An einem Punkt musste selbst Kristina Schröder passen. Obwohl sie mit 33 Jahren die Jüngste im Bundeskabinett ist. Obwohl ihr Ministerium für die Jugend zuständig ist. Und obwohl sie fast 5000 Freunde im sozialen Netzwerk Facebook und über 11.000 regelmäßige Leser beim Mikroblogdienst Twitter hat. „Da komme auch ich nicht mehr mit, wenn sich Jugendliche im Internet auf ein virtuelles Bier verabreden“, sagte Schröder am Dienstag bei der Vorstellung der Shell-Jugendstudie, für die Jugendliche nach ihrer Lebenssituation und ihren Glaubens- und Wertvorstellungen befragt wurden.
Rund 100 Fragen sind es in diesem Januar und Februar gewesen, die ein Team von Bielefeldern Sozialwissenschaftlern um Mathias Albert zusammen mit TNS Infratest Sozialforschung aus München im Auftrag des Mineralölkonzerns Shell erarbeitet, gestellt und ausgewertet hat. Die seit 1953 in der Regel alle vier Jahre von unabhängigen Forschern erstellte Jugendstudie gilt als Standardwerk der Jugendforschung in Deutschland.
Die Anmerkung der Ministerin am Rand der Pressekonferenz zeigte: Manchmal machen nur wenige Lebensjahre einen Generationsunterschied aus. Denn wenn es eine Ministerin gibt, die im Internet zuhause ist und die Wünsche und Sorgen der Jugendlichen versteht, dann müsste es Schröder sein. Doch zwischen dem Leben der CDU-Politikerin und den mehr als 2500 befragen Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren klafft eine Lücke. Wer heute heranwächst, für den gehört das Internet zum Alltag – und eben auch die Verabredung zum virtuellen Bier.
Forscher sehen Vertiefung der sozialen Kluft
Fast alle Jugendlichen, nämlich 96 Prozent, haben mittlerweile Zugang zum Internet. Fast 13 Stunden verbringen sie pro Woche im Netz. Für Jugendliche sei das Internet ein Lebensraum, sagt Schröder. Blättert man sich aber durch die 410 Seiten dicke Studie, so lässt sich auch bei der Internetnutzung ein Trend erkennen, der die optimistische Grundaussage der Untersuchung über die Befindlichkeiten der jungen Generation trübt: „Jugendliche blicken trotz Krise positiv in die Zukunft“, bilanziert Schröder, schiebt aber sogleich nach: „Allerdings hängt das stark von der sozialen Schicht ab“. Der Sozialwissenschafter Albert geht noch weiter: „Die soziale Kluft wird größer.“
Während der Nachwuchs aus privilegiertem Haus lieber liest, kreativ tätig ist und soziale Kontakte pflegt, sitzen Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien lieber vor dem Computer oder Fernseher. Und auch bei der Art der Benutzung des Internet zeigt sich eine soziale Schere: Jüngere männliche Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien vertreiben sich die Zeit hauptsächlich mit Computerspielen. Die sogenannten Multi-User dagegen, ältere männliche Jugendliche aus oberen Schichten, nutzen alle Funktionen des Netzes.
Optimismus leisten sich nur privilegierte Jugendliche
Der Studie zufolge hat sich zwar die Zuversicht bei den 12- bis 25-Jährigen auf 59 Prozent erhöht. Bei Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien blicken aber nur 33 Prozent optimistisch in die Zukunft. Dieser Befund zieht sich durch die ganze Erhebung. Ob Politikinteresse, Bildungschancen oder soziales Engagement: Die 12- bis 25-Jährigen aus sozial benachteiligten Familien zeigen in allen Bereichen deutlich weniger Zuversicht. Nur 40 Prozent der Jugendlichen aus unterprivilegierten Verhältnissen sind insgesamt zufrieden mit ihrem Leben.
Bildet man einen Durchschnittswert aller Befragten aus allen Schichten, äußern sich dagegen fast drei Viertel der jungen Leute positiv. „Insgesamt sind die Jugendlichen pragmatisch und selbstbewusst, weil sie aufs eigene Leistungspotenzial setzen“, sagt Albert. Bildung bleibe dabei der Schlüssel zum Erfolg. Doch die Jugendstudie erinnert an die Ergebnisse des Vergleichstests Pisa. Einmal mehr wird Deutschland bescheinigt, dass die wachsende Kluft zwischen den sozialen Milieus auch die Bildungswelten weiter auseinanderdriften lässt: Erfolg in Schule und Beruf hängt auch in der Eigenwahrnehmung der Jugend von der Herkunft ab.
Ehrgeizige Ziele, frustrierende Realität
Insgesamt hat sich die Einstellung der Jugendlichen zu Ausbildung und Berufseinstieg seit 2002 klar verbessert. Fast drei Viertel von ihnen gehen davon aus, sich ihre Berufswünsche erfüllen zu können. Bei den Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen glauben dies jedoch nur 41 Prozent. Dennoch verfolgen viele dieser Jugendlichen in der Schule Ziele, die über die aktuellen Noten hinausreichen: Fast die Hälfte der Hauptschüler strebt einen Schulabschluss über dem Hauptschulabschluss an. Auf der Realschule wollen mehr als ein Drittel einen höheren Abschluss als die mittlere Reife.
Diese ehrgeizigen Bildungsziele lassen sich aber nicht unbedingt realisieren. Die Forscher weisen darauf hin, dass zum Beispiel die Plätze auf den Gymnasien knapp sind. Wenn sich die Zukunftspläne der Jugendlichen nicht umsetzen lassen, müsse der Nachwuchs große Abstriche machen. Hier sehen die Forscher ein hohes Frustpotenzial. Entscheidend für Lebenswege sei eine Unterstützung zum richtigen Zeitpunkt, sagt Wissenschaftler Albert. Kristina Schröder sieht den Schlüssel dazu vor allem in frühkindlicher Bildung.
Politisierung der Jugendlichen nimmt zu
Auf der anderen Seite sind es besonders die mittleren und gehobenen Schichten und die Jüngeren, die für ein gewachsenes Interesse an Politik verantwortlich sind – auch wenn es nicht an das Niveau der 70er und 80er Jahre heranreicht. Bei den 12- bis 14-Jährigen hat sich das Interesse seit 2002 mit 21 Prozent nahezu verdoppelt, bei den 15- bis 17-Jährigen stieg es von 20 auf 33 Prozent. In ihrer politischen Ausrichtung ordnet sich die Mehrheit der Jugendlichen weiterhin links von der Mitte ein.
Beim Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen hat sich im Vergleich zur Vorgängerstudie wenig geändert: Niedrige Bewertungen gibt es für die Regierung, die Kirche, große Unternehmen, Parteien sowie unter dem Eindruck der Finanzkrise auch für die Banken. Hohes Ansehen genießen dagegen Polizei, Gerichte, Bundeswehr sowie Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen.
Alarmiert zeigen sich die Jugendlichen vom Klimawandel. Zwei von dreien sehen durch ihn die Existenz der Menschheit bedroht und halten ihn für ein großes oder sogar sehr großes Problem. Aber nur ein Teil achtet selbst auf umweltbewusstes Verhalten. Jeder zweite gibt an, im Alltag bewusst Energie zu sparen, 44 Prozent versuchen, häufiger mit dem Fahrrad zu fahren, und 39 Prozent entscheiden sich für ein kleineres Auto mit geringerem Verbrauch. 21 Prozent kaufen vorrangig Lebensmittel aus der Region, die nicht erst weit transportiert werden mussten. Allerdings berichten nur neun Prozent der Jugendlichen von einem Verzicht auf Urlaub in der Ferne. Es sind vor allem junge Klimakritiker, die sich für den Umweltschutz engagieren.
Religion ist vor allem Migrantenkindern wichtig
Mehr und mehr wird von den Jugendlichen zudem die Globalisierung auch mit Umweltzerstörung in Verbindung gebracht und nicht mehr nur als Chance, in der Welt reisen, studieren oder arbeiten zu können. Insgesamt sind Jugendliche der Shell-Studie zufolge durchaus bereit, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen, wenn ihnen eine Sache wichtig ist. So würden 77 Prozent an einer Unterschriftenaktion und 44 Prozent an einer Demonstration teilnehmen. Dabei zeigen sich Mädchen engagierter als Jungen. Im Vergleich zu den Vorjahren sind mit 39 Prozent mehr Jugendliche auch sozial engagiert. Dabei gilt auch hier: Je gebildeter und privilegierter die Jugendlichen sind, desto häufiger sind sie im Alltag aktiv für einen guten Zweck.
Auch bei der Einstellung zur Religion spielt die Herkunft eine Rolle. Viele Jugendliche mit ausländischen Wurzeln bekennen sich offen zu ihrem Glauben, für deutsche Jugendliche wird die Kirche dagegen immer unwichtiger. Gemeinsam ist allen befragten Mädchen und Jungen jedoch eine innige Liebe zum Elternhaus, die im Vergleich zu früheren Untersuchungen verblüfft. 90 Prozent der Mädchen und Jungen sind mit Mama und Papa vollauf zufrieden und wohnen gerne lange im Elternhaus.