Potsdam. Der Ausbau von Anlagen für erneuerbare Energien stößt bei betroffenen Gemeinden in Brandenburg auf immer mehr Kritik.

Nach etwas mehr als einer Stunde bricht es aus Thomas Voigt heraus. „Es gibt Menschen bei mir im Dorf, die haben sich einen Wohnwagen gekauft und fahren damit in den Wald, um schlafen zu können“, sagt der Bürgermeister des kleinen Dorfes Temnitztal im Nordwesten Brandenburgs. „Sie halten es nicht mehr aus.“ Die Dörfer des Gemeinwesens würden regelrecht eingekesselt. „Wir fühlen uns alleingelassen“, so Voigt.

Der Zorn des Bürgermeisters richtet sich gegen die Windräder – „diese Mons­tren“, wie Voigt sie nennt –, die in den vergangenen Jahren in der Gegend neu errichtet wurden. 3700 davon stehen in Brandenburg bereits, mehr als 900 davon in der Ost-Prignitz, wo auch Temnitztal liegt. Allein im vergangenen Jahr sind 500 neue Windanlagen genehmigt worden,

23 Windräder sollen allein im Nachbarort von Temnitztal neu dazukommen – gegen den Willen Voigts und der Dorfbewohner. „Artenschutz steht mittlerweile über Menschenschutz“, poltert der Bürgermeister weiter. „Was ist der Mensch überhaupt noch wert?“

Bürgermeister Voigt, der sein Amt
ehrenamtlich ausübt, ist am Mittwoch einer von elf geladenen Gästen des Wirtschaftsausschusses im Brandenburger Landtag. Es geht um die Frage, wie die Akzeptanz für neue Windanlagen im Land erhalten oder verbessert werden kann. Nach der Überzeugung des Temnitztaler Bürgermeisters ist die Schwelle allerdings längst überschritten. Die neuen Windräder sollen direkt neben einem Wohnprojekt für Behinderte entstehen. Dabei besteht die Gefahr, durch das Rotieren und den Lärm der Anlagen epileptische Anfälle bei den Bewohnern auszulösen. „Wo ist da die Akzeptanz?“, fragt Voigt – und erhält keine Antwort.

Brandenburg war einst Vorreiter bei der Herstellung von erneuerbarer Energie. Überall in dem Bundesland entstanden Solar- oder Windkraftanlagen. Viele tausend Menschen arbeiten mittlerweile in der Produktion sauberer Energie. Aber das alles reicht noch nicht aus, um die von der Bundesregierung ausgerufene Energiewende schaffen zu können und die Umweltziele zu erreichen.

Die Anwohner wollen keine „Verspargelung“ der Landschaft

Auf etwas mehr als ein Prozent der Landesfläche Brandenburgs stehen bereits Windkraftanlagen, zwei Prozent sollen es werden, um die erklärte Einsparung des Ausstoßes von Kohlendioxid zu erreichen. Doch der Widerstand wie in der Gemeinde Temnitztal wächst überall im Land. Immer mehr Menschen stoßen sich an der „Verspargelung“ der Landschaft, immer höher ragen die Windräder in den Himmel, die Geräuschbelästigung für Anwohner und Touristen nimmt zu, Vögel und Fledermäuse werden von den riesigen Rotoren erfasst und getötet – und die Gewinne aus der Herstellung der Windkraft fließen in andere Regionen.

Zwar gibt es die Möglichkeit, Bürger- Energiegesellschaften zu gründen, doch das wurde von den beiden größten Anbietern von Windrädern in Deutschland untergraben. Sie betreiben einen Großteil der neu entstehenden Windkraftanlagen, die betroffenen Gemeinden tragen nicht nur die Belastungen, sondern gehen auch bei den Steuereinnahmen leer aus.

Die Grünen im Brandenburger Landtag, die die Anhörung am Mittwoch beantragt hatten, wollen durch die Einrichtung einer Serviceagentur zwischen den Streitparteien vermitteln. Betroffene Gemeinden klagen vor allem darüber, dass sie kaum Mitspracherecht bei der Genehmigung der Windkraftanlagen haben. „Diese Erkenntnis hat inzwischen dazu geführt, dass mehrere Bundesländer auf verschiedenen Wegen durch gesetzliche oder administrative Maßnahmen darauf hinwirken, die Beteiligung und Wertschöpfung im Umfeld von Windenergieanlagen zu verbessern“, sagt die grüne Landtagsabgeordnete Heide Schinowsky zur Begründung des Vorschlags.

„Toleranzbereich ist für viele seit Langem überschritten“

In Thüringen besteht eine derartige Serviceeinrichtung seit drei Jahren, durchaus mit Erfolg, so die Leiterin Ramona Notroff am Mittwoch im Potsdamer Landtag. Sie berät Betroffene vor dem Neubau einer Windkraftanlage über die rechtlichen Möglichkeiten und vermittelt bei Bedarf Mediatoren, die den Streit zwischen Windkraftbefürwortern und -gegnern schlichten sollen.

Doch ob sich die Stimmung im Land gegen den weiteren ungebremsten Ausbau der Windkraftanlagen noch drehen lässt, ist zweifelhaft. „Der Toleranzbereich ist für viele seit Langem überschritten“, sagt Waltraud Plarre von der Volksinitiative „Rettet Brandenburg“. Dabei sind die Betroffenen nicht grundsätzlich gegen erneuerbare Energien. „Wir haben seit 120 Jahren Erfahrung damit“, sagt der Temnitztaler Bürgermeister Voigt. Einst versorgte die Wassermühle der Gemeinde die umliegenden Orte mit Strom. Ganz ohne Fördermittel.

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