Vattenfall will seine Braunkohle-Sparte verkaufen. Von Weltuntergangsstimmung ist in der Lausitz nichts zu spüren. „Die brauchen uns und unseren Strom doch“. Doch wie es weitergeht, weiß keiner.
Die Straßen in Peitz sind menschenleer, auf dem riesigen Vattenfall-Parkplatz stehen nur vereinzelt Autos. Das meiste tut sich noch am grauen, bewölkten Himmel: Die mächtigen Kühltürme des Kraftwerks Jänschwalde blasen unentwegt ihren dunklen Dampf in die Luft. Untergangsstimmung? Nein, nur Feiertag. Reformationstag, den Brandenburg an diesem Freitag begeht. Der Betrieb läuft heute mit Schmalbesetzung. Gleich beginnt die neue Schicht, um 13.30 Uhr. Für Monika Weiß ein Tag wie jeder andere.
Die Maschinistin arbeitet seit 1983 hier. Eine Lausitzerin, die so schnell nichts umhaut. „Die brauchen uns und unseren Strom doch, die Sonne kann nicht immer scheinen“, sagt sie. „Sie brauchen uns, egal, wer das Werk und die Tagebaue künftig betreibt.“ Am Tag zuvor hatte der schwedische Energiekonzern Vattenfall angekündigt, dass er seine Braunkohletagebaue und Kraftwerke verkaufen möchte. Wann, das gab das Unternehmen nicht bekannt. Auch nicht, an wen. Monika Weiß beunruhigt das nicht wirklich. „Es wird die nächsten Jahre weitergehen“, sagt sie, „da bin ich mir sicher.“
Lausitz hängt an der Kohle
Ihre Kollegin Katrin Richter-Wagner ist seit 27 Jahren dabei. Sie sagt: „Dass Vattenfall uns verkaufen will, ist nicht schön.“ Doch auch die Cottbuserin hofft, dass ein neuer Betreiber gefunden wird. „Wenn hier Schluss wäre, dann ist auch die Lausitz am Ende“, glaubt die Maschinistin. „Dann bricht alles zusammen. Wer kauft dann noch dem Bäcker die Brötchen ab?“ Um die 9000 direkte Arbeitsplätze hängen in der Lausitz an der Kohle. 30.000 Menschen wären betroffen, wenn alles dicht gemacht würde. Deshalb fordern selbst die Grünen nur schrittweise den Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohleverstromung.
Markus Beyer etwa arbeitet für ein Subunternehmen als Industrieanlagenreiniger im Werk. „Ich mach mir schon Gedanken, ob ich mich bald woanders bewerben soll“, sagt der 34-Jährige. Ralf Zschutschke aus Cottbus gibt sich lockerer. Der 48-Jährige Vattenfall-Beschäftigte sagt: „Wir haben schon einige Eigentümer erlebt, bald ist eben der nächste dran. Und wenn es Gazprom wird, der russische Energiekonzern.“ Er fände es auch gut, wenn die brandenburgische Landesregierung einsteigt. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat eine Beteiligung zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen, sollte sich Vattenfall aus der Lausitz zurückziehen.
Stimmung zwischen Befreiung und Anspannung
Von Aufruhr in der Belegschaft ist an diesem Freitag wenig zu spüren. Eine Betriebsversammlung ist zunächst nicht geplant. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Vattenfall Europe Generation, Frank Heinze, sagt: „Die Stimmung ist gemischt, zwischen Befreiung und Anspannung. Wir sind froh, dass Bewegung in die Situation gekommen ist, hoffen aber, dass Vattenfall seiner sozialen Verantwortung nachkommt.“ Man wolle nun erst einmal die Betriebsrätevollkonferenz am 11. November in Berlin abwarten.
Ähnlich wie die Vattenfall-Beschäftigten nehmen die Braunkohle-Gegner die Nachricht auf: abwartend. In Atterwasch – nur wenige Kilometer entfernt – wird auch an diesem Reformationstag wieder das „Dorffest für Heimat und Zukunft“ gefeiert. Das Dorf in der Gemeinde Schenkendöbern soll nach bisherigen Plänen ab dem Jahr 2025 den Baggern weichen, auch Kerkwitz und Grabko sollen weg. 900 Menschen müssten ihre Häuser aufgeben. Reinhard Jung, Sprecher des „Bündnisses Heimat und Zukunft“ sagt: „Egal, wem das Unternehmen künftig gehört – eine Ausweitung des Tagesbaus ist ein Verbrechen gegen die Menschen und ein Verrat an dem gesellschaftlichen Konsens der Energiewende.“
Angst vor Profitgier
Pfarrer Mathias Berndt sieht den möglichen Vattenfall-Rückzug mit einem weinenden und einem lachenden Auge, wie er sagt. „Es ist ein gutes Zeichen, dass alte Energiequellen ausgedient haben. Es könnte aber auch sein dass jetzt Hegdefonds oder andere kommen, die nur Profit aus der Braunkohle schlagen wollen“, so der Pfarrer. „Wir haben genügend genehmigte Tagebaue, es darf keine neuen mehr geben.“ Auch Bürgermeister Peter Jeschke ist für einen schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle. Der Strukturwandel sei aber noch weit entfernt. Der Kampf gegen die Kohle geht nun „mit Rückenwind aus Schweden“ weiter, heißt es auf dem Dorffest. Beim Gottesdienst in der alten Backsteinkirche singen sie gemeinsam und inbrünstig: „Vertrau den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt“.