Morgenpost-Leserforum

„Das Tempelhofer Feld soll auch in Zukunft so frei bleiben“

| Lesedauer: 10 Minuten
Gudrun Mallwitz
Morgenpost vor Ort: Leser debattieren über Tempelhofer Feld

Morgenpost vor Ort: Leser debattieren heftig über Bebauung des Tempelhofer Feldes

Wohnungen, Schule, Sicherheit – Leser diskutieren mit Experten über Perspektiven und Probleme in Tempelhof-Schöneberg.

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Wohnungen, Schule, Sicherheit – Leser diskutieren mit Experten über Perspektiven und Probleme in Tempelhof-Schöneberg.

Tempelhof-Schöneberg. Ob im bunten Schöneberg, im einstigen Dichterviertel Friedenau, in Tempelhof, Mariendorf oder den südlichsten Ortsteilen Marienfelde und Lichtenrade – überall im beliebten Bezirk Tempelhof-Schöneberg steigen die Mieten und Kaufpreise für Wohneigentum. Beim großen Leserforum der Berliner Morgenpost in der Reihe „Morgenpost vor Ort“ im gut besuchten Louise-Schroeder-Saal des Rathauses Schöneberg war daher schnell ein erstes Reizthema gefunden: die Randbebauung des Tempelhofer Feldes. Braucht es einen neuen Volksentscheid? Die Meinungen gingen dazu auseinander.

Auf dem Podium diskutierten Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD); Christine Richter, Chefredakteurin der Berliner Morgenpost; Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses Schule; Joachim Poweleit vom Quartiersbüro „W 40“ (Waldsassener Straße in Marienfelde) sowie Dominique Freund, Vize-Leiter des Polizeiabschnitts 41.

Die rund zweistündige Veranstaltung moderierte Hajo Schumacher, Publizist und Kolumnist der Morgenpost. Sie trug den Titel „Probleme und Perspektiven eines Bezirks“ und bildete den Auftakt für elf weitere Morgenpost-Leserforen in den Berliner Bezirken. Beim nächsten Mal, im November, geht es nach Spandau. „Die Berliner Morgenpost ist zurück in den Bezirken“, unterstrich Christine Richter. Viele Leser beteiligten sich engagiert an der Diskussion. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

Wohnungen

In Tempelhof-Schöneberg müssen dringend neue Wohnungen gebaut werden. Bis 2029 kann laut der jüngsten Prognose des Bezirkes bislang nur weniger als die Hälfte des Bedarfs gedeckt werden. Moderator Hajo Schumacher, Wahl-Schöneberger seit 20 Jahren, fragte: „Was spricht dagegen, auf dem Tempelhofer Feld an den Ecken, wo keiner Drachen steigen lässt, bezahlbaren, ökologischen Wohnungsbau zu schaffen?“ Er habe zum Tempelhofer Feld eine positiv-neutrale Einstellung. „Nichts gegen Feldhamster oder seltsame Farnarten, aber da ist schon ganz schön viel Platz mitten in der Stadt“, so Schumacher.

Für Bezirksbürgermeisterin Schöttler sind die Würfel durch den Volksentscheid vom Mai 2014 jedoch auf lange Sicht gefallen. Damals sprach sich eine klare Mehrheit der Berliner gegen eine Randbebauung aus. Sie wundere sich daher etwas über die derzeit wieder aufflammende Diskussion, sagte sie. Schöttler bleibt aber bei ihrer früheren Meinung. „Ich glaube heute noch, dass an den Rändern durchaus Platz wäre für eine verträgliche Wohnbebauung, den einen oder anderen Sportplatz oder am Rand an der Autobahn für Gewerbebetriebe“, so die Politikerin.

Zwar entstünden jeweils rund 1000 neue Wohnungen an der Friedenauer Höhe und an der Schöneberger Linse, doch verfüge Tempelhof-Schöneberg als West-Bezirk darüber hinaus nur noch über wenige freie bebaubare Flächen. Morgenpost-Chefredakteurin Christine Richter beobachtet, dass sich die Stimmung verändert habe. „Die Wohnungsnot ist eines der wichtigsten Themen, die die Berliner bewegen“, sagte sie. Es sei aber zu früh für einen erneuten Volksentscheid. „Man muss jetzt den Willen der Mehrheit der Berliner akzeptieren und in fünf oder zehn Jahren noch einmal schauen“, so Richter.

Hajo Schumacher hakte nach. „Wie lange gilt so ein Volksentscheid eigentlich? Gibt es da ein Haltbarkeitsdatum?“ Eine eindeutige Meinung kam dazu aus dem Kreis der Leser. Joachim Kiau – er gehörte vor rund viereinhalb Jahren zu denen, die den Sieg über den Erhalt des freien Tempelhofer Feldes feierten – gab zu bedenken: „Das Volk hat klar und deutlich gesagt: keine Bebauung. Das gilt nicht nur für drei oder fünf Jahre.“ Eine erneute Entscheidung dürfe nicht schon in dieser Generation fallen. „Das kann in 20 Jahren die heutige Jugend entscheiden“, schlug Kiau vor und bekam dafür viel Applaus.

Schulen

Auch beim Bau und bei der Sanierung von Schulen steht Tempelhof-Schöneberg vor Herausforderungen. In der Diskussion ging es aber vor allem um zwei Schulen: An der Spreewaldschule in Schöneberg gab die Leiterin auf, sie beklagte fehlende Unterstützung durch Senat und Bezirk. Zuvor engagierte sie einen Wachschutz, weil Schulfremde immer wieder auf das Gelände und ins Gebäude eindrangen. Im Fokus stand auch die Bergius-Schule in Friedenau, deren sehr engagierter Leiter sie konsequent führt und die Schulinspektion mit seinen Unterrichtsmethoden gegen sich aufbrachte.

Viele Leser waren überrascht, als sie hörten, dass für den Wachschutz vor der Grundschule der Bezirk zuständig ist, für innere Angelegenheiten aber der Senat. Bezirksbürgermeisterin Schöttler sagte: „Das ist ein schwieriges System.“ Sie könne zwar über den Hausmeister reden, aber schon nicht mehr über die Schulsekretärin. Auch für diese sei neuerdings der Senat zuständig.

Die unterschiedlichen Zuständigkeiten sind für Christine Richter ein typisches Berliner Problem, eine Verwaltungsreform sei längst überfällig. Landeselternvertreter Norman Heise verteidigte indes die Trennung in diesem Fall. „Es ist in Ordnung, dass für die Hardware der Bezirk zuständig ist und für die Software der Senat.“ Verwaltung solle man nicht das Feld der Bildung überlassen. Heise, ehrenamtliches Mitglied der Schulinspektion, stellte sich auch hinter das Inspektionsteam an der Bergius-Schule. „Wenn ein Schulleiter sehr auf Regeln besteht, muss er sich auch selber an Regeln halten“, sagte Heise. „Und es gibt bestimmte Kriterien, nach denen die Inspektion prüft.“

Ob es denn an den Schulen in Tempelhof-Schöneberg besonders viele Probleme gebe, wollte Hajo Schumacher wissen. „Nein“, antwortete Heise. „Vielleicht sind die Eltern hier manchmal nur etwas lauter.“ Wie Problemschulen in den Griff zu bekommen sind? Quartiersbüro-Mitarbeiter Joachim Poweleit sagte dazu: „Auch in Marienfelde gab es einzelne Gewaltvorfälle. Da ist es immer wichtig, präventiv vorzugehen, bevor Konflikte eskalieren.“ Man habe gute Erfahrungen gemacht, indem die Theaterpädagogen des Jugendmuseums Schöneberg in ein Schulprojekt eingebunden wurden. Das gelte auch für den Kiez. „Bei uns im Neubaugebiet hat schon ein regelmäßiger Trödelmarkt dazu geführt, dass das Miteinander besser wurde“, sagte Poweleit. Wichtig sei, ein Netzwerk zu schaffen. Das Quartiersbüro habe Nachbarschaftsprojekte angestoßen, die inzwischen von Anwohnern ehrenamtlich gemanagt würden.

Dominique Freund vom Polizeiabschnitt 41 würde sich wünschen, dass in den Schulen bei Gewaltproblemen nicht nur auf Pädagogik gesetzt wird. „Ein strengeres Vorgehen würde manche kriminelle Karriere schon im Keim ersticken“, so der Polizeibeamte. Dass die Anzahl der Einsätze an Schulen stark gestiegen ist, könne er nicht bestätigen. „Tatsächlich wissen wir aber nicht, was im Dunkelfeld passiert“, so Freund. „Vieles wird versucht, pädagogisch zu klären. Ob das immer der richtige Weg ist, wage ich als Polizist zu bezweifeln.“ Chefredakteurin Richter verwies auf antisemitische Vorfälle an Schulen, die nicht sofort gemeldet wurden.

Kriminalität

Die Probleme mit dem Straßenstrich an der Kurfürstenstraße, die zum Teil zum Bezirk Mitte gehört, nehmen zu, beklagen Anwohner. Das hat laut Polizeirat Freund auch mit der enormen Fluktuation bei den Prostituierten zu tun. „Es ist dadurch viel schwieriger, auf sie einzuwirken, sich an die Regeln zu halten.“ Bürgermeisterin Schöttler ist dennoch gegen einen Sperrbezirk, sie will die Probleme zusammen mit Mitte vor Ort lösen. Am Nollendorfplatz gingen Straftaten mit der sehr lebhaften Kneipenszene einher, so Freund. Drogen würden am U-Bahnhof Yorckstraße verkauft, das Problem ziehe sich weiter entlang der U7, etwa an den Stationen Bayerischer Platz und Eisenacher Straße. Schöttler betonte, sie habe einen runden Tisch im Rathaus in­stalliert, bei dem nicht nur die Polizei, sondern auch BVG, Grünflächen-, Straßen- und Jugendamt sowie Anwohner vertreten sind. Immerhin: Clan-Kriminalität kann Dominique Freund im Bezirk nicht ausmachen. „Die haben bei uns in Schöneberg-Nord keine Relevanz“, so der Polizeibeamte.

Verkehr

Einige Leser klagten über die zunehmenden Verkehrsprobleme. Der Schwerlastverkehr nehme auf Tempelhofer und Mariendorfer Damm stark zu. „Es laufen derzeit Untersuchungen, was verändert werden kann“, sagte die Bürgermeisterin. Die Fahrradfahrer sollten sichere Wege erhalten. Ziel sei es, den Lieferverkehr durch den Einsatz von Lastenfahrrädern zu minimieren. Den Schwerlastverkehr, insbesondere die Durchfahrt großer Lkw, müsse die Verkehrslenkung des Senats in den Griff bekommen. Auf die Frage eines Lesers nach einer Verlängerung der U-Bahnlinie von Alt-Mariendorf bis nach Lichtenrade sagte Bezirksbürgermeisterin Schöttler: „Es wäre toll, wenn man mit der U6 zur U7 fahren könnte und dann bis zum BER.“ Leider stehe das Projekt nicht ganz oben auf der Prioritätenliste der Verkehrsplaner.

Jakob Herrenberger (27), Unternehmer aus Schöneberg

"Ich sehe eine positive Entwicklung des Bezirks. Vor allem das Bayerische Viertel hat sich sehr zu seinem Vorteil verändert."

Marianne Gohlke (77), Rentnerin aus Schöneberg

"Wo sollen die Menschen wohnen, die auf dem Euref-Campus arbeiten? Ich habe Angst, dass die Mieten im Umfeld steigen."

Jutta Riemer (76), Rentnerin aus Mariendorf

"Wir wohnen seit vielen Jahren in Mariendorf. Der Ortsteil hat sich zum Nachteil verändert. Dort sollte Milieuschutz eingeführt werden."

Uta Steinig (59), Hausfrau aus Spandau

"Ich habe 20 Jahre lang in Schöneberg gelebt und komme immer wieder gerne dorthin. Ich mache mir keine Sorgen um den Bezirk."

Frank-Lutz Langer (64), Rentner aus Mariendorf

"Mich stört die Verkehrs-entwicklung auf dem Mariendorfer Damm. Und dass so viele Fahrradfahrer auf dem Bürgersteig fahren."

Günter Meisel, (85), Diplom-Ingenieur aus Marienfelde

"Unser Kiez verwildert immer mehr. Hecken wachsen bis weit in die Gehwege hinein. Auch der Müll auf den Straßen und in den Parks hat zugenommen."

Gabriele Neumann aus Mariendorf, lange in der Immobilienbranche tätig

"Es werden dringend mehr Wohnungen gebraucht. Deshalb bin ich auch dafür, den Rand des Tempelhofer Feldes zu bebauen. Sehr positiv finde ich, dass es an der Schöneberger Linse vorangeht."

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