Saisonauftakt

So erlebten Berliner den ersten Renntag in Hoppegarten

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Frédéric Schwilden

Foto: Stephanie Pilick / dpa

Zum Saisonauftakt in Hoppegarten kamen viele Berliner zum ersten Mal zur Pferderennbahn. Eine seltsame Welt lernten sie dort kennen - voll saftigem Grün, bunter Hüte und schäumender Pferde.

Immer weiter nach Osten, sagt Anna in ihrem silbernen Kleinwagen. Die einzige Konstante im Rückspiegel: der Fernsehturm. Das Navigationssystem weiß die Strecke ganz genau: 21 Kilometer bis Berlin-Mitte. Die Ausweichroute geht über die Landsberger Allee, 22,1 Kilometer. Es ist Rennsonntag.

Sicher, Hertha und die Eisbären spielen an diesem Sonntag auch. Aber in Hoppegarten gibt es Pferderennen. Saisoneröffnung. Der Große Preis von Dahlwitz. Ein Listenrennen, 22.000 Euro sind zu gewinnen. Insgesamt finden ab 14.10 Uhr sieben Rennen mit einer Gesamtsiegprämie von 66.150 Euro statt.

Die Sonne strahlt an einem wolkenlosen Himmel. Die Reisegruppe pustet Ringe aus dem Fenster in den Fahrtwind. Wir sitzen in einem Auto von lauter Mitzwanzigern, die zum ersten Mal zum Pferderennen gehen. Martin, ein Architekt, Laura, die Maßschneiderin, Anna, die Textildesignerin und der Reporter.

Nackensteaks und Champagner

Friedrichshain surrt vorbei, die Karl-Marx-Allee wird zur Frankfurter Allee, wird zur Straße Alt-Friedrichsfelde. Schnurgerade, links und rechts kreuzend nur die S-Bahn-Stationen. Das Ring-Center, die Plattenbauten, auf einmal kleine Häuschen. Berlin steht durchgestrichen auf dem gelben Ortsschild.

Vogelsdorf. Wir erreichen Brandenburg. Martin meint nur noch: „So weit draußen war ich noch nie“, er nimmt einen Schluck aus seinem Heineken-Bier. Sieben Jahre wohnt er schon in Berlin. Heute wird er seine erste Wette in Hoppegarten abschließen.

Am Parkplatz warten die schwarz gekleideten Platzanweiserinnen in ihren neongrünen Warnwesten. Drei Euro für einen Stellplatz. Ein Porsche aus Andorra, der X5 mit einem Steglitzer-Gymnasium-Aufkleber und unser silberner Kleinwagen.

Pferde-Kalle empfiehlt Loonita

Zehn Euro Eintritt, ab durch die Schleuse, vorbei an der Hüpfburg der örtlichen Sparkasse, und wir stehen zwischen Bratwurststand – die Thüringer 3,50 Euro, das Nackensteak 5,50 Euro – Wetthäuschen und Champagnerbar.

Herrlich der Wind. Karl-Heinz, er nennt sich wirklich Pferde-Kalle, empfiehlt uns ungefragt Loonita. Er raucht Cabinet. Durch seine Brille sehen wir diese trüben Augen, die immer, wenn er Loonita so ausspricht, als hieße sie Lolita, ein bisschen glänzen. Sie sei wohl Siegerin beim dritten Start in der letztjährigen Dreijährigenklasse gewesen.

Außerdem habe er nur Gutes von Yvonne gehört. Er zündet sich die zweite mit seiner ersten Zigarette an. Yvonne soll die Trainerin sein. Und tatsächlich, blickt man in den Rennkatalog, steht da zum ersten Rennen „Yvonne Jugel (Roland Dzubasz)“ und in der nächsten Zeile „braun, hellblaue Ärmel, braune Kappe“. In der Reihenfolge bedeuten diese Informationen Besitzer, Trainer und Rennfarbe.

Schaulaufen der Pferde vor dem ersten Rennen

Wir beschließen, mit dem Setzen zu warten. Wir bewundern die jungen Leute in ihren bunten Jacken und den spiegelnden Sonnenbrillen. Familien zupfen die Decken gerade, auf denen getrocknete Tomaten in Öl, Chardonnay und dieses Weißbrot vom Türken liegen. Über den Platz hinaus erstreckt sich unten die Wiese bis vor die Bahn. Ein sattes Grün. Gut gemäht, saftig. Die Rennbahn ist kürzer gemäht.

Beim Schaulaufen vor dem ersten Rennen werden die Pferde im Kreis am Halfter geführt. Die Nummer zwei hat es uns angetan. Ein braunes Pferd. Die „2“ steht gelb auf dem Sattel. Sie bockt. Sie schabt mit den Hufen im Boden. Vor dem Maul und über das Metall des Zaumzeugs läuft Schaum. Die Dame, die sie führt, kann das edle Tier kaum halten. „Die muss gut sein“, sagt Martin, und Laura stimmt ihm zu. „Wir setzen auf die Zwei.“

Kalle hatte recht. Es ist Loonita. Wir gehen eine Platzwette ein. Normalerweise hieße das, wir wetten einen Betrag darauf, dass unser Pferd unter die ersten drei kommt – egal, auf welchem Platz. Weil im Eröffnungsrennen aber nur sechs Pferde antreten und nicht neun wie sonst, wetten wir mit unserer Platzwette, dass Loonita unter die ersten zwei kommt.

Vorderzähne-auf-Unterlippe-Beißen, Daumendrücken, Hastigrauchen

Die riskanteste, dafür die am meisten Gewinn bringende Wette ist die Viererwette. Dabei setzt man auf vier Pferde, die genau in der gesetzten Reihenfolge durchs Ziel laufen müssen. Mindesteinsatz 50 Cent. Garantierte Auszahlung 10.000 Euro.

Ohne Startschuss geht es los. Loonita setzt sich sofort von den anderen fünf Pferden ab. Sie lässt Wilddrossel, Leopardin und die anderen hinter sich. Dann die Rechtskurve. Martin entkorkt einen mitgebrachten Sekt mit einem lauten Plopp. Neben uns, vor uns, hinter uns, ein Klatschen, ein Vorderzähne-auf-Unterlippe-Beißen, Daumendrücken, Hastigrauchen.

Leopardin gewinnt. Wir werfen unsere Platzwettscheine auf den Boden. Hätten wir nur auf den Sieg von Leopardin getippt, wir hätten pro eingesetzten Euro 30 rausgeholt. Und hätten wir bei der Platzwette auf Leopardin oder Wilddrossel gesetzt, es wären 1,40 für jeden investierten Euro geworden.

Eine seltsame Welt: Pferde heißen wie Star-Wars-Figuren

Fünf Euro hatte jeder gewettet. Nur Anna nicht, sie wartet auf den Großen Preis von Dahlwitz. Auf der Tribüne wachsen rote Geranien. Gerhard Schöningh, der Investor, prostet den geladenen Gästen zu.

Der Preis der Stadtwerke Strausberg ist entschieden. 2000 Meter. Harathea mit Jockey Pascal J. Werning gewinnt die 3910 Euro Siegprämie. Den Preis von Dahlwitz entscheidet der Jockey Johan Victoire mit Technokrat für sich. Fünfter des Rennens wurde Anakin Skywalker.

Eine seltsame Welt ist dies. Die Menschen machen Striche auf Zetteln, die irgendwann zu Geld oder zum großen Absturz werden. Und Pferde, die wie Star-Wars-Figuren heißen, rennen im Kreis. Am Ende geht es mit dem Kleinwagen zurück in die Großstadt zum „Tatort“-Gucken.