Oder doch? Die Mathematik-Aufgaben für das Abitur haben im ganzen Land Diskussionen ausgelöst – auch in Berlin.

In dieser Woche habe ich ein bisschen über Mathematik nachgedacht. Im ganzen Land beschweren sich die Schüler darüber, dass ihr Mathematik-Abitur zu schwer gewesen sei, auch in Berlin. Der Präsident des Brandenburgischen Pädagogenverbandes, Hartmut Stäker, sagte, das Abitur sei „zu umfangreich, zu unterrichtsfremd und an manchen Stellen bei Fragestellungen ungeschickt formuliert.“ Im Selbstversuch habe er 15 Stunden für die Lösung gebraucht, wo die Schüler nur fünf Stunden zur Verfügung gehabt haben.

15 Stunden! Das muss man sich mal vorstellen. Man betritt also das Klassenzimmer um 8 Uhr morgens, und wenn man fertig ist, kann man nicht mal mehr die „Tagesthemen“ anschauen und sollte eigentlich gleich ins Bett gehen. Sind in diesen 15 Stunden eigentlich Pausen eingerechnet? Und wie kriegt man es hin, sich 15 Stunden lang ausreichend zu konzentrieren? Wenn die Spitzenspieler im Schach mal ein Spiel hinlegen, das länger als fünf Stunden dauert, spricht ja schon alle Welt von einem epischen Match. Alle diese Fragen trieben mich um, denn eines Tages werden ja auch meine Kinder in solchen Prüfungen sitzen. Also schaute ich mir die Aufgaben einmal an.

Stochastik-Aufgabe alles andere als schwer

Die erste Beobachtung: An den thematischen Großbereichen, in denen geprüft wird, hat sich seit meinem Abitur im Jahr 1994 nichts geändert. Da ist die Analysis, das Reich der Kurvendiskussionen, der Ableitungsfunktionen und Integrale. Dann ist da die Analytische Geometrie – da geht es um Vektorrechnung und geometrische Probleme. Und schließlich wird in Wahrscheinlichkeitsrechnung, in Stochastik geprüft. Ich habe die Aufgaben einmal überflogen. Unter anderem wird nach der Wahrscheinlichkeit gefragt, dass man beim Kniffeln fünf gleiche Zahlen würfelt. Auch auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen: Das ist mit Sicherheit nicht schwer und findet sich erstaunlicherweise in den Aufgaben für den Leistungskurs.

In Bayern, wo mehr als 63.000 Menschen eine Petition gegen das Abitur unterschrieben haben, kam das sogenannte Lebkuchenherz-Problem vor. Das ging so: „Jeder sechste Besucher eines Volksfestes trägt ein Lebkuchenherz um den Hals. Während der Dauer des Volksfestes wird 25 mal ein Besucher zufällig ausgewählt. Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass unter den ausgewählten Besuchern höchstens ein Besucher ein Lebkuchenherz trägt.“ Das ist schon mal deutlich komplexer als die Sache mit den Würfeln. Aber unlösbar? Wenn man die grundlegenden Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Kopf hat?

Weniger Zeit in Online-Petitionen stecken und lieber Mathe büffeln

Das ist sicher alles etwas ungerecht von mir. Ich gebe zu: Die übrigen Aufgaben für die Berliner Schüler lasen sich schon deutlich schwerer, wenn auch nicht so, als stünden da Schriftzeichen einer gänzlich unbekannten Sprache. Mag schon sein, dass man sich an einigen von ihnen die Zähne ausbeißen kann. Aber ist das Mathematik-Abitur nicht genau dafür da? Was würde es über unser Bildungssystem sagen, wenn das jetzt jeder ganz einfach lösen könnte und sich danach niemand darüber beschweren würde?

Und trifft nicht auch zu, dass sich in Zeiten von Online-Petitionen große Zustimmung für jedes beliebige Projekt problemlos organisieren lässt? Es ist etwas anderes, ob ich einfach bei change.org ein Dokument anlege, in das bequem jeder reinklicken kann – oder ob ich mich mit Klemmbrett und Unterschriftenliste auf Klingeltour durch die Nachbarschaft begebe. Daraus ergibt sich auch, dass man im Internet inzwischen die absurdesten Petitionen findet - etwa eine über die Fernsehserie „Game of Thrones“. Da läuft gerade die letzte Staffel, und manche Fans sind mit dem Handlungsverlauf nicht zufrieden. 300.000 Menschen fordern deshalb, dass die ganze Sache neu gedreht und noch einmal ausgestrahlt wird.

Ein Hinweis deshalb vielleicht an alle Schülerinnen und Schüler: Weniger Zeit in Online-Petitionen und ähnliches stecken und mehr in Mathematik. Dann klappt’s auch mit dem Abitur.