Es war einmal ein Mietshaus, das verkauft wurde. So weit, so Berlin. Und doch ist diese Geschichte anders als viele andere im Berlin der Großinvestoren, Wohnungsverkäufe und Verdrängungen. Denn nicht in jedem verkauften Mietshaus gründet sich ein Verein, zudem mit so viel Kampfgeist ausgestattet wie der „LeBrecht 23 62 e.V.“ Der Name lässt den Schauplatz erahnen, um den es geht. Ein sympathisch heruntergekommener Altbau an der Ecke Lenau-straße/Hobrechtstraße, unweit des Hermannplatzes.
Die „Lenau-Stuben“ laden zum Feierabendbierchen ein, seit Jahren zu unveränderten Preisen. Eine Töpferwerkstatt, ein Weinladen und eine Glaserei zeugen von einer sozialen Mischung, die auch in den Mietwohnungen herrscht. „Hier wohnen Akademiker, Künstler, Alleinerziehende, Angestellte, Manager, Freiberufler“, sagt Sven Theinert, geschäftsführender Vorstand.
Während er auf seinem kleinen, dicht bewachsenen Balkon an einer Zigarette zieht, erzählt er, wie die Mieter 2014 vom bevorstehenden Verkauf ihres Hauses erfahren haben. Nach einigem Hin und Her ging das Haus an einen Investor, die Richert Group. „Es geht uns nicht darum, sämtliche Investoren zu verjagen“, stellt Theinert klar. „Es gibt sicher auch solche, die durch soziale Kompetenz und Umsicht von sich reden machen.“
Bezirksbürgermeisterin lud zum runden Tisch
Um sich zu wappnen, gründeten die Mieter im November 2015 den Verein LeBrecht 23 62, um als rechtliche In-stanz stärker auftreten zu können. Nachdem auf Gesprächsangebote an den neuen Eigentümer ausweichend reagiert worden war, wendeten sich die Mieter mit einem Brief an Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Diese lud daraufhin im Februar dieses Jahres zu einem runden Tisch ins Rathaus. Anwesende: sie selbst, der Vereinsvorstand, Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) sowie zwei Mitarbeiter der Wirtschaftsförderung und der Rechtsabteilung des Bezirks.
„In diesem Gespräch versicherte uns Herr Blesing, für das Haus lägen noch keine Anträge auf Umwandlung in Eigentum vor, er schließe das sogar für die Zukunft aus“, so gibt es Theinert wieder. Blesing sieht das anders: „Ich sagte den Mietern, ich glaube nicht, dass sie in Sachen Umwandlung etwas zu befürchten hätten.“ Das Pikante daran: Das Grundbuch spricht eine andere Sprache. Ein Eintrag vom 27. Januar 2016 zeugt von einer Teilung in vier Gewerbe- und 37 Wohneinheiten.
Bereits vor dem Gespräch wurde also eine sogenannte Abgeschlossenheitsgenehmigung erteilt – im Baurecht eine Vorstufe, die nicht zwingend zu einer Umwandlung in Eigentum führen muss, aber als eine Art Frühwarnindikator gesehen werden kann. Davon wussten zum Gesprächszeitpunkt nach eigener Aussage weder die Bezirksbürgermeisterin noch der Baustadtrat etwas.
Begrenzter Einfluss vom Bezirk
„Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht zuständig. Wir konnten es nicht wissen, da es zwischen Amtsgericht und Bezirksamt keine Zusammenarbeit gibt“, so Blesing. Das Amtsgericht ist bereits für die Umwandlung in Eigentum zuständig, für die Abgeschlossenheitsgenehmigung hingegen die Bauaufsichtsbehörde. Die Bezirksbürgermeisterin ihrerseits erklärt, vor dem Gespräch sei in der Verwaltung nachgeschaut worden, und da sei zumindest in jüngerer Vergangenheit keine Abgeschlossenheitsgenehmigung aufgetaucht. Und zwar, wie sie im Nachgang erfuhr, weil diese vor drei Jahren beantragt und wahrscheinlich erst im Januar ins Grundbuch eingetragen wurde.
Hinzu kommt, dass der Milieuschutz im Reuterkiez zwar zum Gesprächszeitpunkt von Bezirksseite angekündigt worden, jedoch erst Ende Juni 2016 in Kraft getreten ist. Mit der Ankündigung des Milieuschutzes erteilte der Bezirk einen Aufstellungsbeschluss, der Modernisierungen und Umwandlungen um ein Jahr aufschieben kann. Dieser wurde vom Kammergericht im Nachhinein für hinfällig erklärt, da er ohne gültigen Milieuschutz nicht greife. Mit anderen Worten: Die Richert Group konnte in einer Zeit eine Umwandlung in Eigentum beantragen, als diese noch nicht genehmigungspflichtig war. Und scheint dies getan zu haben. Aber: Geschäftsführer Rico Richert sagt, er habe darüber „aufgrund unserer komplexen Erwerbsstruktur“ aktuell keine Kenntnis.
Die Mieter hingegen fordern erneut einen runden Tisch, mit Beteiligung des Eigentümers. „Wir haben als Bezirk nur begrenzt Einflussrecht“, bekräftigt Giffey. Doch als Vermittlerin könne und wolle sie auftreten und versichert: „Ich werde mit Herrn Theinert darüber sprechen.“ „Wir wollen nicht grundsätzlich Sanierungen verhindern, das Haus hat Investitionsbedarf“, stellt dieser klar. Alle Wohnungen verfügten noch über Ofenheizungen, nicht alle hätten ein Bad mit Dusche. Da akzeptiere man natürlich auch Mieterhöhungen.
Aber im Rahmen. „Einen Fahrstuhl braucht in diesem Haus bisher niemand, und auch eine Fassadendämmung wäre Quatsch.“ Was Quatsch ist und was nicht, darüber will Richert gern die Entscheidungshoheit behalten. „Wir warten nun auf die Ergebnisse der Wohnungsbegehungen und entscheiden dann weiter.“ Dann sei man bereit, sich mit dem Verein zusammenzusetzen.