„GenerationY“: So nennt Jugendforscher Klaus Hurrelmann die heute 15- bis 30-Jährigen. Er bezeichnet sie als die „heimlichen Revolutionäre“ – weil sie angepasst wirken und dabei die Gesellschaft klammheimlich revolutionieren, so seine These. In seinem neuen Buch erklärt er, wie die Generation Y im Familienleben neue Standards setzt, warum ihr Bildung so wichtig ist und von welcher Gesellschaft sie träumt. Zwei „Ypsiloner“, die Studenten Lea Huber und Andrew Bolt, beide 22, und Morgenpost-Redakteurin Andrea Huber haben nachgefragt.
Lea Huber: Herr Professor Hurrelmann, Sie lehren an der Hertie School of Governance und sind Herausgeber der Shell Jugendstudie. Sie kennen sich also mit Jugend und Bildung aus. Warum hat meine Generation das Label „Y“ bekommen?
Klaus Hurrelmann: Anfang der 90er-Jahre hat der kanadische Kult-Autor Douglas Coupland einen Roman über die Generation X geschrieben, das ist die Generation vor Deiner. Da lag es nahe, die nächste Generation „Y“ zu nennen, also die heute 15- bis 30-Jährigen. Die soziale Situation der Ypsiloner stellt sich völlig anders dar als die der Generation X, denn die hervorragenden Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt gibt es für sie nicht mehr. Sie fragt nach dem „Warum“. Es ist eine Generation, die alles in Frage stellt, die in Unsicherheit lebt, gar nicht genau weiß, wie es weiter geht und daher viel improvisieren muss. Da der Buchstabe Y englisch wie „why“, also warum, ausgesprochen wird, macht das Etikett Sinn.
Lea Huber: Sie bezeichnen uns in Ihrem Buch als Egotaktiker, die je nach Lage entscheiden, was für sie am besten ist. Das ist doch sehr pragmatisch, wenn die Welt so unsicher ist. Feste Anstellungen sind für uns die Ausnahme.
Hurrelmann: Das sehen wir in unserem Buch auch so. In einer unsicheren Situation kann ich mich nur auf mich selbst verlassen und muss mich fragen: Was kann ich, wo will ich hin, was kommt für mich dabei heraus? Das wird in der öffentlichen Diskussion über die Generation schnell als Egoismus oder Egozentrismus ausgelegt, nach dem Motto: „Die denken nur an sich“. Das tun die Angehörigen dieser Generation auch, aber es bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig. Ein Beispiel: Ich absolviere eine Ausbildung und überlege danach, was ich noch drauflegen kann, um aus der Krisenzone herauszukommen. Das führt zu einem ständigen Sondieren, Suchen und Kalkulieren, dieses Kosten-Nutzen-Denken ist ganz typisch für die Ypsiloner. Wir haben den Begriff Egotaktiker gewählt, weil Egoismus nicht passt.
Zugreifen oder abwarten?
Andrew Bolt: Warum tut sich die Generation Y so schwer mit Entscheidungen, warum macht sie sich so viele Gedanken darüber, ob sie eine gute Gelegenheit verpasst? Warum ist sie so leistungsorientiert?
Hurrelmann: Das ist die Lebenserfahrung dieser Generation. Ich weiß nicht, wie lange meine Jugendzeit dauert, wann ich in den Beruf komme, ob ich überhaupt einmal eine Familie gründen kann. In dieser Situation schärft sich mein Blick für Gelegenheiten, daraus resultiert aber auch ein ständiges übersensibles Gucken: Ist das eine Chance oder sollte ich lieber noch abwarten? Man kann erkennen, dass viele Angehörige der Generation Entscheidungen aufschieben. Weil sie immer Angst haben, sich für die falsche Ausbildung, das falsche Studium oder den falschen Partner zu entscheiden und dann darauf festgelegt zu sein.
Andrea Huber: Führt das bei manchen dazu, dass sie entscheidungsunfähig werden?
Hurrelmann: Die souveränen Ypsiloner schieben den Entscheidungszeitpunkt bis zum günstigsten Moment auf, machen das ganz intuitiv in dem Bewusstsein: Wenn es doch die falsche Entscheidung war, kann ich sie immer noch revidieren. Die Elterngeneration der Babyboomer hat eher eine Planungshaltung, die überhaupt nicht der Mentalität der Ypsiloner entspricht.
Andrea Huber: Diese neue Generation hat keinen fertigen Plan, aber sie wird unsere Gesellschaft still revolutionieren, ist Ihre These. Auf welchem Gebiet wird der Wandel am nachhaltigsten sein?
Hurrelmann: Am auffälligsten ist er in dem Bereich, wo die Ypsiloner ihre zweite Natur haben, bei den interaktiven Medien. Diese Generation kann alles mit Medien machen, erschließt sich darüber einen Zugang zur Welt. Gelegentlich führt das dazu, dass man nicht mehr richtig zwischen fiktiver und realer Welt unterscheiden kann. Ob man jemanden wirklich getroffen oder mit ihm per Skype kommuniziert hat, das macht keinen Unterschied. Das ist typisch und hat unsere Kommunikationsformen nachhaltig verändert. Auf diesem Gebiet sind die Ypsiloner Mitglieder einer neuen Zeit. Die Eltern lernen davon: Sie schauen ihren Kindern über die Schulter und merken, wie wertvoll es ist, sich so gut vernetzen zu können. Und sie ahmen es nach.
Souveräner Umgang mit den Medien
Andrea Huber: Wenn die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen, ist das problematisch. Wie reif, wie clever gehen die Ypsiloner wirklich mit den Medien um?
Hurrelmann: Unsere Untersuchungen und Zahlen zeigen, dass 60 bis 70 Prozent der Angehörigen dieser Generation äußerst souverän mit den neuen Medien umgehen. Bei weiteren 20 Prozent muss man aufpassen und beim Rest ist der Umgang bedenklich, denn sie nutzen sie so intensiv, dass sie regelrecht abhängig von ihnen sind. Sie können nicht mehr vernünftig kommunizieren. Und können nicht mehr zwischen tatsächlichen und virtuellen Kontakten unterscheiden, rutschen in Spielschlaufen ab.
Lea Huber: In sozialen Netzwerken stellen sich die Jugendlichen so gut wie möglich dar. Passt der Begriff einer Generation von Narzissten?
Hurrelmann: Diesen Begriff findet man in der amerikanischen Literatur. In der digitalen Welt fühlt man sich gezwungen, sich so gut wie möglich zu vermarkten. Da kommt ein Zug von Selbstverliebtheit schnell mit rein. Das muss nicht problematisch sein, aber es kann umkippen. Wenn ich mich nur noch unrealistisch darstelle und am Ende selber glaube, dass mein gemachtes Bild der Realität entspricht, kann ich ganz schön reinfallen. Ich biete damit auch Angriffsfläche für andere, Stichwort Cybermobbing.
Andrea Huber: Seht Ihr Ypsiloner Euch eigentlich selber als Narzissten?
Lea Huber: Ich kenne Leute, auf die der Ausdruck zutreffen würde, aber ich weiß nicht, ob man sich selber so bezeichnen würde.
Andrew Bolt: Mich interessiert Facebook nicht besonders.
Lea Huber: Bei Jungs ist es anders, denke ich; Mädchen haben eher die Tendenz, sich in sozialen Netzwerken zu präsentieren. Jedenfalls kenne ich mehr Mädchen als Jungen, die bei Facebook extrem aktiv sind.
Hurrelmann: Insgesamt ist Kommunikation, also dieses Austauschen, auch, etwas von sich zu offenbaren, schon immer typisch weiblich gewesen. Es fällt aber auf, dass die jungen Männer nachgezogen haben. Die Unterschiede sind immer noch stark, aber nicht mehr so auffällig wie früher. Dass Jungs sich bei Facebook gut darstellen, ist nicht so selten, auch, eine Schwäche einzuräumen. In meiner Generation der 68er wäre es undenkbar gewesen, Selbstkritik zu üben.
Geld steht nicht an erster Stelle
Andrew Bolt: Sie sagen, dass es der Generation Y wichtiger ist, einen Job zu haben, der sie ausfüllt, als einen, der vor allem Geld bringt. Ich denke, das hat viel damit zu tun, was man studiert. Ich kenne einige Wirtschaftsstudenten, die vor allem Geld machen wollen.
Hurrelmann: Genau, das sind Business-Studenten, solche Beispiele gibt es. Vor allem männliche Angehörige der Generation Y sind es, die vorrangig auf Karriere fixiert sind. Typisch für die Breite der Ypsiloner ist das aber nicht, anders als bei der Generation davor. Sie wollen im Beruf wirklich etwas erreichen, nach einer langen Ausbildung, nach vielen tollen Abschlüssen Spuren hinterlassen. Diese Generation ist die bestausgebildete, die die Bundesrepublik je hatte. Ihre Leistungsbereitschaft ist hoch, und Geld steht für sie nicht mehr an erster Stelle. Es geht ihnen bei der Arbeit auch um ein gutes Team, eine gute Atmosphäre, das fällt auf.
Lea Huber: Sicherheit ist vielen, die ich kenne, auch sehr wichtig. Der öffentliche Dienst ist als Arbeitgeber sehr gefragt, weil er Sicherheit bietet. Auch mir wäre es wichtig, einen stabilen Job zu bekommen.
Hurrelmann: Wenn man die rund 60 Prozent der Ypsiloner betrachtet, die eine gute Ausbildung haben, und sie befragt, was ihnen wichtig ist, dann kommt Sicherheit an zweiter oder dritter Stelle, nicht an erster. Geld steht noch dahinter. Dass Sicherheit an Bedeutung gewonnen hat in einer Zeit, in der unbefristete Arbeitsverträge die Ausnahme geworden sind, erscheint sehr nachvollziehbar. In einer solchen Zeit sehne ich mich danach. Die ganz guten Leute, die schon erste Berufserfahrungen gesammelt haben, denen ist das gar nicht mehr so wichtig. Sie kennen ihren Marktwert, und sie genießen die Freiheit, die diese Situation auch mit sich bringt.
Andrew Bolt: Dass wir so viel Wert auf Ausbildung legen, hat das auch mit hohen Erwartungen der Arbeitgeber zu tun?
Hurrelmann: Zuallererst ist der Schritt zu den hohen Schulabschlüssen dadurch motiviert, dass es die beste Strategie ist, der Unsicherheit zu entgehen. Wenn ich einen guten Schulabschluss und einen Uniabschluss habe, sind die Jobperspektiven gut.
Es zählt der gute Abschluss
Andrew Bolt: Wenn aber immer mehr Leute einen Bachelor und einen Master machen, ist es am Ende nichts Besonderes mehr, man kann sich damit doch gar nicht mehr abheben?
Hurrelmann: Für die Ypsiloner und ihre Eltern, die als Coaches im Hintergrund wirken, zählt ganz stark das Abitur mit möglichst guter Note. Was man inhaltlich gelernt hat, ist nicht mehr so wichtig. So geht es im Studium weiter – es zählt der gute Abschluss, das Zertifikat. Auch hier wieder ein starkes Kosten-Nutzen-Denken, das aber Resultat der Situation auf dem Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt ist.
Andrea Huber: Die Generation Y ist zahlenmäßig klein, und zumindest in einigen Branchen müssen sich die Firmen Gedanken machen, wie sie gute Arbeitskräfte für sich gewinnen können. Wie müssen sich Unternehmen verändern, um für die Generation Y attraktiv zu werden?
Hurrelmann: Auch hier kann man sehen, dass die heimliche Revolution bereits läuft. Bei den Befragten, die bereits arbeiten, lässt sich feststellen: Sie sind gegen die traditionellen Hierarchien. Dass irgendwo ein Chef sitzt, leuchtet ihnen nicht per se ein. Sie möchten wissen, warum das so ist und welche Substanz dahinter ist. Sie sind mehr für Teamstrukturen, für überschaubare Arbeitszusammenhänge. Und siehe da, in allen modernen Lehrbüchern steht, dass das ein Erfolgsrezept ist. Teilweise führt diese Erwartung der Generation zu großen Spannungen in den Firmen, weil die Unternehmen das nicht immer verstehen.
Andrea Huber: Sie gehen davon aus, dass die Revolution der Jungen Erfolg hat. Andererseits müssen sie ja auch Kompromisse schließen, um im Arbeitsleben anzukommen. Es ist also offen, wie die Revolution verlaufen wird, oder?
Hurrelmann: Zumindest wären die Unternehmen gut beraten, wenn sie sich darauf einlassen würden – mit der Folge, dass die Arbeitsproduktivität steigt, die Zufriedenheit wächst. Typisch für die Generation Y ist noch folgendes: Bei aller Leistungsbereitschaft wollen sich die Jungen nicht vom Beruf verbrennen lassen. Man will auch eine Familie haben, eine Grenze zwischen Beruf und Leben ziehen. Man besteht darauf, dass die Infrastruktur – auch bei der Kinderbetreuung – zur Verfügung gestellt wird. Eines Tages wird diese Generation an den Schalthebeln sitzen, und spätestens dann wird sie ihre Vorstellungen umsetzen können.
Strategische Allianz zwischen Eltern und Kindern
Andrew Bolt: Warum ist die Verbindung zwischen Eltern und Kindern so stark, hat es nur mit dem Gefühl der Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft zu tun?
Hurrelmann: Bei allen Befragungen ist ganz auffällig, dass die Eltern als Modell für das eigene Leben gesehen werden. Auch deswegen, weil man nicht ganz sicher ist, wie man wirtschaftlich dastehen wird. Ob ich das verdienen werde, was meine Eltern verdienen, weiß ich nicht. Das hat eine kritische Komponente, denn man traut sich nicht, so früh aus dem Elternhaus herauszugehen. Gerade die jungen Männer bleiben sehr lange im Elternhaus und schieben die Entscheidung, ganz selbstständig zu werden, hinaus. So kommt es zu einer strategischen Allianz zwischen Jungen und Eltern. Die Eltern beraten bei der Karriere, bei den Finanzen, vielleicht auch bei der Familienplanung. Insgesamt eine konstruktive Beziehung, auch wenn es natürlich Spannungen gibt. Über Alltag, Zeiteinteilung, Lebensstil. Für beide Seiten überwiegen die Vorteile, und das ist historisch neu. Bei den 68ern wäre das undenkbar gewesen.
Andrea Huber: Werden die Kids also zu spät erwachsen?
Hurrelmann: Dieses enge Verhältnis führt dazu, dass viele junge Menschen nicht richtig auf die Beine kommen. Umgekehrt behalten die Eltern ihre Rollen als Mütter und Väter zu lange bei. So wird man doch in eine gefährliche Unselbstständigkeit getrieben, auch in eine bequeme Haltung, denn der Kühlschrank ist immer gefüllt. Die Eltern wiederum, die so um die 50 Jahre alt sind – wo bleibt deren Verselbstständigung? Die Mütter verharren in ihrer Rolle, obwohl das nicht mehr lebenszeitgemäß ist. Auch die Beziehung der Partner müsste in eine neue Phase treten.
Lea Huber: Stichwort Partner. Sind wir Ypsiloner bei der Partnerwahl auch so flexibel wie bei der Jobsuche?
Hurrelmann: Unsere Analyse ergibt für die Mehrheit der Ypsiloner, dass die Partnerwahl sehr ich-bezogen verläuft. Das führt aber offenbar wieder zu ein bisschen mehr Stabilität. Man hat keine überzogenen Erwartungen, man denkt auch das mögliche Scheitern mit. Es gibt hier aber einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Frauen sind sehr viel flexibler, was Haushalts- und Berufstätigkeit angeht, sie wünschen sich auch Kinder. Die Männer hängen mehr einem traditionellen Rollenbild an, aber auch bei ihnen bricht es auf. Mehr Realismus auch auf diesem Gebiet.
Realitätssinn in politischen Fragen
Andrew Bolt: Mich interessieren auch die politischen Einstellungen der Generation Y. Gibt es da nicht viel Desillusionierung? Das Gefühl, dass man nichts ändern kann?
Hurrelmann: Angesichts der vielschichtigen sozialen und politischen Systeme gibt es das Gefühl: „Wie soll ich denn Einfluss nehmen auf politische Entwicklungen, etwa in der Ukraine?“ Ich spüre, mit einer Demo kann ich nichts verändern, also lasse ich es lieber gleich bleiben. Dahinter steckt auch Resignation, wie Kritiker sagen. Wir sagen aufgrund unserer Analyse: Dahinter steckt Realitätssinn. Die Generation sucht politische Felder, in denen es Veränderungsmöglichkeiten gibt. Über Facebook-Aktivitäten kann ich dafür sorgen, dass in Berlin mehr Fahrradwege gebaut werden. Oder ich setze mich für das Tempelhofer Feld ein. Ihr Engagement für solche ganz konkreten Dinge verbuchen die Jungen nicht als politische Aktivität. Da gibt es das Beispiel einer Aachener Studentin, die ein Unternehmen gegründet hat, das Elektrofahrräder vermietet, weil sie sich über die Öffnungszeiten der anderen Anbieter geärgert hatte. Die 68er hätten das als große politische Umweltaktion verkauft, für die Studentin war es eine Maßnahme, um den Alltag besser zu gestalten.
Andrea Huber: Sind die Ypsiloner unpolitisch?
Hurrelmann: Im klassischen Sinne schon. Das Interesse an einer Parteimitgliedschaft sinkt, das Interesse an Parteien und dem Geschehen in den Parlamenten generell, und auch die Wahlbeteiligung nimmt ab.
Andrea Huber: Ist das nicht eine Gefahr für die Demokratie?
Hurrelmann: Das ist eine Gefahr für die Demokratie, wie sie jetzt ist. Aber: Wenn man genauer hinschaut, ist das keine wirklich unpolitische Generation, sondern eine, die sich im Nahbereich engagiert. Es gibt eine Entfremdung, eine Zurückhaltung gegenüber der organisierten Form von Politik. Zu sagen, die Generation ist undemokratisch, wäre zu bequem. Genau so gut könnte man umgekehrt sagen: Es stimmt etwas nicht am System. Die jungen Leute halten uns einen Spiegel vor, zeigen ein Defizit der Demokratie auf, und daran muss sich etwas ändern.
Eine neue Form von Demokratie
Andrew Bolt: Denken Sie, dass unsere Generation es schaffen wird, eine neue Form der Demokratie zu etablieren? Eine Verhandlungsdemokratie mit mehr Bürgerbeteiligung?
Hurrelmann: Es gibt Ansatzpunkte dafür, wenn man sieht, wie in den sozialen Netzwerken bestimmte Themen abgehandelt und diskutiert werden. Auf den ersten Blick Alltagsdinge, die auf den zweiten Blick einen politischen Charakter haben. Dann kann man sagen, hier ist eine neue Form von Demokratie im Entstehen begriffen. Die Partei der Piraten war eine große Hoffnung für viele junge Leute, weil sie das Gefühle hatten, dass diese Partei ihr Medium, das Internet, für die Politik nutzt. Das hat nicht funktioniert, weil nur das Medium nicht das Entscheidende ist. Jedenfalls wollen die jungen Leute, dass Politik eine kollektive Verhandlungssache wird, etwas, in das man sich persönlich einbringen kann. Aber sie wissen noch nicht genau, wie das zu schaffen ist. Es ist eine Phase des Tastens und Suchens, eine Umbruchsituation.
Lea Huber: Was würde eine Änderung des Wahlalters bewirken, wie Sie es vorschlagen?
Hurrelmann: Das ist kein Vorschlag der Generation Y, sondern einer von uns. Die 16- bis 17-Jährigen selbst sind, das zeigen Befragungen, knapp mehrheitlich sogar dagegen, das Wahlrecht zu bekommen. Das hängt damit zusammen, dass die jungen Leute glauben, dass sie erst einmal das traditionelle politische System verstehen müssen, die Wahlprogramme der Parteien usw. Dieses Detailwissen hat der normale Wähler in der Regel nicht, deshalb haben wir diesen Vorschlag gemacht. Wenn die Jungen wählen können – denkbar wäre ein Wahlalter von zwölf Jahren –, dann stellt sich die Politik auch auf sie ein und wird sie anders wahrnehmen.
Lea Huber: Aber fallen die Stimmen überhaupt ins Gewicht, da die Generation Y doch so klein ist?
Hurrelmann: Für die Gesamtwahl würden die Stimmen nicht so sehr ins Gewicht fallen. Aber hier zählt die lange Sicht: Die Politik hat dann den Anlass, sich mehr um diese Gruppe zu kümmern.
Das Buch: Klaus Hurrelmann, Erik Albrecht: Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Beltz, 18,95 Euro.