Berlin. 2500 Wohnungen entstehen in Lichterfelde-Süd. Es soll dort aber auch an Kriegsgefangene erinnert werden, zeigt eine neue Ausstellung.

Berlin ist voller Geschichte. Eine neue Ausstellung beleuchtet jetzt die Geschichte des Neubaugebietes in Lichterfelde-Süd, tief im Südwesten der Stadt in Steglitz-Zehlendorf. Zu dieser Geschichte gehört auch das Kriegsgefangenenlager „Stalag III D“ der Deutschen Wehrmacht. Hier wurden von 1940 bis 1945 französische Kriegsgefangene in Baracken interniert und als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Auf diesem Gelände sollen in naher Zukunft auch 2500 neue Miet- und Eigentumswohnungen entstehen: das Wohnquartier Neulichterfelde. Der Bau soll Anfang 2023 beginnen.

Doch wie geht Berlin mit seiner Vergangenheit um, mit dem historischen Ort? Welche Form des Gedenkens an die Verbrechen der Nazi-Zeit sind hier angebracht? Bürgerinitiativen setzen sich schon seit Jahren dafür ein, dass in Lichterfelde-Süd Erinnerungskultur sichtbar wird. Vor fünf Jahren machten sie das Landesdenkmalamt darauf aufmerksam, dass historische Barackenteile auf dem brachliegenden Baugebiet erhalten seien.

Thema Zwangsarbeit berührt auch deutsch-französische Freundschaft

„Vergessen und vorbei? Das Lager Lichterfelde und die französischen Kriegsgefangenen“ heißt die Ausstellung, die davon jetzt erzählt. Gezeigt wird sie im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Treptow-Köpenick. Es ist ein emotionales Thema. Eines, das auch die deutsch-französische Freundschaft berührt. Thomas Guibert, Erster Botschaftsrat der Französischen Botschaft in Berlin, kam ebenso zur Ausstellungseröffnung wie Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke), Landeskonservator Christoph Rauhut – und die Französin Agnès Tanière, Tochter eines ehemaligen Kriegsgefangenen aus dem Lager Lichterfelde, der in rund 300 Briefen sein hartes Dasein als Zwangsarbeiter beschrieben hat.

Botschafter Guibert bedankte sich für die Berliner Ausstellung, vor allem auch weil sie Gesichter zeige und individuelle Schicksale französischer Gefangener präsentiere. Neun besondere Biographien werden in der Schau beleuchtet, viele historische Dokumente und Bilder gezeigt. „Ich hoffe, dass diese Ausstellung auch eines Tages in Frankreich zu sehen sein wird“, sagte Guibert.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Christine Glauning, in der neuen Ausstellung „Vergessen und vorbei?“ zum Kriegsgefangenenlager in Lichterfelde. 
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Christine Glauning, in der neuen Ausstellung „Vergessen und vorbei?“ zum Kriegsgefangenenlager in Lichterfelde.  © Berliner Morgenpost | Sibylle Haberstumpf

Kultursenator Lederer machte deutlich: „Wir dürfen diesen mörderischen Krieg nie vergessen. Für Erinnerung darf es keinen Schlussstrich geben.“ Die Ausstellung über das Lager Lichterfelde sei wichtig, um „den Ort wieder in das Bewusstsein zu rücken“. Lederer hob das bürgerschaftliche Engagement hervor: „Menschen vor Ort sagen: Ihr könnt nicht so tun, als sei hier ein geschichtsloser Ort.“ Die Bürgerinitiativen seien im positiven Sinne beharrlich geblieben. Der damalige Bauplan sah den Abriss der historischen Gebäude vor.

Damaliger Bauplan sah den Erhalt der Baracken nicht vor

Neulichterfelde zählt zu den größten Wohnungsbauprojekten Berlins. Ein neues Stadtquartier soll es werden. Die Groth-Gruppe entwickelt das Projekt als Investor. Sie hatte das ehemalige Truppenübungsgelände und frühere Lagergelände schon 2012 erworben, es umfasst 96 Hektar. Zwischen Osdorfer Straße, Landweg und den Gleisen der Anhalter Bahn soll es Wohnraum für bis zu 6000 Menschen dort geben. Schon vor mehr als vier Jahren schlossen der Bezirk Steglitz-Zehlendorf und der Investor den städtebaulichen Vertrag. Jedoch wurde ein Ergänzungsvertrag nötig, da damals nicht alle erforderlichen Untersuchungen und Gutachten vorlagen. Ursprünglich war der Baubeginn für 2022 angepeilt.

Bürgerinitiativen forderten die Einrichtung eines Lernortes

In der Ausstellung ist ein Foto von 2019 zu sehen: Darauf übergeben die Berliner Edith Pfeiffer, Hans Porep und Thomas Schleissing-Niggemann einen Einwohnerantrag an das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Sie und ihre Initiativen – der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, das Aktionsbündnis Lichterfelde und die Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde-Süd – forderten die Errichtung eines Lernortes auf dem Gelände. 2020 einigten sich das Landesdenkmalamt und der Investor darauf, eine Baracke des Kriegsgefangenlagers sowie Fundamente eines Wachturmes zu erhalten.

Inmitten der Neubauanlage wird also eine ehemalige Unterkunftsbaracke stehen bleiben. Sie muss instandgesetzt werden und soll dann als Lern- und Gedenkort dienen. Auch Info-Stelen und ein Lagermodell sollen über den Ort aufklären. Ein Träger dafür ist indes noch nicht gefunden. Tausende gefangen genommene Soldaten lebten im Lager „Stalag III D“ unter schweren Bedingungen. Die Ausstellung solle Perspektiven auf das Lager zeigen, so die Leiterin des Dokumentationszentrums, Christine Glauning. Wohnungsbau, Denkmalschutz und Erinnerung und Gedenken treffen hier aufeinander. Sie glaube, sagte die Historikerin, dass in Lichterfelde „etwas Besonderes“ entstehen könne.

Ausstellung: „Vergessen und vorbei?“, 28. Oktober bis 31. Mai 2023, im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Britzer Straße 5, 12439 Berlin. Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch. Geöffnet: Dienstag bis Sonntag, 10-18 Uhr. Eintritt frei. Begleitprogramm im Internet: www.ns-zwangsarbeit.de