Berlin. In der Ferne hallen ein Liebeslied und elektronische Musik durcheinander, da entscheidet ein Schlagzeuger, dass es jetzt an der Zeit ist, auf seine Trommel zu hämmern. Ein Mädchen lässt mit seinem Zeigefinger Seifenblasen platzen, die ihm durch die warme Luft entgegenschweben. Eine Szene, wie man sie im Mauerpark in Prenzlauer Berg an jedem Wochenende beobachten kann. Der Grünstreifen ist eine riesige Spielwiese für junge Berliner und Touristen. Und dort geht es laut zu. Jeden Sonntag. Dank Empfehlungen in Reiseführern ist das verrückte Spektakel inzwischen weltbekannt.
Verrückt ist ein Wort, das bei der Beschreibung des Mauerparks auch Anwohner Andreas Geil in den Sinn kommt. Aber im negativen Sinne. „Bis vor 15 Jahren war der Park ein Ort der Ruhe und Erholung. Laut wurde es nur am 1. Mai. Jetzt ist das eine Veranstaltungsfläche und kein Park mehr“, sagte Geil zur Einleitung seiner Einwohnerfrage in der Bezirksverordnetenversammlung Pankow. Seine Frage lautete: Wie reagiert der Bezirk auf den Lärm am Sonntag?
Zunächst einmal startet er schärfere Kontrollen durch das Ordnungsamt. Der zuständige Stadtrat Daniel Krüger (parteilos, für AfD) gibt sich als Anwalt derjenigen Anwohner, die Ruhe fordern, spricht von einer „zunehmenden Beschwerdelage“ und beruft sich auf Kontrollen im Sommer, die mehrere Probleme aufwarfen. Allen voran: der illegale Verkauf an Getränken und laute Musik, die eine Anwohnergruppe als Lärm empfindet. Und das Recht ist auf ihrer Seite. „Nur in äußerst seltenen Fällen werden Genehmigungen erteilt. In der Praxis sind Musiker mit ihren Verstärkeranlagen durch die Bank illegal im Mauerpark unterwegs“, betont Krüger.
Einzige Ausnahme: die Karaokeveranstaltung des Iren Joe Hatchiban im Amphitheater. Hier darf jedermann zu selbst gewählten Melodien die Stimme erheben – unter tosendem Applaus und mit Genehmigung des Bezirks. Hatchiban besitzt die Erlaubnis, an 23 Sonntagen im Jahr den Park zu beschallen. Aus Sicht des Bezirks handelt es sich um eine „wenig störende Veranstaltung“, die bis zu 60 Mal im Jahr genehmigungsfähig wäre. „Ein Mehr an Veranstaltungen ist nicht zuträglich für Ruheschutzinteressen“, meint Stadtrat Krüger. Nicht zuträglich für die Sonntagsruhe, das sind also alle anderen Sänger, Trommler und Gitarristen.
Anwohner holt Polizei und zeigt Künstler an
Ob sich Krüger mit seinen Forderungen zur Einführung von „Parkwächtern“ bei der Senatsverwaltung für Umwelt durchsetzen kann, ist noch offen. Aus dem Bezirkshaushalt ist die Finanzierung solcher Aufseher nicht zu leisten, zumal das Ordnungsamt schon jetzt personell am Limit arbeitet.
Sehnsucht nach Ruhe und Lust auf Party – an kaum einem Ort in Berlin wird dieser Widerstreit heute noch so offen ausgetragen wie am früheren Todesstreifen an der Schwedter Straße. „Es braucht einen Ausgleich der Interessen“, meint Alexander Puell, der Vorsitzende des Vereins „Freunde des Mauerparks“. Im Rahmen eines runden Tisches, der sich seit Dienstag mit den Problemen in der 11.000 Hektar großen Grünfläche auseinandersetzt, wollen Puell und seine Mitstreiter einen Mittelweg finden zwischen der Wahrung von Anwohnerinteressen und dem Schutz der Kultur. „Längst nicht alle Nachbarn sind gegen das Spektakel“, betont Puell. Trotzdem müsse man sich mit dem Problem dringend auseinandersetzen.
Denn der Streit droht zu eskalieren. So marschierte kürzlich ein Anwohner in Begleitung der Polizei quer durch den Park, um seine Sonntagsruhe durchzusetzen. Dabei zeigte er einzelne Künstler an. Die Polizei leitete Ordnungswidrigkeitsverfahren ein und beschlagnahmte bei dem Rundgang auch Instrumente. Am runden Tisch wollen die „Freunde des Mauerparks“ jetzt nach anderen Lösungen suchen, als „mit dem Dampfhammer“ gegen einzelne Künstler vorzugehen, wie es Puell formuliert. Debattieren werden unter anderem Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke), die Fachabteilungen des Bezirks, die Kulturgemeinschaft Mauerpark und der Karaoke-Veranstalter Joe Hatchiban.
Gegen mögliche Einschränkungen formiert sich bereits Widerstand. 40 Künstler haben am vergangenen Sonntag zu einer Demonstration für den Erhalt des Sonntagsspektakels aufgerufen. Der Titel: „Stop killing Mauerpark – Gegen die Vertreibung der Kultur“. Aktionen wie diese finden bei den „Freunden des Mauerparks“ Unterstützung. „Das Problem sind einige wenige Anwohner, die juristisch ihre Sonntagsruhe durchsetzen wollen. Das ist formal nachvollziehbar, aber nicht im Sinne der Gemeinschaft“, sagt Puell. In den Mauerpark gehe man nicht, um seine Sonntagsruhe zu genießen, sondern um Kultur zu erleben. Vorerst bleibt dieses besondere Kulturerlebnis gewahrt. Auch an diesem Wochenende wird im gesamten Mauerpark gesungen und getrommelt werden. Wie jeden Sonntag.
Parkordnung - Mauerpark wird umgestaltet