinweise gab, dass der Flughafenaufsichtsratschef schon vor Weihnachten von der Verschiebung Kenntnis gehabt habe. Von einem „massiven Vertrauensbruch“ war in ersten Reaktionen aus dem Umfeld der Union die Rede, auch von Neuwahlen.
Allerdings wussten nicht nur die Christdemokraten, sondern auch die eigenen SPD-Parteifreunde bis Sonntagabend nichts von der erneuten Verschiebung der Eröffnung. Wowereits Senatssprecher Richard Meng versuchte den Verdacht zu widerlegen, als er gegen Mittag sein erstes offizielles Statement abgab. Wowereit habe nicht schon im Dezember von der Terminverschiebung erfahren, sondern sei erst am Freitag offiziell von Technikchef Horst Amann informiert worden. „Das erste Signal kam am Freitag“, bestätigte Meng, was die brandenburgische Regierung schon vorher gesagt hatte.
CDU: Keine Koalitionskrise
Diese Darstellung hat die Gemüter in der Union zunächst einmal besänftigt. Jedoch werden in der CDU schon länger Szenarien durchgespielt, was denn geschehen würde, sollte der Starttermin des wichtigsten Infrastrukturprojekts in Ostdeutschland abermals scheitern. Man könnte Wowereit zum Rücktritt nötigen und dann mit der sozialdemokratischen Arbeitssenatorin Dilek Kolat oder mit dem jungen SPD-Fraktionschef Raed Saleh als Regierungschef weiterregieren, lautet eine Variante. Oder man lässt das Bündnis mit der SPD platzen und setzt bei Neuwahlen auf Sieg. In den letzten Umfragen lag die CDU vor der SPD.
Problematisch dabei ist aber, dass die CDU es während ihres einen Jahres in der rot-schwarzen Koalition nicht geschafft hat, belastbare Bande zu den Grünen als möglichem Partner in einem neuen Senat zu knüpfen. Und die Drohkulisse der SPD spricht gegen eine solche Lösung: Denn sobald die CDU wackelt, könnte sich eine Post-Wowereit-SPD Linker und Grünen zuwenden und ein Bündnis schmieden.
Deshalb setzten sich in der CDU auch die Kräfte durch, die sich gegen eine Eruption stellten. An ihrer Spitze steht Innensenator Henkel. Nach seinem Zornesausbruch am Mittag hatte der Landesvorsitzende am Nachmittag in einer 17 Minuten dauernden Telefonschaltkonferenz mit den Mitgliedern der CDU-Fraktion seine staatstragende Linie wieder gefunden.
Es gebe keine Koalitionskrise, sondern nur eine Flughafenkrise, sagte Henkel. Die rot-schwarze Koalition sei mit der Verantwortung angetreten, auch das Flughafenprojekt erfolgreich zu Ende zu bringen. „Deshalb bleiben wir drin“, sagte Henkel nach Angaben von Teilnehmern. Niemand widersprach.
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Der CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Steffel nannte die erneute Verschiebung des Starttermins jedoch „unfassbar“. Es sei ein „beispielloser Vorgang“, wenn mehrfach die selbst gesetzten Termine gerissen würden, sagte er. „Das Maß ist jetzt wirklich voll.“ Wenn sich Wowereit und Platzeck nicht von Flughafenchef Rainer Schwarz trennen würden, „dann werden sie das politisch nicht überleben“, sagte Steffel. Gegen die Geschäftsführung stehe der Vorwurf der Unseriosität und Unfähigkeit im Raum. Wowereit müsse jetzt einen Befreiungsschlag hinkriegen. „Sonst bin ich sicher, dass er das auch in seiner eigenen Partei nicht durchhalten wird.“ Die CDU habe aber zunächst nicht vor, die Koalition mit der SPD in Frage zu stellen.
Fraktionschef Florian Graf sagte, die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus sei von den schlechten Nachrichten komplett überrascht worden. „Wir haben nun erheblichen Informations- und Gesprächsbedarf. Wir werden in einer Sondersitzung am Dienstag die neue Situation hinsichtlich des BER beraten.“
Der Zorn der CDU und auch des Koalitionspartners SPD richtete sich bisher weniger gegen Wowereit, als gegen den Flughafenchef Schwarz, den Wowereit immer gegen Rücktrittsforderungen vor allem des Bundes geschützt hatte. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Saleh sagte, die Informationspolitik der Geschäftsführung sei sehr unprofessionell. „Deshalb werden wir da zu einer Neubewertung kommen müssen“, sagte er mit Blick auf die Zukunft von Flughafenchef Schwarz. Noch steht der Fraktionsvorsitzende, der stets das Motto der Stabilität verkündet, an der Seite des Regierenden, ebenso wie SPD-Landeschef Jan Stöß.
Ihre Treue zu Wowereit können die Mitglieder der Koalitionsfraktionen am Sonnabend beweisen. Denn die Grünen wollen mit Unterstützung der Piraten im Abgeordnetenhaus einen Misstrauensantrag gegen Wowereit stellen. Dieser soll am Donnerstag in einer Sondersitzung des Landesparlaments eingebracht werden, zwei Tage später wird abgestimmt. „Klaus Wowereit ist zu einer Belastung für die Stadt geworden, und er ist auch nicht mehr tragbar für die Stadt“, sagte Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Aus der Koalition hieß es jedoch, die Mehrheit für Wowereit stehe, die Fraktionschefs Saleh (SPD) und Graf (CDU) würden für den Regierenden in die Bütt gehen.
Platzeck stellt Vertrauensfrage
In Brandenburg will hingegen Matthias Platzeck (SPD) das Heft des Handelns in der Hand behalten und sich nicht von der Opposition treiben lassen. Er will im Landtag die Vertrauensfrage stellen. „Mein Schicksal ist jetzt eng an das des Flughafens geknüpft.“ Die Opposition von CDU, Grünen und FDP will eine Sondersitzung des Landtages beantragen. „Ministerpräsident Platzeck muss dem Parlament Rede und Antwort stehen“, sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Für ihn ist die erneute Verschiebung des BER-Eröffnungstermins sein „politischer Offenbarungseid“ des stellvertretenden Aufsichtsratschefs Platzeck. Die Brandenburger CDU hingegen geht noch weiter und verlangt den Rücktritt Platzecks als Ministerpräsident.
In Berlin wollte am Montag niemand darauf wetten, wie lange Klaus Wowereit noch im Amt bleibt. Vor allem in der Union hielten es viele für möglich, dass der Regierende Bürgermeister nach fast zwölf Jahren im Amt des Ärgers überdrüssig sein und zurücktreten könnte. Aber ein sichtlich angeschlagener Wowereit gab nur den Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes bekannt: Berlin gibt ihn ab, Brandenburg übernimmt. Gründe dafür nannte Wowereit nicht.
Grüne verstärken Druck auf Wowereit
Die Grünen verstärkten am Dienstag den Druck auf Klaus Wowereit, weitere Konsequenzen aus dem Debakel um den Hauptstadt-Flughafen zu ziehen. Sein Abschied als Aufsichtsratschef der Betreibergesellschaft reiche nicht aus, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele am Dienstag im Deutschlandfunk. „Der kann's nicht, der muss gehen“, verlangte er.
Auch den designierten neuen Aufsichtsratschef, den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD), hält Ströbele für ungeeignet. Dass Platzeck nun den Karren aus dem Dreck ziehe, „das glaubt doch keiner“, sagte Ströbele. Platzeck und Wowereit hätten im Aufsichtsrat bislang wie Zwillinge agiert.
Das sieht der Vorsitzende des Flughafen-Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, Martin Delius, ebenso. „Der Aufsichtsrat braucht Profis“, sagte der Piratenpartei-Politiker am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Auf jeden Fall ist der falsche Weg, da jetzt einfach den nächsten hinzusetzen – ich denke, auch Herr Platzeck wird uns wieder einen schönen Termin nennen, der dann vielleicht wieder nicht eingehalten wird.“
Das sagen die Twitternutzer zum jüngsten BER-Desaster: